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Das Netz in der Politik

5. Dezember 2011

Seit dem Erfolg der Piratenpartei bei der Berlin-Wahl haben die politischen Parteien die Netzpolitik entdeckt. Auch bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung wurde jüngst über das Ende des freien Internets diskutiert.

Eine zugreifende Hand auf einem Laptop-Bildschirm (Bild: dpa)
Bild: dpa

Die beiden Herren sind etwas irritiert. "Is ja noch keener da", berlinert der eine in seinen angegrauten Vollbart. "Die kommen noch", antwortet der andere, dessen Walross-Schnauzbart sich durchaus mit dem des polnischen Arbeiterführers Lech Walesa messen lassen kann. "Det is eben 'ne andere Klientel heute." Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat zu einer netzpolitischen Debatte geladen. Denn seit dem Achtungserfolg der Piratenpartei bei der letzten Bundestagswahl - zwei Prozent der Stimmen holte sie damals - besonders aber seit dem Einzug der Netzpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus im August dieses Jahres, dämmert auch der älteren Politikergeneration, dass man das Thema Netzpolitik als Partei besser nicht übersehen sollte. Nun sind auch die beiden älteren Sozialdemokraten hergekommen um zu sehen, wie sich ihre Partei dem neuen Thema stellt.

Das Ende des freien Netzes?

Der frühere SPD-Fraktionschef Peter Struck leitet heute die Friedrich-Ebert-StiftungBild: AP

Mehr als auf die "andere Klientel" und deren Themen freuen sich die beiden älteren Berliner Sozialdemokraten allerdings darauf, "den Struck" zu sehen. Peter Struck war als Fraktionschef der SPD einmal so etwas wie das vorderste Schlachtross der Sozialdemokraten. Heute leitet er die parteinahe Stiftung und darf deshalb die Veranstaltung eröffnen. Und auch ihm ist das Thema des Abends eher fremd. "Da hat man sich eben erst daran gewöhnt das Internet zu benutzen", sagt der alte Sozialdemokrat, "und jetzt kommt einer wie der Götz Hamann daher und orakelt: Vergesst das Netz, es war alles ein schöner Traum von gestern."

Besagter Götz Hamann hat ein Buch mit dem alarmierenden Titel "Zeitbombe Internet" geschrieben. Sucht man beim Internethändler Amazon nach "Zeitbombe", dann erscheint es in der Liste noch vor "Zeitbombe Klimawandel", "Zeitbombe Mensch" und "Zeitbombe 'dummer' Schüler", das sich mit der Situation auf dem Lehrstellenmarkt befasst. Struck bezeichnet Hamann als Ideengeber der Veranstaltung, die eine heiß diskutierte Frage klären soll: Ob nämlich angesichts von Hackern, Kriminellen und Terroristen die Tage des "freien Netzes" nicht längst gezählt sind.

Seit die Piraten das Berliner Stadtparlament geentert haben, herrscht AufregungBild: picture alliance/dpa

Die SPD ist nicht die einzige Partei, die sich in den letzten Monaten demonstrativ auf das Thema gestürzt hat. Der parlamentarische Geschäftsführer der konservativen CDU/CSU-Fraktion hat sich ein Konto beim Kurznachrichtendienst Twitter eingerichtet – und über diese Erfahrung gleich noch einen langen und begeisterten Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschrieben.

Die Grünen haben auf ihrem letzten Parteitag einen netzpolitischen Antrag verabschiedet, der die häufigsten Forderungen der Netzgemeinde umgehend zum Parteiprogramm erklärt hat. Sämtliche Parteien haben netzpolitische Sprecher ernannt – auch die Sozialdemokraten. Der heißt Lars Klingbeil und darf als Internetspezialist natürlich auch auf dem Podium sitzen - neben dem bereits erwähnten Buchautor Götz Hamann, Constanze Kurz, der Sprecherin des "Chaos Computer Club" sowie dem Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberger.

Droht dem Netz ein Vertrauensverlust?

Schönberger greift dann auch gleich mächtig ins Register der Schreckensszenarien und prophezeit ein "Internet-Hiroshima", um sich dann aber gleich zu korrigieren. Ein "Internet-Fukushima" habe er gemeint, einen Vorfall – "das kann letztlich ein ganz kleiner Fall sein" – der das Vertrauen in die "neue Technologie" so nachhaltig erschüttere, dass danach niemand mehr das Netz nutzen wolle. Denn angesichts von Cyberkrieg und Internetkriminalität müsse man leider feststellen: "Die Wissenschaft weiß praktisch gar nichts über das Ausmaß der Sicherheit oder Unsicherheit im Netz."

Der Buchautor Götz Hamann kann dem nur beipflichten. Der Vertrauensverlust ins Netz könne "nicht wieder rückgängig" gemacht werden. Es klingt nach einem gelungenen Abend für alle, die gerne einmal angesichts drohender Katastrophen wohlig erschauern.

Constanze Kurz ist Informatikerin und Sprecherin des "Chaos Computer Club"Bild: picture alliance/dpa

Etwas Nüchternheit bringt dann Constanze Kurz in die Debatte. Leicht schmunzelnd verfolgt sie die Beiträge ihrer Vorredner. "Ich teile den Pessimismus nicht", sagt sie, und das liege nicht nur daran, dass sie sich ein Leben ohne Internet heute nur noch schwer vorstellen könne. Die Gefahren des Internets ließen sich mit beherzten politischen Maßnahmen durchaus eindämmen.

Der Chaos Computer Club, der bereits in den achtziger Jahren auf Sicherheitslücken in der Informationstechnologie aufmerksam machte, fordert seit Jahren schärfere Bestimmungen zum Datenschutz. Damit allerdings scheitere man vor allem an der Lobbyarbeit jener Firmen, die mit diesen Daten Geld verdienen. "Der Politik fehlt es an Mut, bestimmte Geschäftsmodelle zu regulieren", sagt sie. "Wir reden längst nicht mehr über freie anarchische Netze, sondern über ein durchkommerzialisiertes Internet."

Das klingt zwar weniger spektakulär als die Angst vor einem Internet-Fukushima. Bei den älteren Sozialdemokraten im Publikum trifft sie damit aber durchaus einen Nerv. Ein Herr mit schütteren langem Haar möchte hinterher von ihr wissen, ob es sich dabei um eine ähnliche "Monopolisierung" und "Durchkapitalisierung" handele, wie sie bereits vor längerer Zeit in der Industrie zu beobachten gewesen sei. Ein anderer bemerkt nach der Veranstaltung zufrieden: "Wenn die vom Chaos Computer Club was sagen, hab ich immer das Gefühl, das hat Hand und Fuß."

Kampf um die Stimmen der Netzgemeinde

Lars Klingbeil soll das Profil der SPD in der Netzgemeinde schärfenBild: dpa

So viel Autorität scheint Deutschlands bekannteste Hackerin an diesem Abend auszustrahlen, dass Lars Klingbeil, der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, des Öfteren zu ihr hinüberschielt, um sicherzugehen, dass sie wenigstens andeutungsweise nickt, wenn er mit Stichworten wie "Datensparsamkeit" zentrale Forderungen der Internetgemeinde wiederholt. Er habe bei Vertretern der Netzgemeinde den deutlichen Wunsch vernommen, "mit Politikern diskutieren zu können, von denen sie den Eindruck haben, dass die so halbwegs verstehen, worum es geht", sagt er noch. Der Kampf um die Stimmen der Piratenwähler geht in die nächste Runde.

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Matthias von Hein

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