Venedig feiert das Kino - trotz der Hollywood-Streiks
30. August 2023Im August 2020, auf dem Höhepunkt der COVID-Pandemie in Europa, da trotzten die Filmfestspiele von Venedig noch allen Widrigkeiten - und feierten ein großes Fest des Kinos. Es herrschte eine seltsame Stimmung - Temperaturkontrollen vor den Hotels, vermummte Menschen in den Kinosälen - doch für die Filmfans war das Festival zugleich ein Zeichen der Hoffnung. Denn während viele Kinos dichtmachten und Skeptiker gleich den Tod des gesamten Kinos vorhersagten, gab es immer noch Venedig und damit das älteste Filmfestival der Welt. Am Lido flimmerten die besten neue Filme über die Leinwände und zeigten, was die Franzosen die siebte Kunst nennen.
Auf der diesjährigen Biennale nun, die vom 30. August bis zum 9. September läuft, gelten keine COVID-Vorschriften mehr. Das Publikum wird die Lido-Theater bis auf den letzten Platz füllen. Einziger Wermutstropfen dürfte der Streik der Filmleute in Hollywood sein. Und so mutet Venedig 2023, zum 80. Jahrestag des Festivals, - doch wieder seltsam und hoffnungsvoll zugleich an.
Weniger Glanz auf dem roten Teppich
Die Streiks führen dazu, dass viele der größten US-Produktionen in Venedig ohne den Glanz der Stars auskommen müssen. Dazu gehört etwa der Netflix-Film "Maestro", eine Filmbiografie über den jüdischen Dirigenten Leonard Bernstein unter der Regie von Bradley Cooper, sein zweiter Film nach dem Blockbuster-Erfolg von "A Star is Born", der 2018 in Venedig Premiere feierte. Dazu zählt auch David Finchers neuer Thriller "The Killer" mit Michael Fassbender und Tilda Swinton in den Hauptrollen und ebenso "Poor Things", das neueste Werk von Yorgos Lanthimos ("The Favourite"), in dem Emma Stone und Mark Ruffalo die Hauptrollen spielen.
Die Schauspieler-Gewerkschaft SAG-AFTRA und die Autorenvereinigung WGA haben ihren Mitgliedern verboten, für Filme zu werben, die von einem großen Studio oder einem Streaminganbieter produziert wurden. Denn mit genau diesen liegen die Gewerkschaften im Clinch. Netflix produzierte "Maestro" und "The Killer". "Poor Things" ist eine Produktion von Searchlight, einer Abteilung des Giganten Disney.
"Challengers", ein Menage-a-Trois-Drama des "Call Me By Your Name"-Regisseurs Luca Guadagnino, mit Zendaya in der Hauptrolle, das dieses Jahr in Venedig anlaufen sollte, wurde wegen des Streiks zurückgezogen. Nun wird der Film erst im nächsten Jahr in die Kinos kommen.
Einige Ausnahmegenehmigungen
Die SAG-AFTRA hat jedoch einigen - unabhängigen - Produktionen eine vorläufige Ausnahmegenehmigung erteilt, damit sie in Venedig Werbung machen und die Aufmerksamkeit von Einkäufern auf ihre Filme lenken können.
So kommt es, dass Adam Driver am Lido erwartet wird. Er spielt die Rolle des legendären italienischen Autobauers Enzo Ferrari in "Ferrari", einer Filmbiographie des "Heat"-Regisseurs Michael Mann. Ebenso werden Priscilla Presley und Sophia Coppola für Coppolas "Priscilla" in Venedig einfliegen. Der Film erzählt die Geschichte von Elvis' Teenager-Braut aus ihrer Perspektive. Cailee Spaeny spielt Priscilla, während Jacob Elordi den Sänger Elvis verkörpert.
Auch viele europäische Stars werden in Venedig zu sehen sein. Mads Mikkelsen zum Beispiel, zuletzt als Nazi zu sehen, der Harrison Ford in "Indiana Jones and the Dial of Destiny" nervt, kehrte für "The Promised Land" in seine Heimat Dänemark zurück - eine Historiendrama von "A Royal Affair"-Regisseur Nikolaj Arcel.
Kontroverse über Polanski
Caleb Landry Jones wird für "Dog Man" auftreten, einem vielbeachteten Film, der als mögliches Comeback des in Ungnade gefallenen Regisseurs Luc Besson gehandelt wird. Auch einige der Darsteller von Roman Polanskis Film "The Palace" kommen nach Venedig, darunter der deutsche Star Oliver Masucci ("Dark"), der Brite John Cleese und die französische Ikone Fanny Ardant, während der Regisseur, der wegen sexueller Nötigung vor der US-Justiz auf der Flucht ist, nicht erscheint.
Die Entscheidung von Venedig, den neuen Polanski-Streifen zusammen mit Woody Allens neuestem Film, dem französischsprachigen "Coup de Chance", zu zeigen, war vorhersehbar umstritten. Beide Männer spalten die Kino-Community aufrgund diverser #MeToo-Vorwürfe. Mit Boykottaufrufen und vielleicht sogar Protesten auf dem roten Teppich ist zu rechnen.
Neue Arthouse-Perlen
Abseits von Streiks und Skandalen könnte das diesjährige Programm von Venedig auch echte Perlen zum Vorschein bringen: Der italienische Arthouse-Maestro Matteo Garrone ("Gomorrah") etwa ist im Wettbewerb mit "Io Capitano" vertreten, einem Flüchtlingsdrama, das die Reise zweier junger Männer von Dakar nach Europa erzählt.
Die polnischen Regisseure Malgorzata Szumowska und Michal Englert kehren mit "Woman Of" nach Venedig zurück, einer Transgender-Liebesgeschichte. In ihrer Heimat, wo die konservative Regierung die Rechte der LGBTQ-Community beschneidet, dürfte das ein heißes Thema werden.
Die "Selma"-Regisseurin Ava DuVernay schreibt in Venedig Biennale-Geschichte. Als erste Schwarze Regisseurin tritt sie im Wettbewerb um den Goldenen Löwen an. Ihr Drama "Origin" handelt von den Ursprüngen des Rassismus in den USA.
Auch Mainstream-Filme gibt es in Venedig zu entdecken - Richard Linklaters Action-Komödie "Hit Man" etwa, oder Liam Neesons "The Land Of Saints And Sinners". Arthouse-Puristen können sich an "Evil Does Not Exist" erfreuen, dem neuesten Film von "Drive My Car"-Regisseur Ryusuke Hamaguchi, sowie an Wes Andersons neuem Kurzfilm "Die wunderbare Geschichte von Henry Sugar", der auf einer Geschichtensammlung des Autors Roald Dahl ("Charlie und die Schokoladenfabrik") basiert. Der experimentelle, von Videospielen inspirierte Actionfilm "Aggro Dr1ft" von Harmony Korine ("Spring Breakers") folgt einem Attentäter bei seiner Mission, einen dämonischen Verbrecherboss zu töten. Der Film, in dem der Rap-Star Travis Scott mitwirkt, wurde komplett in Infrarot gedreht.
Ein liebevolles Goodbye werden die Filmfans dem großen William Friedkin nachrufen, der Anfang August verstorben ist. Sein letzter Film, "The Caine Mutiny Court Martial", wird in Venedig uraufgeführt. Mit 80 Jahren sieht die Biennale immer noch rüstig aus. Und selbst wenn es auf dem roten Teppich dieses Jahr etwas ruhiger zugehen mag: Wie immer löst Venedig sein Versprechen ein, gute Filme zu zeigen - trotz Corona, trotz allerStreiks.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert von Stefan Dege.