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Politik

Die Grünen wollen ins Kanzleramt

22. November 2020

Beim ersten digitalen Bundesparteitag wird klar: Die Grünen wollen Regierungsverantwortung übernehmen - für ganz Deutschland. Kompromisse bei den Kernthemen sollen es möglich machen.

Bundesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Die Grünen | Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende (Kay Nietfeld/dpa/picture alliance)
Annalena Baerbock - eine der beiden Bundesvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

"Erstmals kämpft eine dritte Partei ernsthaft um die Führung dieses Landes", proklamiert ein selbstbewusster Parteichef Robert Habeck. Die Kanzlerkandidaten-Frage stand bei den dreitägigen Online-Beratungen der Grünen nicht auf der Tagesordnung. Doch mit inhaltlichen Weichenstellungen untermauert die Partei ihren Machtanspruch.

Bekenntnis zum Klimaschutz

Beim Kernthema Klimaschutz gelingt der Parteispitze ein schwieriger Spagat. Nach Gesprächen mit Umweltaktivisten verkündet Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die Partei bekenne sich klarer als zuvor geplant zu einer strengen Begrenzung der Erderwärmung. Es sei notwendig, "auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen", lautet der Kompromiss. Im ursprünglichen Entwurf für das neue Grundsatzprogramm war lediglich auf das Pariser Klimaabkommen verwiesen worden, demzufolge die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad und "möglichst auf 1,5 Grad" begrenzt werden soll.

Mit diesem Statement im Grundsatzprogramm will die Parteiführung eine offene Flanke schließen. Denn radikalere Klimaaktivisten werfen den Grünen seit längerem vor, sich nicht klar genug zum 1,5-Grad-Ziel zu bekennen.

Auch beim anderen Streitthema Gentechnik findet der Parteitag einen Kompromiss. Ihr Einsatz in der Landwirtschaft wird kritisch gesehen, Forschung dazu aber nicht mehr abgelehnt.

Grünenchef Robert Habeck hat mit seiner Partei noch Großes vor Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Ob Baerbock und Habeck mit diesem neuen Kurs auch die Kritiker unter den oftmals jungen Umweltaktivisten hinter sich versammeln können, muss sich noch zeigen.

Denn etwa in Baden-Württemberg gibt es bereits eine eigene Klimaliste, die den Grünen bei der Landtagswahl in ihrem Stammland 2021 wichtige Prozentpunkte kosten könnte. Und in Hessen, wo mit Zustimmung der schwarz-grünen Landesregierung Bäume des Dannenröder Forstes für die Autobahn 49 gerodet werden sollen, sitzen die Umweltaktivisten den Grünen ebenfalls im Nacken.

Bei der Kontroverse um Volksentscheide auf Bundesebene greift Habeck selbst in die Debatte ein, um zu verhindern, dass die Forderung nach deren Einführung ins Grundsatzprogramm aufgenommen wird. Auch hier setzt sich die Linie des Bundesvorstandes durch, wenn auch nur denkbar knapp.

Wähler aus bürgerlichen Schichten 

Generell lässt die Grünen-Spitze beim Online-Parteitag keinen Zweifel daran, dass sie noch mehr Wähler aus bürgerlichen Schichten gewinnen will. Die Grünen seien eine Partei, die "für die ganze Gesellschaft arbeitet", unterstreicht Habeck. "Raus aus den abgekapselten Gruppen, rein in eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit", formuliert er den Abschied vom Nischen-Dasein der Öko-Partei.

Selbst Fraktionschef Anton Hofreiter, der als Parteilinker wie kaum ein anderer den traditionellen Umwelt-Flügel der Grünen repräsentiert, nimmt auf dem Online-Parteitag breite Wählerschichten in den Blick: Die Partei wolle ihre Ziele "nicht mit der Brechstange oder Rechthaberei" verfolgen, sondern "mit einer Politik für das Ganze".

Digital lief alles gut 

Insgesamt zufrieden zeigt sich die Parteispitze mit dem Ablauf des ersten digitalen Bundesparteitags. Aus der Sendezentrale im Berliner Tempodrom schickten die Vorstandsmitglieder ihre Redebeiträge ins Netz, das Parteitagspräsidium führte Regie. 

Allerdings räumt Habeck ein, dass ihm manches fehle, etwa Applaus und Emotionen - oder auch mal "Widerstand aus der Halle zu bekommen". Im bedeutenden 2021 wollen die Grünen wieder Präsenz-Parteitage veranstalten. 

se/uh (afp, dpa)

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