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Politik

"Die Europäer befinden sich in Wartestellung"

20. Mai 2018

Auch wenn bei vielen Themen die Standpunkte zunehmend auseinander gehen, blieben die USA nach wie vor der engste außenpolitische Partner der EU, sagt Henning Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Ivanka Trump eröffnet die umstrittene US-Botschaft in Jerusalem
Ivanka Trump eröffnet die US-Botschaft in Jerusalem und düpiert damit die europäischen Verbündeten ein weiteres MalBild: Reuters/R. Zvulun

Deutsche Welle: In keiner anderen Zeit war sich Europa so einig, eine gemeinsam entwickelte außenpolitische Position zu verfolgen, die von den Ansichten der USA in vielen Punkten abweicht. Gerade bei vielen Nahost-Themen wie dem Iran-Deal oder der Jerusalem-Frage gehen die beiden Meinungen auseinander. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Henning Riecke: In vielen Bereichen sind die Europäer sich auch nicht einig - etwa beim Umgang mit China oder mit Russland. Aber ich denke, dass mit der Grenzüberschreitung, die der US-amerikanische Präsident vollzogen hat, eben auch ein europäisches Projekt attackiert wird. Das zwingt die Europäer auch, sich für das Abkommen gemeinsam einzusetzen. Das Atomabkommen mit dem Iran ist eine der diplomatischen Höchstleistungen, die die Europäer unter ihrer Schirmherrschaft langjährig erarbeiteten. Das hatte natürlich Fehler, war aber das bestmögliche Abkommen und bot einen neuen Ansatz in der Iran-Politik. Die Einigkeit der Europäer bezieht sich auch auf Israel und die Zweistaaten-Lösung, die jetzt schwieriger geworden ist.

Auch gegenüber der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem haben sich die Europäer zurückhaltend gezeigt …

Henning RieckeBild: DGAP/Dirk Enters

Ich glaube, dass die Europäer keine bessere Lösungen haben, als die USA haben, aber sie sind der festen Überzeugung, dass letztlich nur ein gemeinsames Zusammenleben zweier Staaten Israel und Palästina langfristig den Konflikt lösen kann. Und ich denke zugleich, dass durch die starke Parteinahme für Israel seitens Donald Trump die Haltung der Israelis gestärkt wird, dass sie eine Zweistaaten-Lösung gar nicht brauchen.

Auf dem EU-Gipfel in Sofia, auf dem die Europäer über den Ausstieg der USA aus dem Iran-Abkommen berieten, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk über Trump: "Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde." Suchen die Europäer nun neue Partner?

Das würde ich nicht so noch hängen, das ist eher ein Stoßseufzer. Die Amerikaner haben zwar einen Trümmerhaufen hinterlassen. Sie haben keine bessere Idee, wie sie mit dem Iran umgehen müssen. Sie haben auch offensichtlich keine Strategie, wie Israel und Palästina wieder einander näher kommen sollen. Ich denke aber trotzdem, dass in der Gesamtheit die Amerikaner der naheliegendste und engste Partner der Europäer sind. Das hängt erstens mit der starken Verteidigungsbindung in der Nato zusammen, zweitens mit der engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Europa und USA zusammen mit Kanada sind der stärkste Handelsblock und die stärkste Militärallianz der Welt. Auch die demokratischen Werte und das Menschenrechtsverständnis verbindet die beiden stark.

Aber im Einzelfall, etwa wenn es darum geht, das Iran-Abkommen, das den Europäern so wichtig ist, aufrechtzuerhalten, wird man natürlich die Kollaboration der Chinesen und Russen suchen. Man braucht auch unbedingt China, um das Klimaschutz-Abkommen oder den Freihandel aufrechtzuerhalten, wo China sich stark macht, und die Lücken ausfüllt, die die amerikanische Politik an vielen Stellen hinterlassen hat. Aber das heißt nicht, dass das Ende des Westens wäre. Aber zugegeben - im Moment pfeift der auf dem letzten Loch!

Welche Mittel kann die EU einsetzen, um europäische Firmen, die mit dem Iran Geschäfte machen, vor US-Sanktionen zu schützen?

Nur sehr wenige. Die Europäer können ihre Unternehmen nicht dazu zwingen, mit dem Iran zu kooperieren. Es wird schwer sein, potenzielle Handelsausfälle finanziell auszugleichen, die durch Sanktionen auf dem amerikanischen Markt für diejenigen europäische Unternehmen entstehen, die im Iran tätig sind. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Aber es gibt eine Untersuchung des Wirtschaftsministeriums, die im Spiegel zitiert worden ist, und sie legt nahe: Es gibt nicht sehr viele Unternehmen, die gleichzeitig im Iran und in den USA tätig sind. Die meisten Unternehmen, die im Iran tätig sind, konzentrieren sich eben auf diese Region und werden durch diese Sanktionen nicht so sehr abgehalten. Aber große Unternehmen wie Siemens oder Airbus werden große Aufträge verlieren. Ich glaube nicht, dass man von Seiten der europäischen Hauptstädte oder der europäischen Regierungen einfach mit ein bisschen Geld die Probleme lösen kann. Auch betreffen die Sanktionen ja Banken, die Geschäfte im Iran finanzieren. Es wird, glaube ich, eine langfristige Veränderung des Handels mit dem Iran nach sich ziehen.

