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Politik

"Angst vor der Angst der Anderen"

Kay-Alexander Scholz
12. Januar 2017

Die deutschen Parteien sind bereits im Wahlkampf. Eine Reflexion der vergangenen zwei Jahre, die im Zeichen der Flüchtlinge stand, findet dort kaum statt. In Wissenschaft und Medien ist das anders, wie eine Tagung zeigt.

Berlin Brandenburger Tor
Bild: DW/K. A. Scholz

"Scheitert der Diskurs, dann scheitert das Projekt des gesellschaftlichen Friedens." Mit dieser klaren Ansage eröffnete der Geschäftsführer der Civis-Medienstiftung, Michael Radix, die Tagung zum Thema "Das neue deutsche WIR. German Angst". Einen langen Tag lang diskutierten Medienvertreter mit Wissenschaftlern in der Berliner Akademie der Künste am Brandenburger Tor über den Zustand der öffentlichen Debatte in Deutschland im Lichte von Polarisierung, Populismus und Fake News im Zusammenhang mit den vielen Flüchtlingen. Es war eine außerordentlich fruchtbare Debatte der "Medienstiftung für Integration", an der auch die Deutsche Welle beteiligt ist.

Politologe Münkler: "Eine Lebenslüge der Deutschen"Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Als eine der "gefährlichsten Situationen überhaupt" bewertete der Soziologe Heinz Bude die "Angst vor der Angst der Anderen". Diese politische und mediale Stimmung führe direkt in eine Kommunikationsfalle. Journalisten würden sagen, besorgte Bürger hätten keinen Grund zur Sorge. Stellt Euch nicht so an! Bedenken von Bürgern, die sich auf eine real wachsende Ungleichheit bezögen, würden nicht anerkannt. Doch "die Sehnsucht nach Solidarität" bleibe und werde nun von anderen bedient - von rechten Populisten.

Schocktherapie für die Demokratie

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht Versäumnisse in der Politik. Und zwar bezogen auf den speziellen Aspekt der viel zitierten "German Angst", der international belächelten, deutschen Angst vor allen möglichen Veränderungen, die oftmals marginal sind. "Aufgabe von Politik muss es sein, Angst in Furcht zu transformieren", sagte Münkler. Denn Furcht sei nicht so diffus wie Angst, sondern objektbezogen. Nach dem Motto: Okay, es gibt ein Problem, aber das kann man lösen. Dann steige auch wieder die Zuversicht in einer Gesellschaft. Die Einwanderungswelle sei doch gar nicht so aufregend, meinte Münkler. Denn schließlich sei Deutschland spätestens seit der Industrialisierung schon immer ein Einwanderungsland gewesen und habe davon erheblich profitiert. Alles andere sei "eine Lebenslüge der Deutschen".

Junge Syrer beim Studium in Berlin: "Genau die Gruppe, die Deutschland braucht"Bild: picture alliance/dpa/G. Fischer

Seine Ehefrau, Marina Münkler, mit der der Politologe gerade das Buch "Die neuen Deutschen" veröffentlicht hat, vermisst in der Flüchtlingsdebatte einen optimistischen Blick nach vorn. Wie können die "neuen Deutschen" helfen, unser Land besser zu machen? Die jungen Syrer seien doch demografische genau die Gruppe, die Deutschland brauche, so Marina Münkler, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Viel zu stark würde allein über die Integration in den Arbeitsmarkt gesprochen. Als "schief" kritisierte sie eine "zunehmende Verwischung der Unterschiede bei den Migranten", die auf den Islam reduziert würden. Auch den Frauen werde viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Münklers plädierten für mehr Optimismus. Demokratien brauchten Augenblicke der Erneuerung als eine Art Schocktherapie. Genau in diesem Prozess sei Deutschland gerade.

"Könnte auch ein Türke sein" - Bundeswirtschaftsminister GabrielBild: picture-alliance/U. Baumgarten

Auf die Realität der deutschen Einwanderungsgesellschaft kam auch die Migrationsforscherin Naika Foroutan zu sprechen. Gefragt nach dem, was dem Aussehen nach typisch deutsch sei, würden viele Deutsche eher immer "einen typischen Schweden" beschreibe. Was sie immer amüsiere. Der typische Deutsche dagegen sei in seinem Erscheinungsbild viel vielfältiger. Und das schon seit Generationen, nicht erst seit der jüngsten Migrationswelle. "Sigmar Gabriel könnte vom Aussehen her auch ein Türke sein", beschrieb Foroutan die "deutsche" Realität.

Unterschiede seien schon lange da, darüber müsse eigentlich nicht neu gesprochen werden, sagte Heinz Bude dazu. Was aktuell aber nötig sei, das beschrieb der Soziologe als ein Update in der "Grammatik des Aushandelns von Unterschieden". Bude formulierte damit eine interessante Umschreibung des Wortes "Integration".

Ist das Internet schuld?

Das Wort des Jahres 2016 "Postfaktisch", was in Deutschland symbolisch für den Zustand öffentlicher Debatten steht, erweiterte der Nachhaltigkeitsforscher Ortwin Renn um die Begriffe "Posterfahrungswelt", "Post-Vertrauensgesellschaft" und "Post-Ethik". Kurz gesagt: Die "alten" Institutionen Kirche und Wissenschaft können heute nicht mehr eindeutig sagen: So ist es. Für jede mögliche Erklärung findet sich im Internet eine Bestätigung. Zudem machen wir nicht mehr so viele eigene reale Erfahrungen und müssen immer mehr auf andere vertrauen. Doch das Vertrauen in Institutionen sinkt. Ethische Maßstäbe ändern sich. Das Ergebnis? Intuition ersetzt Vernunft.

Zum Thema "Hassbotschaften im Internet" warnte der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer vor allzu leichten Erklärungsversuchen. Diese seien nicht Folge des Internets, sondern eher ein Sichtbarkeitsproblem, also etwas, was schon vorher da aber nicht zu lesen war. Auch gelte noch immer der alte Grundsatz aus der Medienwissenschaft, dass es keine klare Ursache-Wirkungsbeziehung gebe.

Trump als warnendes Beispiel

Die anwesenden Medienvertreter diskutierten, wie da noch klassischer Journalismus durchdringen könne? Noch gebe es keine wirkliche Strategie dagegen. Das sagten auch Ingrid Thurnher vom Österreichischen Rundfunk und Roger de Weck, Generaldirektor des Schweizer öffentlichen Rundfunks.

De Weck warnte aber vor falschen Strategien. Seiner Meinung nach sei die zunehmende  Boulevardisierung gefährlich. Weil die Stilmittel vom Boulevard und Populismus ähnlich seien: Show statt Substanz, Personalisierung statt Strukturdebatte, Betonung von Konflikten und anderes mehr. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk werde in vielen Ländern von Populisten angegriffen. Weil sie "Aushängeschilder der Aufklärung" seien. Die autoritäre Bewegung strebe "Willkür statt Menschenrechte und einen Kult der Machtmenschen" an, so der Schweizer Medienmanager.

Es brauche Projekte gegen diesen Trend. Kritik alleine reiche nicht, sondern mache im Gegenteil Populisten dann oftmals noch stärker, weil es bei vielen "ein Bedürfnis nach Diabolismus" gebe. Am Ende sprachen die Teilnehmer dann auch über die Pressekonferenz des designierten US-Präsidenten Donald Trump, auf der ein neuer Umgang mit Presse mit Erschrecken wahrnehmbar war.

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