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Die gescheiterte Revolution

Ute Schaeffer22. April 2013

Zehn Jahre nach der "Orangenen Revolution" ist die Ukraine auf dem Weg in die sowjetische Vergangenheit. Gibt es noch Rettung? Eine Analyse von Ute Schaeffer.

Ukrainische Polizisten mit Schutzhelmen bewehrt, schauen auf eine orangene Blume mit orangenem Band - der Symbolfarbe der ukrainischen Revolution 2004 (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Zusammen sind wir viele - wir sind nicht aufzuhalten!" So schallte es 2004 aus mehr als 100.000 Kehlen. Damals hielt die "Orangene Revolution" die Ukraine in Atem. Für die Bürgerbewegungen in Tunesien, Ägypten, Libyen war sie ein Modell, für manche gar ein Vorbild.

2004 war die große Prachtstraße Kiews, der Kreschatik, mit orangenen Transparenten geflutet. Aus allen Ecken des Landes fuhren Demonstranten mit Bussen in die Hauptstadt. Durch ihre Proteste verhinderten sie, dass die Wahl zum Präsidenten manipuliert wurde. "Pora" hieß eine der oppositionellen Gruppen: "Es ist an der Zeit!" An der Zeit für Meinungsfreiheit, für Demokratie, für einen entschiedenen Kampf gegen die Korruption. "Ost und West gehören zusammen!" war auf den Transparenten zu lesen. "Banditen gehören in den Knast!" Erreicht wurde all das nicht. Heute, knappe zehn Jahre später, finden sich in der Ukraine nicht mehr viele, die für die Demokratie streiten. Müdigkeit hat sich breit gemacht.

"Orangene Helden" - und Wortbrecher

"Wir sind enttäuscht. Wir vertrauen nicht mehr darauf, worauf wir gewartet haben: auf Verbesserung, Gerechtigkeit und Ehrlichkeit. Es hat sich nichts geändert, alles blieb so wie es war", sagt Natalya aus Kiev. Für die Frau Mitte 40 ist klar, dass die politische Elite das Problem verursacht hat: "Der Fisch beginnt stets am Kopf zu faulen." Auch Oleksander, aus dem Osten des Landes, sieht sein Land im Stillstand: "Das Volk verdient die Politiker, die es wählt."

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Gewählt wurden nach der Revolution zunächst ihre Protagonisten: Präsident wurde Viktor Juschtschenko, der Pro-Europäer, Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Doch die politische Ehe der beiden idealisierten Helden der Protestbewegung hielt dem Alltag nicht stand. "Beide hielten ihr Wort nicht", erinnert sich die Studentin Hanna: "Justschenko hat davon gesprochen, dass es grundsätzlich besser wird: wirtschaftlich, sozial, moralisch. Aber passiert ist nichts. Die Lehrer in den Schulen bekamen damals und bekommen jetzt 1000 Hryvnia, das sind 100 Euro. Der Abwärtstrend in unserem Land hat mit Juschtschenko eingesetzt." Die Korruption griff auch unter den vermeintlich neuen Kräften um sich. Wie zuvor schon wurden Reformen verschleppt, echte Beteiligung verhindert.

Politik ist Familiensache

Dieses politische Versagen stoppte den demokratischen Aufbruch - und führte zum Wahlsieg der Gegner: 2010 wurde Viktor Janukowitsch mit hauchdünner Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Seine Politik dreht die wenigen erreichten demokratischen Verbesserungen zurück: Eine Verfassungsreform von 2004 wurde abgeschafft, der Präsident erhielt wieder mehr Vollmachten, Presse- und Meinungsfreiheit werden erneut beschnitten. Schon wenige Tage nach seiner Wahl besetzte Janukowitsch sämtliche Schlüsselpositionen in der Justiz mit alten Gefährten. Der allgegenwärtige Geheimdienst folgt Nichtregierungsorganisationen und Journalisten. Wer nicht mitspielt, der gerät auf schwarze Listen und verliert seinen Job.

Unter Janukowitsch, dem Wirtschaftsmann aus der Industrieregion Donezk, hat sich ein politisches System etabliert, in dem nichts das ist, was es in einer Demokratie eigentlich sein soll: weder das Parlament, noch die Sicherheitskräfte, noch die Justiz. Ein System, in dem eigenwillige neue Begriffe entstanden sind: "Die Macht" - so nennen die Menschen im Land Regierung und Staatsapparat. Und sie meinen damit das alles entscheidende Netzwerk persönlicher Verbindungen, das über reich und arm, über Macht und Ohnmacht entscheidet.

Machtwechsel im Präsidentenamt 2010 - auf Viktor Juschtschenko folgte Viktor Janukowitsch

Pseudo-Parteien fischen Stimmen ab

"Die Familie" steht im Mittelpunkt dieser Macht - gemeint sind Familie, Freunde und Bekannte von Viktor Janukowitsch. Zu diesem Netzwerk gehören Oligarchen, die es locker auf die Forbes Liste der reichsten Menschen weltweit schaffen - wie Rinat Achmetow, dessen Vermögen aktuell auf 15,4 Milliarden US-Dollar geschätzt wird oder Viktor Pintschuk, der Schwiegersohn des Ex-Präsidenten Leonid Kutschma. Zu den Reichsten im Land zählt inzwischen auch Olexandr Janukowitsch, der älteste Sohn von Viktor Janukowitsch. Seine Geschäfte macht er im Bau und Bergbau, bei Banken und im Energiesektor. 2012 brachte er es damit auf 133 Millionen US-Dollar.

