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PolitikEuropa

Die Geschichte des Nord-Stream-Projekts

Ben Knight
25. Juli 2021

Das Pipeline-Projekt durch die Ostsee hatte von Anfang an zahlreiche Gegner. Am Ende hat sich Angela Merkel durchgesetzt.

Deutschland Gerhard Schröder Nord Stream
Auch Gerhard Schröder (links) war dabei, als Nord Stream 2011 eröffnet wurde.Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Zehn Tage vor der Bundestagswahl im Herbst 2005. Kurz, bevor im Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder (SPD) und Herausforderin Angela Merkel (CDU) die Entscheidung ansteht, entscheidet sich Schröder zu einem Treffen mit einem Mann, der im Laufe seiner Kanzlerjahre zu einem guten Freund geworden war: Wladimir Putin. Die Wochenzeitung "Die Zeit" war sich schon damals sicher: Hier versucht jemand, seine Schäfchen ins Trockene zu holen, für den Fall, dass er die Wahl verliert. Schröder wollte einen Deal unter Dach und Fach bringen, den er seiner eventuellen Nachfolgerin nicht zutraute. Und so wurde an diesem 8. September 2005 eine Absichtserklärung zwischen der deutschen und der russischen Regierung unterschrieben, eine Gaspipeline zu bauen, die beide Länder direkt miteinander verbindet - durch die Ostsee hindurch. Eine Idee, die seit Mitte der 1990er Jahre existierte, nahm Gestalt an.

Eine Pipeline, vorbei an allen Ländern, die zwischen Russland und Deutschland liegen: Russland würde so sämtliche Abgaben sparen, die fällig würden, wenn das Gas durch Polen, die baltischen Staaten oder die Ukraine fließen würde. Und: Russland würde diesen Ländern sämtlichen Einfluss auf den Rohstofftransfer entziehen.

Schröders SPD verlor die Wahl, und nur kurz nach Ende seiner Kanzlerschaft wurde er Aufsichtsratschef bei der Betreibergesellschaft, die inzwischen auf den Namen "Nord Stream" getauft worden war. Anna Kuchenbecker vom European Council on Foreign Relations (ECFR) ist sich sicher: "Das ist sozusagen ein ´Baby´ der speziellen Freundschaft zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin".

Echte Männerfreundschaft: Putin gratuliert Schröder zu dessen 60. Geburtstag (2004)Bild: Itar-TASS/dpa/picture-alliance

Merkel führt Schröders Politik fort

Nun war es an Schröders Nachfolgerin, das geplante Pipelineprojekt anzugehen. Unter Angela Merkels Kanzlerschaft wurde das Projekt sogar noch ausgeweitet, 2015 ging Nord Stream 2 an den Start. Die beiden Pipelines sind eine riesige Unternehmung: Nord Stream 1 ist die größte Unterseepipeline der Welt mit 1224 Kilometern Länge. 2011 eröffnet, pumpt sie jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Mitteleuropa. Die zweite Röhre, Nord Stream 2, wurde ab 2018 gebaut und dieses Jahr fertig. Jetzt wird die doppelte Menge Gas transportiert.

Was haben Russland und Deutschland von dem Projekt? Während bei Russland die Vorteile auf der Hand liegen, ist das bei Deutschland etwas komplexer. Die deutsche Industrie konnte sich über eine weitere Stabilisierung der Energieversorgung freuen. Die beteiligten deutschen Energieunternehmen, wie e.on, konnten sich über neue, exzellente Beziehungen zum russischen Staatskonzern Gazprom freuen und darauf hoffen, mit dabei zu sein, wenn die Gasreserven Sibiriens gefördert werden.

Diplomatische Verwicklungen

Doch das Projekt bescherte der deutschen Regierung im Laufe der Jahre auch Probleme auf diplomatischer Ebene, denn Nord Stream hat Gegner. Auf der einen Seite Polen, die Ukraine und die baltischen Staaten, die ihre Sicherheitsinteressen gefährdet sehen. Dazu kommt der mächtige Verbündete USA, dessen wechselnde Administrationen der vergangenen Jahre das Projekt allesamt ablehnten.

Bauarbeiten an der Pipeline im deutschen LubminBild: Tobias Schwarz/AFP

Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erklärt sich das durch sehr tief sitzende Befürchtungen der USA gegenüber Russland: "Die USA nehmen das so wahr, dass Russland seine ökonomische Unabhängigkeit potenziell als Waffe einsetzen könnte. Diese Befürchtungen gibt es seit den frühen Tagen des Kalten Krieges."

Friedensprojekt Nord Stream?

In den Nullerjahren war die deutsche Auffassung allerdings eher die, dass mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit zwischen Russland und Westeuropa langfristig zur Friedenssicherung beitragen würde. Eine Hoffnung, die sich bislang nicht erfüllte. 2012 tauschten Putin und der eher als liberal geltende Dimitri Medwedew erneut die Rollen und Putin wurde wieder Präsident. 2014 annektierte Russland die Krim von der Ukraine. Die Unterdrückung von Opposition und Menschenrechtlern in Russland belastet die Beziehung zu Deutschland ebenfalls stark. 

Trotz der US-amerikanischen Drohung, das Projekt mit Sanktionen zu belegen, segnete Angela Merkel 2015 den Deal für die zweite Pipeline ab. "Das ist eigentlich noch schwerer zu erklären als Nord Stream 1", so Kuchenbecker vom ECFR. "Ich denke, dass Merkels Politik angesichts der Rolle Deutschland als Super-Exporteur in die Richtung ging, Politik und Handel voneinander zu trennen", so Kuchenbecker.

Dazu kam: Während der acht Obama-Jahre hatte Merkel einen Freund im Weißen Haus sitzen, bei dem sie davon ausgehen durfte, dass er kein Interesse hatte, scharf gegen Nord Stream zu schießen. Das änderte sich mit Donald Trump und seinem Botschafter in Berlin, Richard Grenell. Der ging im Januar 2019 sogar so weit, Drohbriefe an deutsche Unternehmen zu schreiben, die an Nord Stream beteiligt sind. Merkels Einstellung hat sich seit 2015 nicht geändert: Nord Stream 2 hat zwar geopolitische Irritationen verursacht, war aber in erster Linie für sie immer ein ökonomisches Projekt. Der jüngst geschlossene Kompromiss zu Nord Stream 2 zeigt am Ende eigentlich nur, dass Deutschland sich mit seinen Wirtschaftsinteressen am Ende durchgesetzt hat.

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

 

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