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Literatur

Buchmesse bricht Lanze für Meinungsfreiheit

Sabine Peschel
18. Oktober 2016

Als eine Plattform für starke und unabhängige Ideen sieht sich die weltgrößte Buchmesse. Beim Festakt zur Eröffnung gab es deutliche Kritik an der Türkei: Die Freiheit des Wortes sei nicht verhandelbar.

Deutschland Buchmesse Frankfurt
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Die 68. Frankfurter Buchmesse ist eröffnet. Beim Festakt am Dienstagabend (18.10.2016) verlas Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, einen Brief der türkischen Autorin Asli Erdogan. Sie war 2008 in Frankfurt, als die Türkei Ehrengast der Buchmesse war. Jetzt sitzt sie in der Türkei im Gefängnis: 

"Hinter Steinen, Beton und Stacheldraht rufe ich - wie aus einem Brunnenschacht - zu euch: Hier in meinem Land lässt man mit einer unvorstellbaren Rohheit das Gewissen verkommen. Dabei wird gewohnheitsmäßig und wie blind versucht, die Wahrheit zu töten. Auch wenn ich nicht weiß wie, aber die Literatur hat es immer geschafft, Diktatoren zu überwinden." 

Sitzt in der Türkei in Haft: Asli ErdoganBild: Imago

Hunderte Zuhörer lauschten den Zeilen, darunter König Philippe von Belgien, König Willem-Alexander der Niederlande sowie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. 

Riethmüller sieht Verlage und Buchhandlungen in einer wichtigen Rolle: Autoren, Verleger, Buchhändler und Übersetzer gestalteten den gesellschaftlichen Meinungsprozess maßgeblich mit. "Gerade jetzt braucht die Gesellschaft starke und unabhängige Ideen- und Inhaltsvermittler, die Informationen und Geschehnisse einordnen, hinterfragen und differenzieren." Besonders bedrohlich sei dabei die Situation in der Türkei: Mindestens 140 Medienhäuser wurden geschlossen, darunter 30 Buchverlage, selbst Kinderbuchverlage. Mehr als 130 Autoren und Journalisten sitzen in türkischen Gefängnissen.

#FreeWordsTurkey

"Die Freiheit des Wortes ist für uns ein Menschenrecht und nicht verhandelbar", betonte Riethmüller in Frankfurt. "Doch die Politik schweigt, schaut zu und handelt nicht." In einer Online-Petition (#FreeWordsTurkey) werden Bundesregierung und EU-Kommission aufgefordert, die Meinungs- und Pressefreiheit kompromisslos zu verteidigen. Die Initiative von Börsenverein, Reporter ohne Grenzen und PEN-Zentrum Deutschland wurde bisher von rund 80.000 Menschen unterzeichnet.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz appellierte bei der Eröffnungsveranstaltung an den türkischen Präsidenten ErdoganBild: picture alliance/Sven Simon/V. Essler

Der Appell kam an. "Es gilt, unser europäisches Gesellschaftsmodell gegen die Feinde der Freiheit zu verteidigen", sagte EU-Parlamentspräsident Schulz bei der Eröffnungsfeier - und forderte einen "Aufstand der Anständigen" gegen den wachsenden Populismus in Europa. Die europäische Einigung sei ein großes Geschenk, ja ein Wunder. "Als Europäer haben wir uns gegenseitig geschworen, es in diesem Jahrhundert besser zu machen als zu Beginn des letzten. Jetzt ist dafür unsere Bewährungsprobe", sagte der SPD-Politiker. Schulz erklärte sich solidarisch mit dem Aufruf der deutschen Buchbranche zur Freilassung aller in der Türkei inhaftierten Autoren und Journalisten. "Lassen Sie diese Leute frei", appellierte er an die türkische Regierung und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Ensaf Haidar vergibt Preis für mutigen Journalismus

Am Nachmittag, während der Pressekonferenz zum Auftakt der Buchmesse, machte die Nachricht die Runde, dass der in Saudi-Arabien inhaftierte Blogger Raif Badawi erneut ausgepeitscht werden soll. Ensaf Haidar, die Ehefrau des zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben Verurteilten, war kurz zuvor in der Messestadt eingetroffen: Sie wird am Mittwoch einen Preis für mutigen Journalismus vergeben. "Wir müssen laut werden", sagt Jürgen Boos, Geschäftsführer der Frankfurter Buchmesse. Timothy Garton Ash zitierend fordert er "eine Kultur der offenen Diskussion und der robusten Zivilität".

Die Menschenrechtsaktivistin Ensaf HaidarBild: picture-alliance/dpa/A. Heinl

Meinungsfreiheit war auch das zentrale Thema der Buchmesse im vergangenen Jahr. Salman Rushdie war 2015 zur Auftakt-Pressekonferenz eingeladen. Der indisch-britische Autor, der noch immer von der 1989 von radikalen Muslimen gegen ihn ausgesprochenen Fatwa bedroht ist, plädierte damals leidenschaftlich für den weltweiten Kampf für die Meinungsfreiheit. Zur 68. Frankfurter Buchmesse setzen die Veranstalter diesen Kampf intensiv fort: "Die Welt ist in Aufruhr, inzwischen als Dauerzustand. Weltweit schwelen an alten und neuen Fronten Konflikte, die europäische Idee bröckelt, Populismus und Nationalismus breiten sich immer mehr aus."

