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Die Grünen wollen einen Neuanfang

Kay-Alexander Scholz19. Oktober 2013

Sie hätten mit der Union eine Regierung bilden können. Nun bleibt für die Grünen nur die Rolle der kleinsten Oppositionsfraktion im Bundestag. Neues Personal und neue Programmatik sollen eine bessere Zukunft bringen.

Bundesparteitag der Grünen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Grüne wählen neue Parteispitze

01:57

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"Was macht einen modernen Ökologiebegriff aus?", fragte Anton Hofreiter, der die Fraktion der deutschen Grünen im neuen Bundestag zusammen mit Katrin Göring-Eckhardt anführen wird. Vor 100 Jahren sei es um Objektschutz zum Beispiel eines Moores gegangen. In den 1970er-Jahren dann habe man gegen industriell verschmutzte Flüsse gekämpft. "Heutzutage geht es um globale Probleme wie Klimakatastrophe und das Artensterben", so Hofreiter.

Doch die Grünen werden im Bundestag als nun kleinste Fraktion wahrscheinlich nur wenige Gelegenheiten haben, diese Themen auf die Agenda zu setzen. "Wir haben uns überschätzt", hatte der Spitzenkandidat des Bundestagswahlkampfes Jürgen Trittin den 800 Delegierten zugerufen, die an diesem Wochenende in Berlin zur Analyse ihrer Wahlniederlage zusammen gekommen sind. Denn mit 8,4 Prozent blieb das Wahlergebnis weit unter den Erwartungen. Das Wunschergebnis, zusammen mit den Sozialdemokraten eine Bundesregierung zu bilden, ist gescheitert. Auch die Machtoption einer Koalition mit den Unionsparteien CDU und CSU kam nicht zustande. Obwohl es konstruktive Gespräche gab, wie alle Teilnehmer der Sondierungsgespräche versicherten.

Offen für neue Bündnisse

Die Grünen wollen gestalten und die Gesellschaft ökonomisch transformieren. Die benannte Selbstüberschätzung war auch in Berlin zu hören. "Wir wollen die Welt retten", wie Antje Hermenau aus Sachsen sagte. Die Grünen wissen, dass sie dafür an der Macht sein müssen. Sie sind zwar inzwischen in allen 16 Landesparlamenten von Hamburg bis München vertreten, wollen aber wieder im Bund reagieren, so wie sie es von 1998 bis 2005 zusammen mit der SPD taten. Doch eine Wiederbelebung eines solchen grün-rotes Bündnisses ist derzeit vor allem wegen der Schwäche der Sozialdemokraten unwahrscheinlich. "Wir brauchen deshalb neue Machtoptionen", sagte Anton Hofreiter. "Wir müssen die nächsten Jahre dafür nutzen, diese Optionen zu erarbeiten."

Die Grünen möchten sich zu beiden Seiten öffnen, also sowohl nach rechts zur Union als auch zur Linkspartei, mit der ein Dreierbündnis zusammen mit der SPD in den kommenden Jahren möglich werden könnte. Wie dieser Spagat zu schaffen ist, darüber ist in Berlin eine Debatte eröffnet worden. "Was heißt das für die grüne Programmatik?", fragte die scheidende politische Geschäftsführerin Steffi Lemke.

Ökologie, Freiheit und Gerechtigkeit

Wichtig für die Programmatik der Grünen sei neben der "ökologischen Transformation" ein moderner solidarischer Freiheitsbegriff, sagte Hofreiter. "Das meint nicht die Freiheit des Cowboys, sondern eine Freiheit, die die Freiheit der anderen, auch der sozial Schwächeren mitdenkt". Zentral sei auch der Begriff der Gerechtigkeit - und zwar als Chancen-, Generationen- und Leistungsgerechtigkeit. Hofreiter gehört zum linken Flügel der Partei. Seine Definitionen von "Freiheit" und "Gerechtigkeit" könnten Brücken bauen zur Linkspartei bei zukünftigen Koalitionsfragen.

Anton Hofreiter, neuer Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, will die Partei regierungsfähig machenBild: picture-alliance/dpa

Die Begriffe Ökologie, Freiheit und Gerechtigkeit stehen denn auch als zentrale Punkte im Programmantrag des Bundesvorstands, der von den Delegierten verabschiedet wurde. Mit diesem Dreiklang wollen die Grüne ihre politische Eigenständigkeit definieren und gegenüber den anderen Parteien verteidigen.