Außerdem gibt es "technische" Parteien, die allein dafür gegründet werden, dass sie Wählerstimmen der Opposition binden - und so, wie bei der Parlamentswahl 2012, größere Oppositionsparteien schwächen. Und es gibt "administrative Ressourcen" - auch das ein Begriff, der schön färbt, um was es geht: Manipulation und Korruption. So weist ein Gouverneur seine Vertreter in den Regionen zum Beispiel an, dass die "Partei der Regionen" zu siegen habe. Nur wenn das geschieht, können Regionen, Distrikte, Städte oder Dörfer mit den dringend benötigten staatlichen Geldern für Schulen, für Kultur, für Krankenhäuser oder Infrastruktur rechnen - eben mit "administrativen Ressourcen". Gelingt es nicht, fließt auch kein Geld.

Korruption entscheidet über Gesetze

Die Revolution ist gescheitert, die Reaktion hat eingesetzt - mit verheerenden Folgen. Mit dem Begriff Demokratie verbinden viele Menschen in der Ukraine heute vor allem Kapitalismus, Bereicherung, endemische Korruption. "In diese Korruption sind Ukrainer auf allen Ebenen einbezogen", erzählt Valentyna Telytschenko. "Sobald du an einem Kiosk Pieroski - Pfannkuchen - verkaufen willst, musst du die Bezirksverwaltung schmieren. Damit fängt es an. Und es endet damit, dass man die Richter der obersten Gerichte kauft, damit sie Entscheidungen treffen, die nicht dem Gesetz entsprechen." Für die Anwältin ist diese alltägliche Korruption das Grundübel, das jeden politischen Wandel verhindert.

Telytschenko gehört zu denen, die sich nie haben aufhalten lassen. 2004 demonstrierte sie mit, hatte gerade ihr Jurastudium beendet. Mit der gleichen Überzeugung kämpft sie noch heute für Gerechtigkeit in ihrem Land. Als Anwältin vertritt sie die Familie des im Jahr 2000 ermordeten Journalisten Georgi Gongadse. Ein Fall, den die ukrainische Justiz und Regierung unbedingt zu den Akten legen wollen. Der aber - trotz einer Reihe von Verfahren - immer noch nicht aufgeklärt ist und politische Hintergründe hat. Zahlreiche Prozesse in der Ukraine wurden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als willkürlich und ungesetzlich angemahnt, erzählt Telytschenko: "Wenn es keine unabhängigen Gerichte gibt, dann kann jeder verurteilt werden oder sein Eigentum verlieren, nur weil ein anderer das so will. Das ist keine Demokratie."

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Die Besten verlassen das Land

Ein Kampf gegen Windmühlen - den auch Tetiana Chornovol immer wieder angeht: Korruption und Vetternwirtschaft aufdecken, das ist ihr Ziel. "Früher handelte es sich um Millionen, heute um Milliarden, die einfach verschwinden", sagt sie. Chornovol arbeitet als investigative Journalistin, schmuggelt sich für Recherchen schon mal als Kellnerin oder Gast auf Familienfeiern von Oligarchen, klettert über Zäune und hat sich kürzlich eine Drohne mit Kamera zugelegt, die sie bald ausprobieren will. "Woanders würde ich das nicht tun. Aber in einem Land wie der Ukraine, wo die Macht alles vor ihren Wählern versteckt, finde ich es richtig, auch mit diesen Mitteln zu arbeiten", sagt sie - nur tatsächliche Folgen haben ihre Enthüllungen selten.

Denn das Volk ist resigniert - und flüchtet. Das Land verliert seine besten Leute: die gut Ausgebildeten, die Mittelschicht. Knapp vier Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer leben auf Zeit oder für immer im Ausland. Politische Opposition? Die hat keinen Platz - jedenfalls nicht im Parlament, in den Medien und auch kaum im öffentlichen Raum.

Zwei entscheidende Jahre

Umso mutiger ist die Arbeit der vielen kleinen Nichtregierungsorganisationen, der Jungen, die sich nicht unterkriegen lassen. So wie "Opora". Das heißt "Pfeile" - und solche Pfeile schießt die Nichtregierungsorganisation mit ihren Protestaktionen auf die Regierung ab: Sie mischt sich in Gesetzesverfahren ein durch offene Briefe, Demonstrationen. "Wir wollen zeigen, dass die Ukrainer die Politik aufmerksam verfolgen. Wir fordern ein, dass die Politiker den Bürgern Rechenschaft schuldig sind." Das verbindet Oleksandr Neberykut und Olga Streljuk. In ihrem bescheidenen Büro in einem Lwiwer Altbau versuchen sie den Geist des demokratischen Aufbruchs von 2004 hochzuhalten.

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Rund 50 Leute gehören zum Aktivistenkreis von Opora - der harte Kern sind weit weniger. "Die Enttäuschung war riesig, nachdem die Orangene Bewegung keinen Wandel gebracht hat", sagt Olga Streljuk. Dennoch sei es sehr wichtig, dass die Zivilgesellschaft Stimmen habe und sich äußere. "Die Ukraine ist auf dem Weg in die sowjetische Vergangenheit." Die kommenden zwei Jahre bis zur Präsidentschaftswahl 2015 sind entscheidend, meint sie: "Wir gehen davon aus, dass der Druck auf Organisationen wie unsere, und auf Andersdenkende insgesamt zunehmen wird."

Es sind Mutige wie Olga und Oleksandr, die das Versprechen auf mehr Demokratie der Bürgerbewegung vor mehr als zehn Jahren einlösen wollen. Die sich nicht aufhalten lassen, nicht von ihrem gemeinsamen Ziel abbringen lassen: zu verhindern, dass in der Ukraine eine Diktatur entsteht. Dass ihr Land ein zweites Belarus wird.

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