Und was war denn die Position, die die Europäer vertreten haben? Nur bloße Rhetorik, die die Atmosphäre besänftigen soll, bis aus den USA etwa anderes kommt?

Ich glaube, das war klar, dass die Europäer sich glaubwürdig auf die Seite des Abkommens stellen wollten, auch um den Iran vor einem spontanen Ausbrechen aus dem Abkommen abzuhalten. Dass man in der Sache nicht wirklich viel liefern kann, das wissen alle Seiten. Aber das geht auch für den Iran darum, dass man sich als "good guider" stellt, also jemand, dem man vertrauen kann, auch wenn die Amerikaner das nicht tun.

Steht die EU bei ihrer Iran-Politik in einem Interessengegensatz zur arabischen Welt, gerade zu den Golfstaaten, die als wichtige EU-Handelspartner gelten?

Ich denke, dass die Politik der EU zweigleisig gefahren wird. Auf der einen Seite setzt sich die EU weiterhin für den Erhalt des Abkommens ein, und muss dem Iran für das eine oder andere Versprechen die Verluste ausgleichen, die der Iran zu erleiden hat. Auf der anderen Seite muss man versuchen, den Iran auch zur Verhandlungen zu bringen, die etwa das Raketenprogramm betreffen, oder aber seine Rolle in Syrien oder im Jemen, wo schiitische Gruppierungen unterstützt und die Kriege mit angetrieben werden. Letztlich ist das keine Sache, die man allein mit dem Iran machen kann. Denn auch Saudi-Arabien ist hier aktiv. Das müsste dann in einer regionalen Friedenslösung oder Friedenskonferenz passieren. Insofern ist das, was die Europäer jetzt tun, einen diplomatischen Rahmen zu stellen, in dem auch mit dem Iran über andere Probleme gesprochen wird, aber dann auch mit den Amerikanern. Das wäre eine diplomatische Höchstleistung, die noch schwieriger zu erzielen ist als das Abkommen selbst, denn Amerika hat viel Vertrauen zerstört.

Der Hass auf die USA ist bei Palästinensern derzeit großBild: Reuters/I. Abu Mustafa

Haben die Europäer gute Karten dabei?

Nein, da sollte man die Europäer nicht überschätzen. Aber: Die Europäer sind die Einzigen, die diesen Ansatz wirklich versuchen werden.

Seitdem Präsident Trump im Amt ist, scheinen sich die Chancen auf Frieden zwischen Israel und den Palästinensern weiter minimiert zu haben. Im Gegensatz dazu zeigten sich die Europäer gegenüber der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem eher skeptisch. Hat sich die EU in Nahost damit Gegner geschaffen, oder hat sie ihre Rolle als Vermittler gestärkt?

Ich denke, auch wenn es eine souveräne Entscheidung der USA über ihre Botschaft war - das ist kein Schritt, den man politisch leicht attackieren und rückgängig machen kann. Man muss eben arbeiten mit den Bedingungen, die man jetzt vorfindet. Es gab wenig Verständnis dafür, was die Amerikaner mit dieser Entscheidung bezwecken. Im Prinzip wartet man in der EU darauf, ob irgendein strategischer regionalpolitischer Ansatz von den Amerikanern kommt. Europa will sehen, ob es ein Verhandlungsangebot gibt, oder vielleicht dass die Amerikaner, so sehr sie auf der Seite von Israel stehen, die israelische Politik kritisieren, und etwa den Rückbau von Siedlungen verlangen, damit sie ein bisschen Vertrauen zurückgewinnen, dass sie überhaupt ein Interesse an einer Verhandlungslösung haben. Die Europäer befinden sich jetzt in der Wartestellung. Sie müssen sich immer weiter anbieten, aber es ist noch offen, was die Amerikaner vorhaben.

Sehen Sie die EU auf dem Weg dahin, sich als eine eigenständige Macht in der Region des Nahen Ostens zu etablieren?

Ich denke, ja. Ich denke auch, dass die Europäer eine Rolle spielen, weil sie der wichtigste Handelspartner der meisten Staaten in der Region sind. Sie müssen es schaffen, ihr wirtschaftliches Gewicht auch politisch umzusetzen und eine geschlossen regionale Strategie zu verfolgen, die auch dazu führt, dass Frieden einkehrt. Hier braucht man mehr Engagement, mehr Geld, mehr Marktöffnung und mehr Personal, das diesen Anspruch der Europäer unterstützt. 

Und das kann geschehen, auch ohne dort militärisch präsent zu sein, wie die Amerikaner?

Ich denke, dass die Europäer mit dem militärischen Arm ihrer Außen- und Sicherheitspolitik keineswegs komplexe Stabilisierungsmissionen oder gar ein robustes Eingreifen oder Interventionen in Konflikte durchführen können. Dass, was die Europäer gut können, ist eine stark zivil-militärisch verschränkte Zusammenarbeit beim Ausbau der inneren Sicherheit, beim Grenzschutz, bei der Ausbildung von Soldaten. Aber die EU wird keine militärische Macht aufbauen, die derjenigen der Amerikaner gleichkäme.

Dr. Henning Riecke ist seit Januar 2009 Leiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

Das Interview führte Maissun Melhem.

 

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