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"Gastarbeiter" aus Jugoslawien: Kein Traum von Rückkehr

12. Januar 2013

Seit dem Anwerbeabkommen von 1968 kamen hunderttausende Menschen aus dem damaligen Jugoslawien in die Bundesrepublik, um hier zu arbeiten. Viele sind bis heute in Deutschland geblieben.

Auf einem schwarz-weißen Foto sind viel Männer und Frauen zu sehen, die sich mit ihrem Gepäck auf einem Bahnsteig drängen, links und rechts sind Züge zu sehen
Gastarbeiter aus Jugoslawien am 15. Dezember 1972 auf dem Frankfurter HauptbahnhofBild: picture-alliance/dpa

"Ich bin ein Gastarbeiter, der hier geblieben ist, weil seine Kinder hier leben. Alle Träume von der Rückkehr sind verflogen": So stellt sich Dragan Pribic vor. Seine Geschichte trifft auf viele Migranten der ersten Generation aus dem ehemaligen Jugoslawien zu.  



Der heute 62-Jährige kam 1970 aus der damaligen jugoslawischen Hauptstadt Belgrad in die Bundesrepublik. Dort boomte die Wirtschaft, man suchte Arbeitskräfte. Schon 1955 hatte Westdeutschland ein Anwerbeabkommen mit Italien geschlossen, bald folgten Spanien, Griechenland, die Türkei, Portugal - und 1968 auch Jugoslawien. Dragan Pribic landete in Frankfurt. Der gelernte Techniker konnte kein Wort Deutsch, das war zunächst aber auch nicht so wichtig: "Am Anfang wollte ich hier nur so lange bleiben, bis ich das Geld für ein Auto sparen kann, also für ein oder zwei Jahre". 

Arbeiten mit gepackten Koffern

Das hätten damals viele gedacht, erklärt Leo Monz, Leiter des Geschäftsbereichs Migration beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB): "Die ausländischen Arbeitnehmer, die gekommen sind, hatten nicht die Perspektive, sich auf Dauer in der Bundesrepublik niederzulassen. Sie hatten immer wieder die Rückkehr vor Augen." Auch deswegen haben viele Arbeitsmigranten ihre Familienmitglieder zunächst nicht mitgenommen. Wenn beide Ehepartner in Deutschland waren, ließ man die Kindern oft "zu Hause", bei den Großeltern.

Eine Gastarbeiter-Familie beim Picknick auf einem RastplatzBild: picture-alliance/dpa

Für Migranten aus Jugoslawien war die Arbeitssuche in der Regel erfolgreich. Anders als die Mehrheit der Gastarbeiter hatten sie gute Qualifikationen - viele waren Handwerker. Auch die deutschen Arbeitgeber seien sehr zufrieden mit ihnen gewesen, erklärt Gewerkschafter Leo Monz.

Nur noch ein Jahr, und dann noch ein Jahr

Dragan Pribic fand schnell eine Arbeitsstelle als Elektriker, konnte nach kurzer Zeit Deutsch sprechen und lernte seine zukünftige Ehefrau kennen. Alles lief sehr gut, er kaufte sein erstes Auto, aber auch seine Ansprüche wuchsen: "Ich dachte, vielleicht nur noch eine kleine Wohnung... Danach kam eine größere Wohnung, zum Schluss das Haus. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich 50 Jahre lang in Deutschland bleiben würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt."

Die harte D-Mark war einer der Gründe, aus denen Menschen aus Jugoslawien in den 1960er und 70er Jahren nach Westdeutschland zogenBild: DW/N. Rujević

Im Vergleich zu anderen ausländischen Arbeitnehmern wurden die "Jugos" - wie man die Gastarbeiter aus Jugoslawien damals nannte - besonders stark von ihrem sozialistischen Staat unterstützt. Dafür spreche beispielsweise, dass viele jugoslawische Clubs und Vereine in Deutschland von der jugoslawischen Botschaft und den zahlreichen Konsulaten mitbegründet und betreut worden seien, sagt Leo Monz. Deutsche Gewerkschaften betrachteten das mit gemischten Gefühlen: "Für uns war das zu viel Staat, insbesondere wenn es darum ging, die Arbeitnehmerinteressen zu definieren", erklärt Leo Monz. "Auf der anderen Seite hatten wir in der jugoslawischen Regierung immer einen Ansprechpartner, der sich für die Belange dieser Menschen verantwortlich fühlte."

