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Politik

Die Folgen des Kopftuch-Urteils

Nina Niebergall
14. März 2017

Religiöse Symbole können am Arbeitsplatz verboten werden, so ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Das gelte für alle Glaubensgemeinschaften, heißt es, benachteiligt werde niemand. Kritiker sehen das anders.

Symbolbild - Kopftuch am Arbeitsplatz
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Eine Frage spaltet die Gemüter nach dem Urteil zu religiösen Symbolen - und damit auch Kopftüchern - am Arbeitsplatz: Ist es diskriminierend oder nicht? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden: Unternehmen dürfen das Tragen von "politischen, philosophischen und religiösen Zeichen" untersagen. Es stelle keine "unmittelbare Diskriminierung" dar, heißt es in dem Urteil der Luxemburger Richter.

Genau das bestreitet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International: "Die enttäuschende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gibt Arbeitgebern größeren Spielraum, Frauen und Männer auf der Grundlage ihrer religiösen Überzeugung zu diskriminieren."

Zwei Fälle vor dem EuGH

Geklagt hatten eine belgische und eine französische Frau. Samira A. war drei Jahre lang bei einer belgischen Sicherheitsfirma beschäftigt, bevor sie 2006 ankündigte, ihr Kopftuch von nun an auch während der Arbeitszeit zu tragen, statt wie bisher nur in ihrer Freizeit. Das widersprach der internen Arbeitsordnung, die "sichtbare Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen" untersagt. Wenig später wurde A. entlassen, sie zog vor Gericht. 

Hier fiel das Urteil zu Kopftüchern am Arbeitsplatz: Am Europäischen Gerichtshof in LuxemburgBild: picture-alliance/dpa/T. Frey

Im Fall der französischen Software-Designerin Asma B. gab es keine solche betriebliche Vorschrift, als sie 2008 mit ihrem Kopftuch einem Kunden gegenübertrat. Als dieser sich beschwerte, bat die Firma, bei der B. angestellt war, sie solle "nächstes Mal keinen Schleier" tragen. Als sie weiterhin darauf bestand, wurde sie entlassen.

Nun urteilten die Luxemburger Richter, ein Verbot könne nicht einfach deshalb erlassen werden, weil sich Kunden an dem Kopftuch störten. Außerdem müssten alle Arbeitnehmer eines Unternehmens gleichbehandelt werden, Angehörige einer bestimmten Religion oder Weltanschauung dürfen nicht in besonderer Weise benachteiligt werden. 

Eine diskriminierende Hintertür?

Dennoch moniert Amnesty, der EuGH habe eine "Hintertür für genau solche Vorurteile geöffnet". "Zu einer Zeit, in der Identität und Erscheinungsbild ein politisches Reizthema sind, brauchen die Menschen mehr Schutz vor Diskriminierung, nicht weniger." Damit trifft die Menschenrechtsorganisation den Nerv vieler Aktivisten. Auch Islamverbände sowie die Evangelische Kirche in Deutschland äußern sich kritisch.

Zustimmung kommt aus dem Lager der europäischen Konservativen. Das Urteil verteidige europäische Werte, meint CSU-Europapolitiker Manfred Weber. Es sei richtig, "dass Arbeitgeber das Tragen von Kopftüchern am Arbeitsplatz unter bestimmten Umständen untersagen können".

Auch für deutsche Unternehmen werde es mit dem EuGH-Urteil einfacher, "religiöse oder weltanschauliche Symbole zu untersagen", meint Bernhard Franke von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Bislang dürfen Frauen am Arbeitsplatz prinzipiell ein Kopftuch tragen. Das garantiert seit 2005 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das jegliche Benachteiligungen etwa wegen ethnischer Herkunft oder Religion verhindern soll. Dieses Recht kann der Arbeitgeber aber einschränken, wenn es "sachliche Gründe" dafür gibt, etwa die Sicherheit am Arbeitsplatz, eine Störung des Betriebsfriedens oder eine drohende Geschäftsschädigung durch Beschwerden von Kunden.

Rechtsanwältin Beck: "Es wird Unternehmen geben, die über das Ziel hinausschießen"Bild: Kanzlei Hasselbach

Recht auf Religionsausübung

Viel Spielraum hätten Arbeitgeber dabei nicht, meint Rechtsanwältin Manuela Beck. "Die Rechtsprechung in Deutschland ist sehr streng, weil es rechtlich geschützt ist, Religionsausübung zu artikulieren." Das ändere sich auch nach dem EuGH-Urteil nicht, meint sie. Dennoch räumt die Anwältin für Arbeitsrecht ein: "Sicherlich wird es auch Unternehmen geben, die über das Ziel hinausschießen."

Tatsächlich hatten deutsche Gerichte in der Vergangenheit mal für, mal gegen das Tragen von Kopftüchern geurteilt. So entschied das Bundesarbeitsgericht 2002 etwa im Sinne einer Kaufhausverkäuferin, der gekündigt worden war, weil sie bei der Arbeit einen Hidschab trug. Ob Lehrerinnen Kopftücher tragen dürfen, bestimmen die jeweiligen Bundesländer selbst. Während es die Schulgesetze von Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz erlauben, dürfen in bayerischen und Berliner Schulklassen weder Kopftuch noch Kippa getragen werden, auch keine großen Kreuze. 

Karriere mit Kopftuch?

02:35

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Sichtbare Symbolik

Eben das könnte künftig auch Angestellte in privaten Unternehmen erwarten. Von einer systematischen Benachteiligung will Franke von der Antidiskriminierungsstelle dabei nicht sprechen. "Das Urteil des EuGH bezieht sich auf die entsprechende europäische Richtlinie, die Diskriminierung wegen Religion oder Weltanschauung verbietet", sagt er. In der Praxis könne es allerdings mehr muslimische Frauen oder Anhänger des Sikhismus treffen als gläubige Christen, räumt er ein. Der Grund ist offensichtlich: Ein Kreuz lässt sich unter der Kleidung tragen, muss zudem nicht sehr groß sein. Ein Hidschab oder der Turban der Sikhs ist kaum zu verbergen, für viele aber Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung, auf die sie nicht verzichten wollen.

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, findet deutlichere Worte als ihr Kollege. Arbeitgeber sollten sich "gut überlegen, ob sie sich durch Kopftuchverbote in ihrer Personalauswahl einschränken wollen", meint sie. Es könne "für muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, in Zukunft noch schwerer werden, in den Arbeitsmarkt zu kommen".

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