Die Siedlungspolitik
22. Juli 2009Israel war wohl selbst überrascht, als es ihm gelang, während des Sechstagekrieges im Juni 1967 nicht nur die ägyptische Sinai-Halbinsel und die syrischen Golan-Höhen zu erobern, sondern auch den Gaza-Streifen und das Westufer des Jordan - Teile des historischen Gebietes Palästina - wie Israel es selbst auch ist. Gaza hatte unter ägyptischer Verwaltung gestanden und das Westjordanland war Teil Jordaniens geworden. Im ersten Überschwang des Sieges sprachen israelische Politiker davon, man erwarte "den Anruf aus Amman, Kairo und Damaskus", mit dem man Frieden für die Rückerlangung der verlorenen Gebiete offerieren werde. Das Telefon blieb aber still und die Arabische Liga beschloss stattdessen im September 1967 in Khartoum ihre drei Neins: Nein zur Anerkennung Israels, zum Frieden und zu Beziehungen mit ihm.
Stattdessen wurden in Israel die aktiv, die besonders bei der Eroberung des Westjordanlandes eine "göttliche Fügung" erblickten: Das ganze "Land Israel" ("Eretz Israel") stehe nun unter israelischer Kontrolle, endlich sei die Rückkehr in die historische Heimat komplett. "Eretz Israel" aber ist identisch mit dem geografischen Begriff Palästina. 1947 hatten die Vereinten Nationen beschlossen, dieses Gebiet unter Juden und Arabern zu teilen, dazu kam es jedoch nicht: Die Araber lehnten ab und auch unter den Juden gab es jene, die argumentierten, man könne doch nicht auf das "Kernland" der historischen Heimat verzichten - wo einst die Propheten ihre Schafe gehütet hatten oder wo ihre Patriarchen begraben sind.
Dort, wo alles begann
Die Stadt Hebron im Westjordanland ist ein klassisches Beispiel: In der traditionell palästinensisch-nationalistischen Stadt liegt das Grab des Patriarchen Abraham. Dort hatte es bis zu dem Zeitpunkt der zwei anti-jüdischen Massaker vor der Staatsgründung Israels eine mehrere hundert Jahre alte jüdische Gemeinde gegeben. So war es kein Zufall, dass sich schon kurz nach dem Sechstage-Krieg eine erste Gruppe nationalistisch-religiöser Juden unter der Führung des fanatischen Rabbiners Levinger in Hebron festsetzte. Offiziell wollte man nur das jüdische Osterfest am Grab Abrahams verbringen. In Wirklichkeit sollte hier die Siedlungspolitik im Westjordanland beginnen.
Der damalige israelische Verteidigungsminister Mosche Dajan tat sich schwer, etwas dagegen zu tun. Er wusste, dass eine Evakuierung der Siedler heftige Proteste in Israel auslösen würde. Schnell kamen Stimmen auf, die sagten, "Judäa und Samaria" - die biblischen Namen für das Westjordanland - dürften doch nicht als "judenrein" erklärt werden. Man benutzte bewusst das deutsche Wort. Und andere, wie der aus Kiel stammende Siedler-Sprecher Eliakim Haetzni, argumentierten: Wenn Juden kein Recht hätten, hier zu leben, dann hätten sie auch kein Recht auf Tel Aviv.
Andererseits war Dayan aber auch klar, dass ein Verbleiben der Siedler in der Stadt den Konflikt mit den Palästinensern verschärfen würde. Vor allem der Streit um das Grab Abrahams: Der Patriarch wird als Ibrahim auch von den Muslimen verehrt. Hier liegt das das zentrale Problem des gesamten Konflikts: Das gesamte Land ist den drei Weltreligionen heilig.
