1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Die Frauen der Asow-Kämpfer: "Die Lage ist kritisch"

Roman Goncharenko | Zakhar Butyrskyi
16. Mai 2022

Die Ehefrauen der bislang im Asow-Stahlwerk eingeschlossenen ukrainischen Kämpfer sind auf einer Rettungsmission unterwegs. Die DW sprach mit ihnen über die dramatische Lage und das Treffen mit dem Papst.

Fedosjuk und Prokopenko (mittig) beim Papst, 11. Mai 2022
Julia Fedosjuk (zweite von links) und Kateryna Prokopenko (rechts daneben) beim Papst am 11. Mai 2022Bild: Gregorio Borgia/AP Photo/picture alliance

Sie sind in einer verzweifelten Lage, verlieren jedoch nicht die Nerven. So sieht die Welt in zahlreichen Videoschalten die ukrainischen Kämpfer, die im Stahlwerk Asovstal in Mariupol seit Wochen von russischen Truppen belagert werden. Ähnlich treten ihre Ehefrauen auf, die in diesen Tagen auf einer Art Rettungsmission in Europa unterwegs sind. Laut ukrainischen Angaben konnten inzwischen mehr als 260 der Soldaten das Gelände verlassen. DW sprach zuvor mit den Ehefrauen in Köln. 

"In Asovstal wird kein Krieg geführt, dort werden Menschen kaltblütig massakriert", sagt Julia Fedosjuk. Ihr Ehemann Arsen ist einer von hunderten Kämpfern, die sich in den Bunkern des Asow-Stahlwerks verschanzt haben. "Es gibt ständig Luftangriffe, Bombardierungen, bei denen auch Räume mit Verwundeten getroffen werden", sagt Julia. Auch Wasserquellen werden gezielt angegriffen, wobei es sich nicht einmal um Trinkwasser handele.

"Die Kräfte sind am Anschlag"

Julias Mann ist verwundet. Zum Gesprächszeitpunkt war unklar, ob er das belagerte Werk wird verlassen können. Die Aktion begann inzwischen mit der Evakuierung einer größeren Gruppe - das russische Verteidigungsministerium hatte eine Waffenruhe in Mariupol verkündet, um verletzte Soldaten aus dem Stahlwerk zu holen. Wie viele Kämpfer sich nun noch in Asovstal aufhalten, ist unklar. In den Tagen zuvor wurden nach mehreren Vermittlungsversuchen bereits Zivilisten aus dem Asow-Stahlwerk evakuiert. Es herrscht jedoch Misstrauen auf der ukrainischen Seite. "Geblieben sind nur diejenigen, die Angst haben, nach Russland verschleppt und getötet zu werden", so die Frau des ukrainischen Soldaten.     

Das Asow-Stahlwerk in Mariupol, 11. Mai 2022Bild: Alexander Ermochenko/REUTERS

Julia Fedosjuk ist zusammen mit Kateryna Prokopenko unterwegs. Deren Ehemann Denys, Oberstleutnant der Nationalgarde der Ukraine und des Regiments Asow, ist in der Ukraine sehr bekannt und wurde von Präsident Wolodymyr Selenskyj im März mit dem Titel "Held der Ukraine" ausgezeichnet. Kateryna erzählt, sie habe täglich Kontakt mit ihrem Mann, doch die Gespräche wären stets kurz und trocken gewesen. Die Botschaft: Es sei sehr schwer, man halte durch. "Die Lage ist kritisch. Ich spüre in seinen Audionachrichten, dass die Kräfte am Anschlag sind. Das passiert, wenn man nur einmal am Tag isst und trinkt", sagt Kateryna Prokopenko.

Die beiden Frauen sind Ende 20. Als Russland Ende Februar die Ukraine überfiel, seien sie in Kiew gewesen, erzählen sie und hätten als Freiwillige der ukrainischen Armee geholfen und Spenden für Ausrüstung gesammelt. Eine Ausreise ins Ausland sei nicht geplant gewesen. Sie erklären, dass sie gerne auf die Sicherheit in Europa verzichten und zu ihren Männern ins Asow-Stahlwerk gehen würden - wenn es denn möglich wäre. Doch sie haben auch hier eine Aufgabe: "Das Problem laut herauszuschreien, um Hilfe zu bitten und die Wahrheit zu erzählen."

Wer trägt die Schuld an der Einkreisung von Mariupol?

Dazu gehört etwa die Frage, wie es zu der Einkreisung von ukrainischen Kämpfern durch die russische Armee in Mariupol kam. "Schuld sind Kommandeure aus den umliegenden Orten, die sie aufgegeben und eine schnelle Einkreisung möglich gemacht haben", meint Julia Fedosjuk. Präsident Selenskyj als Oberbefehlshaber mache sie dagegen keine Vorwürfe. Ihr Appell an Selenskyj lautet jedoch: "Noch mehr darüber sprechen, mehr verhandeln, mehr fordern."  

Verwundete Kämpfer im Asow-Stahlwerk, Mai 2022 Bild: Dmytro 'Orest' Kozatskyi/ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Der bisher größte Erfolg der jungen Frauen war ein Treffen mit Papst Franziskus im Vatikan Anfang Mai. Geholfen haben persönliche Kontakte, erzählt Julia Fedosjuk. Sie sei Mitarbeiterin im Büro eines ukrainischen Abgeordneten, dessen Vater ukrainischer Botschafter im Vatikan sei. Aus einer Idee, einen Brief mit der Bitte um Hilfe an den Papst zu schreiben, sei schließlich ein Treffen geworden. "Unser wichtigstes Ziel ist es, unsere Männer und alle im Asow-Stahlwerk zu befreien", sagt Fedosjuk.

Es hat in der jüngsten Geschichte der Menschheit viele Beispiele von belagerten Städten und Orten gegeben. Die Ehefrauen der Kämpfer von Mariupol halten jedoch wenig von historischen Vergleichen. Der Kampf um Asovstal sei doppelt symbolisch, so Julia Fedosjuk. Es habe die Machtlosigkeit des Westens aber auch den Widerstand der Ukraine gezeigt. "Egal wie es am Ende ausgeht, die Ukraine hat bereits gesiegt, moralisch auf jeden Fall." Sie hoffe sehr, dass der Westen die Machtlosigkeit überwinden werde.

 

Aktualisierung: Die Hinweise auf die erfolgte Befreiungsaktion verletzter Kämpfer wurden am 17.05.2022 frühmorgens ergänzt.