Die Generation Mauer
10. Oktober 2014Christoph Links ist ein Mann der frühen Stunde. Am 5. November 1990 hat er im Osten Deutschlands den wohl ersten privaten Verlag gegründet, seinen Christoph Links Verlag. Dessen Anliegen: "weiße Flecken" der jüngsten deutschen Geschichte aufzuarbeiten und die realen Verhältnisse in der DDR zu analysieren. Der Verlag hat sich gut entwickelt, im Laufe der Jahre kamen weitere wichtige Programmsegmente hinzu. Die kritische Auseinandersetzung mit der Deutschen Demokratischen Republik aber dauert bis heute an.
Wir hätten, sagt Christoph Links, in den ersten zehn Jahren nach der deutschen Einheit viel über Mauer, Stacheldraht, Stasi und Grenze erfahren. Aber was das Land zusammen gehalten habe über 40 Jahre und warum es funktioniert habe, das sei lange nicht richtig im Blick gewesen. "Und wenn man sich jetzt der Alltagsgeschichte, der Kulturgeschichte, der Sozialgeschichte endlich zuwendet, dann entsteht endlich ein differenziertes Bild, das dringend nötig ist", sagt er. Material dafür gibt es reichlich, denn pünktlich zum 25. Jahrestag des Mauerfalls sind zahlreiche Publikationen erschienen, in deren Mittelpunkt das Leben ehemaliger DDR-Bürger steht.
Die Angepassten
Roland Jahn, seit Januar 2011 Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, wurde 1953 in Jena geboren. 1982 hat man ihn dort wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten" verhaftet und verurteilt. Ein Jahr später kam Jahn zwar frei, musste dann aber gegen den eigenen Willen aus der DDR ausreisen. In seinem neuen Buch erzählt er nun seine Geschichte, aber auch die seiner Familie und Zeitgenossen. Und dabei reflektiert er offen und ehrlich das Alltagsleben in der DDR.
"Wir Angepassten. Überleben in der DDR" (Piper Verlag) hat Roland Jahn seine Erinnerungen überschrieben. Denn obwohl niemand ein Angepasster sein will, "haben wir es alle getan", heißt es im Buch. "Und tun es noch. Damals und heute." Sich den Umständen anzupassen, sei schlicht eine Überlebensstrategie. Und sie war es auch in der DDR, zu der nicht nur die Allmacht des Staatsapparats, sondern auch das Grundgefühl gehörte, dass etwas passieren könnte, wenn man sich den Regeln nicht beugt.
Fortwährende Annäherung
Zwischen Ost und West sei immer noch viel Annäherung nötig, meint Mara Ebinger, Mitarbeiterin des Verlags Klett Cotta. "Und ich glaube, die Bücher, die jetzt zum Jahrestag des Mauerfalls erscheinen, helfen dabei." Bücher wie Ines Geipels Portrait der "Generation Mauer", das bei Klett Cotta erschienen ist. Eine beeindruckend kluge und vielschichtige Auseinandersetzung der ehemaligen Weltklasse-Sprinterin und Publizistin mit der sogenannten mittleren DDR-Generation, also den um 1960 im Osten geborenen "Mauerkindern".
Sie wurden geprägt von den Tabus und Verboten der DDR sowie von einer Elterngeneration, die von einer Diktatur in die nächste geschliddert war und manch unverarbeitete Altlast in sich trug. 1989 waren diese "Mauerkinder" dann aber jung genug, um sich die neue, groß gewordene Welt zu erobern. Oft mit Schwierigkeiten, mit Fehlstarts und Missverständnissen. Auch davon erzählt dieses Buch.
Von Schoko- und Märchenriegeln
Der Schriftsteller David Wagner wurde 1971 in Andernach am Rhein, unweit von Bonn, geboren. Über den Osten, sagt er, "wusste ich eigentlich wenig. Im Gegensatz zu Jochen, der den Westen immer im Fernsehen sehen konnte, war die DDR für uns inexistent." Jochen, das ist der Schriftsteller Jochen Schmidt, geboren 1970 in Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR. Er wuchs in einem Plattenbauviertel auf, David Wagner in einem Einfamlienhaus am Rhein. In ihrem bemerkenswerten Buch "Drüben und drüben" (Rowohlt Verlag) berichten sie von ihren Kindheiten dies- und jenseits der innerdeutschen Grenze.
Sie erzählen von Schokoriegeln, die "Märchenriegel" und "Fetzer" hießen, und von "Schaumerdbeeren" und "Colafläschchen" - und haben dabei festgestellt, dass ihre Erinnerungen sich überraschend ähnlich sind. "Und dass die DDR für ein Kind nicht so schlimm gewesen ist", wie David Wagner sagt. Für ihn, den Westdeutschen, ist sie heute "eine kuriose Erinnerung", die man kaum noch erklären könne. "Eine Mauer mitten durch Berlin? Meine Tochter sagt dann: Papa, warum haben die sich nicht beschwert?" Es freue ihn, dass Kinder sich heute gar nicht mehr vorstellen können, wie man in einer Diktatur lebe, sagt er.
Ossis und Wessis
All jene aber, die in der DDR gelebt haben, vergessen freilich nicht, wie es dort war. Und sie vergessen auch nicht, dass sie "Ossis" sind. Weil "die Wessis" sie das nicht vergessen lassen. Und weil es eben immer noch feine Unterschiede gibt. Davon erzählen zwei kurzweilige Bücher, "Der Osten ist ein Gefühl. Über die Mauer im Kopf" von Anja Goerz (dtv) und "Die Ostdeutschen. 25 Wege in ein neues Land", ein Gemeinschaftsprojekt von rbb, credo film, Berliner Zeitung und dem Christoph Links Verlag.
Manfred Stolpe, der ehemalige Ministerpräsident des Landes Brandenburg, präsentierte das neue Gemeinschaftswerk auf der Frankfurter Buchmesse. Er wünscht sich, dass nie vergessen wird, "dass die Menschen ihre Souveränität ausgeübt haben an diesem 9. November". Dies sei die Krönung der Protestbewegung gewesen, meinte er. "Da haben wir erlebt, dass die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben."