Die Finanzmärkte lernen Italienisch
19. Oktober 2018Vor allem an den Anleihemärkten merkt man zum Ende der Handelswoche, dass die Sorgen um Italiens Finanzen wachsen. Die Verzinsung der zentralen zehnjährigen Staatsbonds Italiens kletterte auf 3,78 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit viereinhalb Jahren. Der Risikoaufschlag für die italienischen Anleihen im Verhältnis zu vergleichbaren deutschen Bundestiteln lag mit 336,4 Basispunkten so hoch wie zuletzt während der europäischen Schuldenkrise 2012. Dieser sogenannte "spread" wird in Italien genau beobachtet.
Nervosität folglich auch an den Aktienmärkten: Freitag gegen Mittag lag die Börse Mailand (Artikelbild) fast 1,2 Prozent im Minus. Besonders die Bankentitel gerieten unter Druck. Sie verloren im Durchschnitt fast drei Prozent.
"Besonders schwer"
Die Entwicklung an den Märkten wirkte wie ein Echo auf harsche Mahnungen, die die Europäische Kommission am Donnerstagabend an die populistische Regierung in Rom gerichtet hatte. Der Haushaltsentwurf, den die Koalition aus der rechtsgerichteten Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung nach Brüssel übermittelt hatte, sei eine "noch nie dagewesene" Abweichung von den Kriterien des europäischen Stabilitätspaktes, schrieben die zuständigen EU-Kommissare. In dem Brief von EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, der am Donnerstagabend in Rom einging, ist zudem von einer "besonders schweren Zuwiderhandlung" die Rede.
Beobachter wiesen daraufhin, es sei zwar nicht selten, dass die EU-Kommission Änderungen an nationalen Haushalten verlange, was das Recht der Kommission ist - überraschend sei allerdings die Wortwahl. Rom hat nun bis Montag Zeit, auf die Vorhaltungen zu reagieren.
Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Pläne der Rechtskoalition in Rom, die Staatsverschuldung Italiens weiter zu erhöhen. Die Regierung hält sich zwar an die nach den EU-Regeln für die Währungsunion erlaubte Obergrenze der Neuverschuldung von 3,0 Prozent der Wirtschaftsleistung. Weil das Land jedoch viel mehr Schulden aufgehäuft hat als erlaubt - gut 130 Prozent statt höchstens 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - muss Italien nach früheren Beschlüssen viel strengere Defizitwerte einhalten.
43 Milliarden Euro
Die Vorgängerregierung hatte ein Defizit von nur 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung versprochen; die neue Koalition peilt nun 2,4 Prozent an. Um Wahlversprechen zu finanzieren, plant die Regierung höhere Ausgaben im Umfang von 43 Milliarden Euro, 22 Milliarden davon sollen durch Kredite finanziert werden. Mit dem Geld will Rom Steuersenkungen finanzieren, aber gleichzeitig auch neue Sozialausgaben, etwa für ein allgemeines Grundeinkommen.
Der amtierende EU-Ratspräsident, der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, wandte sich am Freitag ebenfalls in scharfen Worten gegen die Schuldenpläne Roms: "Die Europäische Union ist eine Wirtschafts- und eine Wertegemeinschaft und die funktioniert, weil es gemeinsame Regeln gibt, an die sich alle halten müssen", sagte Kurz am Freitag am Rande des Asien-Europa-Gipfels in Brüssel. "Wenn man diese Regeln bricht (...), dann bedeutet das, dass Italien sich selbst gefährdet, aber natürlich auch darüber hinaus andere mit gefährdet." Die Europäische Union sei nicht gewillt, dieses Risiko, für Italien zu übernehmen.
Offenbar wegen dieses Risikos geriet am Freitag auch die europäische Gemeinschaftswährung weiter unter Druck. Der Euro fiel zeitweise auf 1,1433 Dollar zurück von 1,1452 Dollar im Schlussgeschäft vom Donnerstag ^- ein neues Zweimonats-Tief.
Im Hintergrund wirkt die Furcht, ein Zerwürfnis zwischen Brüssel und Rom könnte Spekulationen über einen Euro-Austritt Italiens befeuern. Immer wieder wird der starke Mann Italiens, der Innenminister und Lega-Vorsitzende Matteo Salvini mit solchen Spekulationen in Zusammenhang gebracht.
Unsicherheit am Geldmarkt
Die Gefahren, die von den italienischen Haushaltsplänen ausgehen könnten, bremsen mittlerweile am Geldmarkt auch die Erwartungen auf eine erste Erhöhung der Leitzinsen für den Euroraum seit Jahren. Investoren halten es nun mehr und mehr für möglich, dass die EZB aufgrund des Haushaltskonflikts ihren geplanten Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik etwas langsamer gestalten könnte. Die EZB stellt bislang in Aussicht, ihre billionenschweren Anleihenkäufe zur Stützung der Konjunktur Ende Dezember einzustellen, da sich der wirtschaftliche Aufschwung inzwischen gefestigt hat. Diese Aussicht gilt nun nicht mehr als gesichert.
Weitere Unsicherheiten gehen auch vom Zustand der Regierungskoalition in Rom selbst aus. Umstritten ist hier vor allem eine geplante Steueramnestie. Italiens Innenminister und Vize-Ministerpräsident Salvini sah sich bereits veranlasst, Spekulationen über eine Regierungskrise zurückzuweisen. Es gebe "absolut" keine derartige Krise, zitierte die Zeitung "Il Messaggero" am Freitag den Chef der rechten Lega.
Streitpunkt Steueramnestie
Am Donnerstag hatte sein Amtskollege Luigi Di Maio von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung gesagt, die Regierung müsse einen Streit mit der Lega über die Steueramnestie klären. Die Amnestie ist ebenfalls Teil des Haushaltsentwurfs für 2019. Bislang hatten sich die Fünf-Sterne stets gegen in Italien recht übliche Amnestien für Steuersünder ausgesprochen. Um ihre Pläne für ein Grundeinkommen nicht zu gefährden, hatte die Bewegung nun aber dem erneuten Vorstoß der Lega zugestimmt, zu deren Klientel viele kleine Gewerbetreibende zählen.
Formulierungen in dem der EU und dem Parlament zugeleiteten Haushaltsentwurf gehen aber laut Fünf-Sterne-Chef Di Maio über die ursprüngliche Einigung hinaus. Der Text sei "manipuliert" worden. Die Maßnahme soll Einnahmen durch Zahlungen von Steuersündern in die Staatskassen bringen, die sich damit Straffreiheit sichern. Sein Koalitionspartner Salvini wollte am Freitag wegen des Disputs eine Wahlkampftour in Norditalien abbrechen und nach Rom zurückkehren.
ar/hb (dpa, rtr, afp)