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Die gestreckte Faust: Trumps ikonische Geste

15. Juli 2024

Im Moment seiner Bedrohung ballt Ex-US-Präsident Donald Trump die Faust und schafft so eine Bildikone. Die Geste ist Jahrtausende alt - und immer noch wirkungsvoll. Doch woher kommt sie?

Ein Mann umringt von anderen Männern ballt die Faust, hinter ihm weht die US-Flagge
Der blutende Ex-Präsident Trump reckt im Augenblick seiner Bedrohung die Faust - und schuf damit ein ikonisches BildBild: Evan Vucci/AP Photo/picture alliance

Donald Trump mit blutverschmiertem Gesicht, der die Faust kämpferisch in die Höhe reckt. Sicherheitsleute, die den Ex-Präsidenten niederdrücken wollen, um ihn zu schützen - ein ikonisches Bild, das symbolträchtiger nicht sein könnte. "In der schlimmsten Situation, in die ein Mensch geraten kann, im Angesicht des Todes", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin  und US-Expertin Marion G. Müller von der Uni Trier, "denkt der Angeschossene nicht zuallererst an sich, sondern an seine Mission."

Das zeigt Wirkung. Trumps geballte Faust, kein Victory-Zeichen, aber eine Geste wilder Entschlossenheit und enormer Wut, macht den Präsidentschaftskandidaten in den Augen seiner Anhänger zum Märtyrer - mit einer messianischen Botschaft. "Trump gibt hier ein Heilsversprechen ab", sagt Müller im DW-Gespräch. "Dass er das Attentat überlebt hat und das auch noch triumphal, wie der Faustgestus zeigt, wird von Trumpisten als 'Gottes Wille' interpretiert und damit als Vorhersage für seine Wiederwahl." Die USA seien ein zutiefst religiöses Land, das Foto des die Faust reckenden Trumpsei für viele Trump-Anhänger der "Bild gewordene Auftrag, das Land zu führen".

Auch Emmanuel Macron zeigt den Siegeswillen mit geballter Faust Bild: Ruffer/Caro/picture alliance

Trump weiß um die Macht der Bilder

Die starke Geste seiner erhobenen Faust, so spontan Trump sie auch einsetzte, entspringt gewiss auch seinem politischen Instinkt. Trump weiß um die Macht der Bilder. Mit seiner Geste habe er sich zum "Anti-Opfer" gemacht, indem er selbst handelte und die Faust mehrfach geballt hochstreckte. "Dies passt zwar in die Ikonographie-Geschichte der geballten Faust, die zumeist von Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen gezeigt wurde", so Müller, "doch steht Trumps hochgereckte Faust auch in starkem Kontrast zu seiner vorherigen Selbstinszenierung als Opfer der US-Justiz."   

Hätte es eine ähnliche Situation in Russland gegeben, mit einer ähnlichen Geste von Präsident Putin, so wäre sie dort vermutlich nicht öffentlich gezeigt worden, vermutet die Kommunikationswissenschaftlerin. "In Russland hätte man den Vorfall heruntergespielt, vielleicht von einem Gewehr gesprochen, das 'aus Versehen losging." Danach aber wäre in Russlands Medien ein strahlender Putin aufgetaucht. "Die US-Medien aber sind gepolt auf solche ikonischen Fotos", sagt Müller. Nicht der Moment davor, als Trump sich wegduckte, oder danach, als er in den schwarzen Wagen geführt wurde, sei von den Medien ausgewählt worden. "Es wurde dieses Bild, weil es perfekt in die ikonisch-pathetische Tradition der amerikanischen Präsidentenkommunikation passt."

Erst Schlagwaffe, dann Drohgebärde - die Faust

Gereckte Fäuste - als Symbol für Freiheit und als KampfsymbolBild: Danko Natalya/Zoonar/picture alliance

Die geballte Faust hat eine lange Geschichte, wie der Gestenforscher Roland Posner, früher Leiter der Arbeitsstelle für Semiotik an der Technischen Universität Berlin, einmal festhielt. So zeigen bereits Malereien auf 2000 bis 3000 Jahre alten griechischen Vasen Menschen, die ihre Hand mal im Faustkampf, mal siegreich geballt oder auch als Drohgeste einsetzen.