Man bleibt unter sich

"Vorübergehende Arbeiter", so die offizielle Bezeichnung in Jugoslawien, arbeiteten tagsüber viel und abends gingen sie dann in ihre eigenen Clubs: Heute würde man dazu sagen, sie lebten in einer Parallelgesellschaft. "Nur wenige Gastarbeiter der ersten Generation haben sich wirklich integriert. Man sagte: Wir sind nur vorübergehend hier, wir sollen keine großen Freundschaften mit den Deutschen schließen, wir sollen uns nicht politisch engagieren", erinnert sich Pribic.

Gastarbeiter im Hauptbahnhof Frankfurt laden am 19.12.1970 Koffer in einen Zug nach JugoslawienBild: picture-alliance/dpa

Diese Rotation von Arbeitskräften - dass also die einen nach wenigen Jahren wieder gehen und an deren Stelle neue kommen - funktionierte aber nie wirklich. Weder wollten viele Gastarbeiter in ihre immer noch armen Heimatländer zurückkehren, noch wollten ihre deutschen Arbeitgeber die einmal eingearbeiteten Mitarbeiter wieder gehen lassen. So wurden aus kurzfristig angeheuerten Arbeitern langfristig in Deutschland lebende Migranten, die dann auch ihre Familien nachkommen ließen. In dieser Zeit sagte der Schriftsteller Max Frisch: "Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen."

Der Krieg veränderte alles

Das ist auch die Geschichte der Familie Pribic: Bald kam ihr erstes Kind, danach das zweite. "Zunächst wollten wir hier bleiben, bis die Kinder in die Schule kommen, dann wollten wir abwarten, bis sie mit der Schule fertig sind. Inzwischen sind wir alt geworden und bekommen hier unsere Rente", erzählt Pribic. Auch nach dem Anwerbestopp 1973 stieg die Zahl der Jugoslawen durch den Familiennachzug in den folgenden Jahren stetig weiter. Mit dem Beginn des Jugoslawien-Krieges 1991 vergrößerte sie sich schlagartig: Migranten holten so schnell wie möglich ihre Verwandten nach Deutschland, viele Flüchtlinge erreichten die Bundesrepublik.

Mit dem Krieg wurden aus Jugoslawen plötzlich Kroaten, Serben, Bosnier oder Mazedonier. Auch zahlreiche jugoslawische Restaurants verschwanden über Nacht, genauso wie die Clubs und Vereine, um am nächsten Morgen unter einer neuen ethnischen Flagge und Bezeichnung wieder aufzuerstehen. "Diese nationalen Unterschiede waren plötzlich so bedeutsam, dass sie zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt haben. Wir waren darüber zutiefst entsetzt", erinnert sich Leo Monz. Für ihn und die meisten Menschen in Deutschland waren diese Unterschiede völlig bedeutungslos und der Krieg kaum verständlich.

Aus Jugoslawen sind Serben, Kroaten, Bosnier, Mazedonier gewordenBild: DW

Die Koffer sind ausgepackt

Inzwischen lebt in Deutschland die zweite und dritte Generation von Menschen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien und den Nachfolgestaaten stammen. Insgesamt wird ihre Zahl auf bis zu 1,5 Millionen geschätzt. Viele von ihnen haben inzwischen den deutschen Pass.

Die Jüngeren gelten als gut integriert, viele der Älteren haben den richtigen Augenblick für eine Rückkehr verpasst. Sie werden in Deutschland bleiben wie Dragan Pribic. Er ist mit 62 immer noch sehr aktiv: Vor einigen Jahren ist er zum Versicherungsältesten des Deutschen Versicherungsbundes ernannt worden. Er berät kostenlos Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien über ihre Rentenansprüche. Seine Kunden sind oft Landsleute die, genau wie er, vor Jahrzehnten vorübergehend als Gastarbeiter kamen und mit den Kindern hier geblieben sind.