Die Stunde der Siedlungspolitik
Die Siedler von Hebron wurden zunächst in einer Kaserne untergebracht, dann aber wurde der Grundstein gelegt für Kiriat Arba - einem Vorort von Hebron. Später nisteten sich Siedler auch wieder in der Stadt selbst ein, wo sie bis heute ein Fremdkörper und Zentrum für Auseinandersetzungen sind. Ihr Beispiel machte aber Schule: Andere nationalreligiöse Gruppen ließen sich in anderen Gegenden des Westjordanlandes nieder und es dauerte nicht lange bis auch nichtreligiöse Kreise argumentierten, dass der beste Schutz Israels vor feindlichen Palästinensern und auch gegenüber - dem damals noch befeindeten - Jordanien israelische Siedlungen außerhalb der palästinensischen Bevölkerungszentren seien.
Die offizielle Siedlungspolitik war geboren. Es wurde immer deutlicher, dass Israel gar nicht daran dachte, das Westjordanland je wieder zu räumen, denn es wurden auf Regierungsebene Pläne zu dessen Besiedelung ausgearbeitet und umgesetzt. Das reichte den Siedlern nicht: Sie errichteten immer öfter kleine Siedlungspunkte außerhalb der offiziellen Planung. Das waren oft nicht viel mehr als ein paar Zelte oder Wohncontainer. Die Regierung begann, diese als "illegale Siedlungen" zu bezeichnen. Die anderen wurden allerdings nie in Frage gestellt. Zumindest nicht von der israelischen Politik.
Legale und illegale Siedlungen - ein Unterschied?
Unter der Bevölkerung gab es lange ernste Bedenken, dass die Siedlungen einem Frieden im Weg stehen. Und im Ausland ist man nicht bereit, den Unterschied zwischen "legalen" und "illegalen" Siedlungen nachzuvollziehen. Nach dem Völkerrecht sind alle Siedlungen illegal. Die Vierte Genfer Konvention untersagt jede demografische Veränderung besetzter Gebiete. Israel aber hält sich nicht daran. Mit dem konstruierten Argument, diese Gebiete seien völkerrechtlich eigentlich nicht "besetzt", weil sie vor 1967 kein anerkannter Teil eines souveränen Staates gewesen seien.
Die eigene Unterscheidung zwischen "legalen" und "illegalen" Siedlungen machte es israelischen Regierungen leichter, die internationale Kritik abzuschwächen: Immer wieder versprach man "illegale" Außenposten aufzulösen und schwieg zu den anderen Siedlungen, in denen inzwischen aber rund 250.000 Siedler leben. Das Ausland ließ sich davon meist täuschen, obwohl bei Kritik und Ablehnung der Siedlungspolitik immer schon internationaler Konsensus herrschte.
Die Teilung Jerusalems
Ein besonderer Fall ist schließlich Jerusalem: Die Stadt hätte nach dem UN-Teilungsbeschluss von 1947 internationalisiert werden sollen, stattdessen wurde sie aber 1948 geteilt und das jüdische Viertel wie auch die "Klagemauer" standen fortan unter jordanischer Kontrolle und waren Juden bis 1967 unzugänglich. Für eine Mehrheit der Israelis stand fest, dass Jerusalem nicht wieder geteilt werden dürfte und 1980 wurde dies durch die Annexion Ostjerusalems unterstrichen. Dort hatten bis 1967 überwiegend Araber gelebt, seitdem wurden dort aber systematisch jüdische Stadtteile errichtet, die eine Wiederaufteilung unmöglich machen sollen.
Auch diese Maßnahmen sind ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Das Ausland vermied es aber, Konsequenzen daraus zu ziehen. Erst seitdem unter Barack Obama offene Kritik an der israelischen Siedlungspolitik zu hören ist, schwenken auch andere Regierungen auf diese Linie ein. Das Festhalten an den Siedlungen sei ein Hindernis für eine Friedensregelung, heißt es. Man ist aber weiterhin nicht bereit, mehr zu tun als solche Erklärungen abzugeben. Israel versucht den Ausbau von Siedlungen als Folge des "natürlichen Wachstums" und das Bauvorhaben in Ostjerusalem als eine normale städtebauliche Maßnahme darzustellen. Auf Dauer wird Israel diese Linie kaum weiterverfolgen können.
Autor: Peter Philipp
Redaktion: Diana Hodali