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Stimmt die Wahrnehmung der Richter?

Das Interview führte Manfred Götzke11. Februar 2009

Mehrere EU-Kritiker haben am Bundesverfassungsgericht gegen den EU-Reformvertrag geklagt. Ihr Hauptvorwurf: Die Souveränität Deutschlands würde zu sehr eingeschränkt. Im Interview dazu ist Europapolitiker Martin Schulz.

Der SPD-Europapolitiker Martin Schulz (Foto: dpa/28.04.2008)
SPD-Europapolitiker Martin SchulzBild: picture-alliance/ dpa

FOKUS EUROPA: Herr Schulz, die Richter in Karlsruhe haben immerhin durchblicken lassen, dass sie Bedenken haben, ob bestimmte Elemente des Vertrags mit der Verfassung vereinbar sind. Haben Sie Angst um den Vertrag von Lissabon?

Martin Schulz: Ja, aber nicht seit die Richter in Karlsruhe sich damit befassen, sondern nach dem irischen "Nein“ und auch nach der Debatte, die es in Tschechien gegeben hat. Um diesen Vertrag musste man sich schon Sorgen machen. Ganz sicher ist es so, dass ich mit Befremden auf die eine oder andere Frage reagiere, die da am Dienstag (10.02.09) in Karlsruhe aufgeworfen worden ist. Ich war mir schon seit längerem darüber im Klaren, dass Udo Di Fabio sicher zu den Euroskeptikern zählt. Deswegen habe ich auch nichts Anderes erwartet als die Tonalität, die er da am Dienstag (10.02.09) gewählt hat. Aber die zusätzlichen Fragen haben mich schon etwas besorgt gemacht.

Welche?

Die Fragen nach der Legitimität der Europäischen Union, bei der Souveränitätsübertragung in einigen Bereichen. Also die Fragen der strafrechtlichen Elemente, die da aufgeworfen worden sind, die Frage des Freiheitszuwachses oder der Freiheitsreduzierung – das hat mich bestürzt. Bei einem Vertrag wie dem Lissabonner Vertrag, bei dem die Grundrechtecharta der Europäischen Union, die von einem eigenen Konvent unter dem Vorsitz von Roman Herzog erarbeitet worden ist, als weniger freiheitsschützend als die heutigen Verträge dargestellt wird, da stimmt irgendwas nicht mit der Wahrnehmung der Richter. Das sind ja nicht irgendwelche Euro-Euphoriker, die die Grundrechtecharta entwickelt haben, sondern das ist unter dem Vorsitz von Roman Herzog entwickelt worden und sie wird jetzt Vertragsbestandteil. Da erschließt es sich mir nicht, wie man da von einer Freiheitsreduzierung sprechen kann.

Der EU-Reformvertrag steht vor dem BundesverfassungsgerichtBild: AP

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass der Vertrag von Lissabon nicht in Irland, sondern in Deutschland scheitert?

Das halte ich für wenig wahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass das Verfassungsgericht der Bundesrepublik am Ende diesem Vertrag nicht zustimmen wird. Sicher wird das Gericht Bemerkungen machen und Hinweise geben, was beim Maastricht-Urteil auch passiert ist. Aber ich hoffe schon, dass die Richter am Bundesverfassungsgericht sich darüber im Klaren sind, dass die Ratifizierung des Vertrages mit Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern, im Bundesrat wie im Bundestag, bereits ein Akt von Volkssouveränität ist, den das Gericht sicherlich respektieren wird.

Trotzdem wäre es nicht das erste Mal, dass Gesetze, die vom Bundestag und –rat beschlossen wurden, vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden?

Es handelt sich nicht um ein Gesetz, sondern der Vertrag für die Europäische Union ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, den die Bundesrepublik Deutschland in multilateraler Form mit anderen Staaten verpflichtend eingeht. Das ist die Rechtsgrundlage für den Binnenmarkt, von der kein Land mehr profitiert als Deutschland. Das ist die Rechtsgrundlage für den Euro, der uns in der Weltwirtschaftskrise stützt. Ich möchte nicht, dass der Euro durch die Rechtssprechung in Deutschland stürzt.

Hauptkritikpunkt der Kläger: Die Europäische Union sei nicht hinreichend demokratisch legitimiert. Ist sie das Ihrer Meinung nach?

Gruppenfoto zum Vertrag von Lissabon (Archivfoto: Dezember 2007)Bild: AP

Gerade diese Kritik ist die unverständlichste von allen. Der Lissabonner Vertrag weitet die parlamentarischen Rechte des Europäischen Parlamentes massiv aus und stärkt gleichzeitig die des deutschen Bundestages. In keinem anderen Vertrag waren die Rechte der nationalen Parlamente durch den dort vorhandenen Subsidiaritätsvorbehalt so stark, also dass der Bundestag verlangen kann, dass die Bundesregierung den Bundesrat informiert und konsultiert, bevor sie im Ministerrat als Gesetzgeber tätig wird. Das ist ein völlig neues Instrument des Einklemmens von Regierungen und Kommission. Deshalb ist auch dieses demokratiekritische Argument völlig falsch. Ich glaube, da wird auch von einigen Leuten sehr ideologisiert.

Namentlich vielleicht von Richter Udo Di Fabio, denn der hat heute gesagt: Die Frage sei, ob der Bundestag über einen hinreichenden eigenen Gestaltungsspielraum verfüge. Wie erklären Sie sich das?

Dass Herr Di Fabio sehr ideologisch argumentiert. Das macht er schon seit langer Zeit. Und Herr Di Fabio ist ein Bundesverfassungsrichter, der sich durch seine Publikationen als Gegner der europäischen Integration zu erkennen gibt. Es mag sein, dass er dem Bundestag nicht die ausreichenden Gestaltungsspielräume zubilligt. Ich kann nicht sehen, wo das gerechtfertigt wäre. Ich sehe bei ihm aber auch schon sehr lange eine klare Festlegung gegen die Europäische Integration.

Gibt es einen Plan B, falls das Bundesverfassungsgericht den Vertrag, einzelne Elemente für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt?

Wenn das Gericht diesen Vertrag durch seine Rechtssprechung zu Fall bringt, ist die Europäische Union zurückgeworfen auf den Nizza-Vertrag. Die Frage, die man dann aufwerfen muss, ist: Was ist demokratischer geworden in Europa? Was ist transparenter geworden in Europa? Was effektiver? Die Perpetuierung des Einstimmigkeitsprinzips, die wenigen Rechte des Europäischen Parlaments, die weitere Bürokratisierung Europas durch weniger Rechte des Parlaments im Verhältnis zur Kommission. Der Plan B ist also Nizza und Nizza ist deutlich schlechter als der Lissabonner Vertrag und die künftige Erweiterung der Union ist sicherlich dann nicht mehr möglich. Die daraus resultierenden außenpolitischen Probleme der Union will ich gar nicht mehr beschreiben.

Martin Schulz ist Chef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.

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