Emotionaler Generationenwechsel

Für einen programmatischen und personellen Neuanfang haben die Grünen den Startschuss gegeben. Nicht nur im Bundestag, auch an der Parteispitze hat die Partei einen Generationenwechsel vollzogen. Viele Vertreter der Gründergeneration - die deutschen Grünen wurden vor 33 Jahren gegründet - treten aus der ersten Reihe ab.

Die scheidende Parteichefin Claudia Roth hat grüne Politik bunt gemachtBild: picture-alliance/dpa

Emotionaler Höhepunkt war die Verabschiedung von Claudia Roth, die elfeinhalb Jahre die Grünen führte und prägte. Es gab minutenlange Ovationen, viele Tränen und beeindruckende Reden zum Abschied. Die Partei verliert mit Roth eine zentrale Identifikationsfigur, an der sich viele gerieben haben, die aber "die emotionale Wahrheit grüner Politik verkörpert hat", wie es in der Laudatio hieß.

Roth gab der Partei mit auf den Weg, sich nicht über andere zu definieren. "Wir Grüne tun das, was wir richtig finden - und nicht dass, was andere uns zuschreiben!" Eine Programm-Revision sei unnötig, so Roth. Sie erinnerte die Delegierten an den Anspruch der Grünen, anders zu sein als die etablierten Parteien und daran, politische Stimme für Minderheiten zu sein, für eine offene Gesellschaft zu streiten. Grüne Politik wolle das Leben der Menschen besser machen.

Neue Vorsitzende und Nachfolgerin von Claudia Roth: Simone PeterBild: picture-alliance/dpa

Roths Nachfolgerin an der Parteispitze wird die 47-jährige Diplom-Biologin Simone Peter aus dem Saarland. Sie erhielt bei der Wahl allerdings nur 75 Prozent der Stimmen. Das mag auch daran gelegen haben, dass Peter in ihrer Bewerbungsrede wenig neue Akzente setzte.

Co-Vorsitzender bleibt der türkischstämmige, ebenfalls 47-jährige Cem Özdemir. Er erhielt nur 71,4 Prozent der Delegierten-Stimmen. Nicht wenige Grüne hatten kritisiert, dass sich Özdemir, nachdem der Vorstand der Partei eigentlich komplett zurückgetreten war, nochmals kandidierte. Er wolle die Partei wieder zu mehr Geschlossenheit führen, sagte Özdemir und bekam dafür viel Applaus im Saal. Denn die Grünen haben nicht nur interne Flügelkämpfe, sondern es gibt auch Streit zwischen den "Berlinern" und den Grünen in den Bundesländern.

Wiedergewählter Vorsitzender Cem ÖzdemirBild: picture-alliance/dpa

Ursachenforschung für Wahlniederlage

"Jetzt ist auch mal gut!", kommentierte Roth das Wundenlecken, das während vieler Redebeiträge öffentlich getan wurde. Doch so leicht ist das schlechte Wahlergebnis wohl nicht zu verdauen. In vielen Redebeiträgen wurde angemahnt, die Grünen müssten nun ernsthaft die Fehler des Wahlkampfs analysieren. Die Diskussion darum drehte sich um drei Punkte, die dem Wähler nicht ausreichend erklärt worden seien. Warum Steuererhöhungen, warum ein vegetarischer Tag in Kantinen und warum wurde das Thema Pädophilie aus den Anfangsjahren der Partei nicht ausreichend besprochen?

Der Diskussion über Vergangenes muss wohl eine tiefergehende Analyse folgen. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident aus Baden-Württemberg und Vertreter des sogenannten Realo-Flügels, gab dazu eine Vorlage: Er formulierte die These, die Grünen seien zu staatsgläubig geworden. Das Verhältnis zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft müsste neu definiert werden. Viele Themen der Grünen seien inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es sei deshalb Zeit für einen neuen Sound der Partei. Dazu brauche es einen neuen Dialog mit der Wirtschaft, aber auch mit den Bürgern, deren Vertrauen in die Grünen wieder zurückgewonnen werden müsse.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl, Jürgen Trittin (links), und die neue Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-EckardtBild: picture-alliance/dpa
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