Die Faust, elementarste Waffe des Menschen, bündelt die Kräfte von Hand und Arm. Doch entwickelte sich die Faust von der Schlagwaffe zur Drohgebärde, die ausreichte, um den Feind in die Flucht zu schlagen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ballte schon der Steinzeitmensch die Faust, wenn er seine Höhle, seine Frau, die Vorräte oder das überlebenswichtige Feuer verteidigen wollte.

Was die erhobene Faust zum politischen Kampfsignal macht, zur geballten Botschaft? Darüber hat schon der englische Naturforscher Charles Darwin gemutmaßt. In seiner Abhandlung "Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren", die 1872 auf Deutsch erschien, erkannte er die geballte Faust als ein typisches Merkmal von Wut. "Gebärden wie das Erheben der Arme mit geballten Fäusten, als wollte man den Beleidiger schlagen", schrieb der Verhaltensforscher, "sind sehr häufig." Und: "Nur wenige Menschen in großer Leidenschaft …können dem Triebe widerstehen." 

Die Hand, ein Symbol der Werktätigen

Als Symbol der Arbeiterschaft und ihres politischen Willens reihte sich die Hand in die Ikonographie des 19. und 20. Jahrhunderts ein, wie der Tübinger Ethnologe Gottfried Korff beschrieb. Die Hand sei Symbol derer, die durch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel auf die Bühne der Geschichte gekommen seien. "Die Hand offenbart die Nähe zur Werktätigkeit", so Korff in einem Beitrag für das Portal wissenschaft.de. "Sie ist mehr als nur ein organisch-muskulöses Greifinstrument, für das die biologische Grundausstattung gesorgt hat."

Die Arbeiterbewegung - hier eine Demonstration von Gewerkschaftlern - verwendet die Faust als Symbol für Solidarität und den Kampf gegen die MächtigenBild: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Das Bild von ineinander verflochtenen Händen wird zum Erkennungszeichen einer jungen, organisierten Arbeiterschaft, die auf Brüderlichkeit und Solidarität setzt. Doch die Gestik bleibt nicht friedfertig, wie Gemälde aus jener Zeit verraten. Durch Europa schwappt gegen Ende des 19. Jahrhunderts die erste große Streikwelle. Geballte Fäuste, kampfbereit emporgereckt, bekräftigen die Forderungen der Arbeiter nach besseren Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung. "Die Sprengkraft der sozialen Frage lässt sich mit der geballten Faust darstellen", sagt Volkskundler Korff. 

Die erhobene Faust war auch ein Symbol der Rotfrontkämpfer, des Wehrverbands der Kommunisten (Foto von 1928)Bild: Fox Photos/Getty Images

Eine Faust - viele Bewegungen 

Verschiedenste Bewegungen haben die erhobene Faust als Logo für sich entdeckt. Da sind die sozialistischen Bewegungen, die eine rote Faust, bisweilen in Verbindung mit einer Rose nutzen. Eine schwarze Faust steht für Black Power, die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner. Eine weiße "arische Faust" symbolisiert die White Power im Umfeld der weltweiten Neonazi-Szene und des US-amerikanischen Ku-Klux-Klans. So salutierte der rechtsterroristische Massenmörder Anders Behring Breivik vor Gericht in Oslo 2012 mit erhobener Faust. Aber auch Women Power oder die LQBTQ-Gemeinde nutzt das Faustbild für ihr unverwechselbares Branding. 

Gay Man Protest - die Faust als Zeichen des Kampfes von Schwulen und Lesben für ihre RechteBild: Andrey Popov/PantherMedia/picture alliance

Ein Zufall, der Geschichte schrieb

Der Angriff auf Ex-US-Präsident Donald Trump, bevor er entschlossen die Faust reckte, sei gar kein politisches Attentat gewesen, glaubt Marion G. Müller. "Ablauf und Beteiligte tragen vielmehr Züge eines klassischen amerikanischen Amoklaufs." Der Attentäter, ein junger Mann von 20 Jahren, habe es ganz offensichtlich darauf angelegt, nach einer spektakulären Aktion getötet zu werden - also ein "erweiterter Suizid". Zu den Zufallsopfern hätten nun mal der Ex-Präsident Trump, aber ebenso ein Feuerwehrmann und zwei weitere Personen gezählt. Ein Zufall, der Geschichte schrieb, vor allem dank seiner symbolhaften, starken Bilder.

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