"The Future Will Be Confusing", steht auf einem Banner der Messe. Auch Messedirektor Jürgen Boos mahnt: "Wir erleben eine Unübersichtlichkeit, die sich nicht mal eben so einfach verarbeiten lässt. Wir beobachten eine neue Eindimensionalität in der politischen Anschauung, indem nationale oder religiöse Identitäten gegeneinander ausgespielt werden." Die größte internationale Buchmesse sieht er als einen Ort, an dem sich "die Fragmentierung der Welt, aber auch ihre Vielfalt" besonders deutlich erkennen lässt. Man sei bereit für die Debatten um die Zukunft. Der in diesem Jahr verstorbene Umberto Eco habe es so ausgedrückt: "Literatur kann helfen, die Welt zu sortieren."

Das Motto der Gastregion gilt auch für Europa: "Was wir teilen"

Eine flämische Küstenlandschaft wird im Pavillon der Gastregion auf halbdurchsichtige Vorhänge projiziert, die sich in einer Glasoberfläche spiegelnBild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Die gemeinsame Sprache Flanderns und der Niederlande schafft einen gemeinsamen Kulturraum - und der ist diesmal Ehrengast bei der Buchmesse. Das Motto der Gastregion "Das ist, was wir teilen" ließe sich auf ganz Europa übertragen, sagt Jürgen Boos. "Wir alle in Europa teilen gemeinsame Werte". 454 Neuerscheinungen präsentieren die Verlage, etwa 70 flämische und niederländische Schriftsteller werden ab Mittwoch (19.10.2016) ein umfangreiches literarisches Programm präsentieren. Der niederländische König Willem-Alexander und das belgische Königspaar Philippe und Mathilde eröffneten am Dienstagabend den Ehrengast-Pavillon. Die Gastregion präsentiert sich auch digital fortschrittlich: mit einer Virtual Reality-Show, bei der man zum Beispiel den 1929 von Mies van der Rohe geschaffenen Barcelona-Pavillon virtuell betreten kann.

Museen und Kulturinstitutionen als Verlage: "The Arts+"

Kunst ist ohnehin ein Pfund, mit dem die 68. Frankfurter Buchmesse wuchert. Der große Star der Messe ist in diesem Jahr kein Schriftsteller, sondern ein Maler: David Hockney präsentiert sein im Taschen-Verlag in einer Auflage von 1000 Exemplaren erschienenes übergroßformatiges SUMO-Buch: "A Bigger Book". Für 2000 Euro kann man das fast 500 Seiten starke Werk zusammen mit einem Band mit Beschreibungen erwerben. Für 4000 Euro bekommt man dazu noch eines der digitalen, auf einem iPad entstandenen Gemälde.

Der britische Künstler David Hockney blättert in seinem großformatigen "SUMO - A Bigger Book"Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Für eine Pressekonferenz waren es ungewöhnlich ruhige Minuten, als Hockney hunderten Journalisten einige seiner Gemälde und ihre digitale Entstehung zeigte. Er tat dies in seiner "eigenen faszinierenden Version des Storytelling", wie Jürgen Boos es beschrieb. Hockney ist bei weitem nicht der einzige Künstler, der auf der Messe präsent ist. "The Arts+" wurde als Messe innerhalb der Messe neu ins Leben gerufen: Berühmte Museen, darunter das New Yorker MoMa (Museum of Modern Art) und das Londoner Victoria & Albert Museum, sowie Institutionen, etwa das Google Cultural Institute, treten in diesem neu geschaffenen Messesegment als Verlage, Künstler und Autoren auf - die Frankfurter Buchmesse erweitert ihren Literaturbegriff von Jahr zu Jahr mehr.

Diskussionen, Konferenzen, Marktplatz

Bis Sonntag (23.10.2016) werden über 7000 Aussteller und hunderte Autoren mit Journalisten, Fachpublikum, Kollegen und - an den letzten beiden Tagen - auch mit interessierten Besuchern sprechen und diskutieren. In unzähligen Veranstaltungen und Foren wird gelesen, über die Meinungsfreiheit, die Flüchtlingsintegration und die Digitalisierung gestritten werden. Dutzende Preise werden vergeben - den prominentesten, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, nimmt am Sonntag die Publizistin Carolin Emcke entgegen. An den Verlagsständen und im "Business-Club" werden Lizenzen verhandelt und Deals abgeschlossen - vielleicht ja sogar von einem der sechs aus Syrien angereisten Verlage. Das wäre ein hoffnungsvolles Zeichen.

Vielfalt: Die Buchmesse 2016Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst
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