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Politik

FDP feiert ihren Chef

28. April 2017

Christian Lindner löst auf dem Parteitag der Liberalen Begeisterung aus und wird mit einem sehr guten Wahlergebnis belohnt. Einen kleinen Kratzer handelt er sich aber auch ein. Marcel Fürstenau berichtet aus Berlin.

Deutschland FDP-Bundesparteitag in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Das große Ziel ist natürlich die Rückkehr in den Bundestag, aus dem die Freie Demokratische Partei (FDP) 2013 erstmals herausgewählt wurde. Dieser Schock ist inzwischen verdaut. Keine leichte Übung für eine Partei, die 64 Jahre im Parlament saß und in dieser Zeit 45 Jahre der Regierung angehörte. Nur die Unionsparteien CDU und CSU waren länger an der Macht. Die Vergangenheit spielt auf dem am Freitag in Berlin begonnenen und bis Sonntag dauernden Parteitag der FDP aber keine große Rolle mehr. Sie richtet den Blick demonstrativ nach vorn und hat sich dafür ein durchaus passendes Motto ausgedacht: "Schauen wir nicht länger zu."

Dieser Appel an sich selbst steht in grellem Magenta-Farbton auf nicht minder grellem Gelb auf der Wand hinter dem Rednerpult. Als dort Christian Lindner erscheint, verschwindet der Schriftzug. Stattdessen ist der seit 2013 amtierende Parteivorsitzende nun auch für jene überlebensgroß zu sehen, die 50 Meter von ihm entfernt sitzen. Ganz ohne einen kurzen Rückblick kommt Lindner dann aber doch nicht aus. Ein "langer, steiniger, schwieriger Weg mit Rückschlägen" liege hinter der FDP. Außerparlamentarische Opposition sei ein "wahrlich raues Geschäft".

1315 Tage außerparlamentarische Opposition

Der 38-Jährige hat genau nachgezählt: 1315 Tage dauert dieser Zustand inzwischen an. Die Zahl 149 nennt der Parteichef in diesem Moment nicht. So viele Tage sind es nämlich noch bis zur Bundestagswahl am 24. September. Am Abend dieses Sonntags im Frühherbst werden die Liberalen wissen, ob sie in den Bundestag zurückkehren. Das Comeback sei längst noch nicht erreicht, mahnt Lindner. "Aber wir haben wieder eine Chance darauf." Bei aktuellen Umfragewerten von bis zu sieben Prozent eine zutreffende Einschätzung.

FDP-Chef Christian Lindner darf sich am Ende seiner Rede über sechs Minuten Beifall freuenBild: picture alliance/dpa/M. Skolimowska

Wie nötig eine FDP-Fraktion im deutschen Parlament aus Sicht ihres Vorsitzenden wäre, versucht er mit markigen Sprüchen an die Adresse der schwarz-roten Regierungskoalition zu begründen. Die Koalition aus Union und Sozialdemokraten habe nicht nur keine großen Probleme gelöst, sondern neue geschaffen, "weil sie nichts getan hat". Wie "Schlafwandler" bewege sich Deutschland in der "Komfortzone". Ob Bildungs-, Finanz- oder Wirtschaftspolitik - überall stellt Lindner "Stillstand" fest und bezeichnet diese Zustandsbeschreibung als "Machtmissbrauch".

Lob und Tadel für Emmanuel Macron

Die Liste der Vorwürfe ist lang: marode Schulen, Unterrichtsausfall, überbordende Bürokratie, zu hohe Steuern. Finanzminister Wolfgang Schäuble gönne den Bürgern trotz jährlicher Mehreinnahmen im dreistelligen Milliarden-Bereich "nicht einen einzigen Cent zusätzlich", behauptet der FDP-Chef. Nach seinen Berechnungen wären Steuerentlastungen bis zu 40 Milliarden Euro möglich. So redet jemand, der sich schon mitten im Wahlkampf befindet. Und auf Lindner trifft das gleich zweimal zu. Denn vor der Bundestagswahl Ende September will er Mitte Mai als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in seinem Heimatland Nordrhein-Westfalen ein zweistelliges Ergebnis für die FDP schaffen.

Aufstehen für ihren Vorsitzenden: FDP-Delegierte auf dem Parteitag in BerlinBild: DW/J. Chase

Internationale Themen fasst Lindner im Zeitraffer zusammen. Die FDP stehe ein für ein geeintes Europa und die transatlantische Partnerschaft. Kurz erwähnt er den als liberal geltenden französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron, der im entscheidenden zweiten Wahlgang am 7. Mai als Favorit ins Rennen geht. Seine Gegnerin ist Marine Le Pen vom rechtsradikalen Front National. Macron, sagt Lindner, habe die Menschen mit seinem "klaren Bekenntnis für Europa" begeistert. Als Bruder im Geiste will er den Franzosen aber keinesfalls durchgehen lassen - weil der 39-Jährige für die Vergemeinschaftung europäischer Schulden ist. Ein Szenario, das die FDP strikt ablehnt.

Lindner verknüpft das Thema Türkei mit "Özil-Gate"

Auch auf die Entwicklung in der Türkei geht Lindner nur stichwortartig ein. Sollte dort die Todesstrafe eingeführt werden, müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel "Kampagnen und Wahlurnen in Deutschland untersagen". Eine  Anspielung auf umstrittene Auftritte türkischer Politiker in Deutschland vor dem Verfassungsreferendum Mitte April. Nach dem Erfolg für Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich die Türkei aus Lindners Sicht als "islamistische Präsidialdiktatur" selbst aus dem europäischen Beitrittsprozess verabschiedet.

Soll nicht nur Tore für Deutschland schießen, sondern auch die Nationalhymne singen: Mesut ÖzilBild: Getty Images/Ch. Crowhurst

Und plötzlich spricht der FDP-Vorsitzende von "Özil-Gate". Er meint damit den türkischstämmigen deutschen Nationalspieler Mesut Özil. Auf die Frage der Illustrierten "Stern", ob der Fußballer von Arsenal London bei Länderspielen die Nationalhymne singen solle, hatte Lindner mit einem schlichten "ja" geantwortet. Eine fahrlässige Antwort? Oder eine kalkulierte? Schließlich war abzusehen, dass dieses Thema vor allem in den sogenannten sozialen Netzwerken heiß diskutiert werden würde. Auf dem Parteitag entscheidet sich Lindner für einen Spagat: Er wolle keine "Hymnen-Polizei", wirbt aber gleichzeitig für  "Verfassungspatriotismus".

Beim Doppelpass gehen die Meinungen auseinander

Am Ende der fast 80 Minuten dauernden Rede feiert die FDP-Basis ihren Chef enthusiastisch. In den lang anhaltenden Beifall und viele lobende Worte danach mischen sich aber auch kritische Töne. Nicht nur wegen "Özil-Gate", sondern auch wegen Lindners Haltung zur doppelten Staatsbürgerschaft. Ziel aktiver Einwanderungspolitik müsse die Einbürgerung sein, zwei Pässe solle es dabei auf Dauer nicht geben. Eine programmatische Aussage, den zahlreiche Redner für wenig liberal halten. Es ist der einzige nennenswerte Dissens zwischen Lindner und einem Teil der Delegierten. Die wählen ihn einige Stunden später trotzdem mit 91 Prozent erneut zu ihrem Vorsitzenden. Vor zwei Jahren waren es 92,4. Lindners Kommentar: "Ich freue mich über das motivierende Votum und freue mich auf den Wahlkampf mit Euch." 

            

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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