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Der Wolfsgruß, die "Grauen Wölfe" und der Schweigefuchs

16. Juli 2024

Ein türkischer Fußballspieler zeigt bei der Fußball-EM den Wolfsgruß. Die Geste hat in Deutschlands Schulen eine ganz andere Bedeutung. Bremen will sie nun verbieten.

Foto von einem Rotfuchs, der aufmerksam auf etwas schaut.
"Mund zu und Ohren gespitzt" - für Kinder in Deutschland ist der Fuchs auch die Aufforderung, leise zu sein und zuzuhörenBild: Shotshop/IMAGO

Wenn es in deutschen Kindergärten und in den ersten Klassen der Grundschulen zu laut ist, dann heben Pädagogen und Lehrkräfte oftmals die Hand, legen Mittel- und Ringfinger zusammen auf den Daumen und strecken den kleinen und den Zeigefinger in den Himmel. "Mund zu und Ohren gespitzt!", lautet die Botschaft, die sie mit der Geste veranschaulichen wollen. 

Schweigefuchs, Flüsterfuchs oder Leisefuchs wird die Geste genannt, die über Jahrzehnte in der Pädagogik ein selbstverständliches Mittel war, um Kindern in bestimmten Situationen nonverbal zu verdeutlichen, dass Ruhe einkehren soll. Die Geste ist so bekannt, dass es das Symbol sogar auf T-Shirts geschafft hat.

Im Internet zu bestellen und zu kaufen: Der "Schweigefuchs" auf einem T-ShirtBild: amazon.de

Doch immer wieder stößt der Schweigefuchs inzwischen auf irritierte Blicke, vor allem bei Kindern türkischer Herkunft - und bei deren Eltern.  

Die "Grauen Wölfe" und ihre Präsenz in Deutschland

Sie kennen die Geste als Wolfsgruß und damit als Symbol der türkischen Ülkücü-Bewegung, in Deutschland als "Graue Wölfe"bekannt. Hier wird sie vom Bundesverfassungsschutz beobachtet. "Kernelemente rechtsextremistischer Agitation - wie ein übersteigerter Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Rassismus und Antisemitismus - prägen auch die Ideologie der türkischen "Ülkücü"-Bewegung", heißt es von Seiten des Verfassungsschutzes. 

12.100 Menschen seien in Deutschland der Bewegung und ihrer Ideologie zuzuordnen. Sie beinhaltet Hass gegen Juden und Christen, gegen Minderheiten in der Türkei wie Kurden und Aleviten, sowie die Ablehnung der westlichen Welt.

Die "Grauen Wölfe" sind in Deutschland nicht verboten

Während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland zeigten türkische Fans immer wieder den Wolfsgruß. Beim Spiel Türkei gegen Österreich feierte der türkische Nationalspieler Merih Demiral sein Siegtor, indem er die Geste auf dem Spielfeld zeigte. Anschließend veröffentlichte er ein Foto von der Szene in den Sozialen Medien.

Der Wolfsgruß auf dem Spielfeld brachte Merih Demiral eine Sperre der UEFA einBild: Sebastian Christoph Gollnow/dpa/picture alliance

Der Vorfall führte zu einer Sperre Demirals durch den europäischen Fußballverband UEFA und hatte diplomatische Folgen im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei. Außerdem löste er eine Diskussion über ein mögliches Verbot der "Grauen Wölfe" und ihrer Symbole in Deutschland aus.

Debatte um den Wolfsgruß und seine politischen Auswirkungen

Die Diskussion ist nicht neu. Ende 2020 forderte der Bundestag in einer parteiübergreifenden Entschließung der konservativen Union aus CDU und CSU, der Sozialdemokraten (SPD), der liberalen FDP und der Grünen das damals noch CSU-geführte Bundesinnenministerium auf, ein Verbot der "Grauen Wölfe" zu prüfen. Eine große Debatte über den Wolfsgruß gab es unter anderem, nachdem 2017 der damalige türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu bei seinem Auftritt in der Residenz des türkischen Konsuls in Hamburg die Geste gezeigt hatte. Schon damals gab es Diskussionen über die Verwechslungsgefahr zwischen Wolfsgruß und Schweigefuchs.

Im Bundesland Baden-Württemberg wurde daraufhin Lehrern und Pädagogen empfohlen, die Geste nicht mehr zu benutzen. Der Stadtstaat Bremen geht nun einen Schritt weiter und will den Schweigefuchs verbieten. Die damit verbundene politische Bedeutung des Handzeichens sei mit den Werten der Stadt Bremen "absolut unvereinbar", sagte Patricia Brandt, Sprecherin der Bildungssenatorin von Bremen.

Reaktionen auf das Verbot des Schweigefuchs

Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen, begrüßt die Entscheidung. "Dass nach dem Ende der EM die Debatte um den Wolfsgruß nahezu verschwunden ist, heißt noch lange nicht, dass der Wolfsgruß selbst und schon gar nicht leider die Ideologie, die dahintersteckt, verschwunden ist", sagt sie der DW. Sie vergleicht die Maßnahme mit dem Vorgehen gegen Symbole aus der Zeit des Nationalsozialismus. "Deswegen machte es Sinn, den sehr ähnlichen Schweigefuchs zu verbieten, ebenso wie man eventuelle Symbole, die SS-Symbolen, Hakenkreuzen und anderem ähneln, verbieten würde und müsste."

Ganz anders reagiert der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGD), Gökay Sofuoglu. "Dieses Verbot geht meiner Meinung nach in die falsche Richtung. Ich denke, dass aufgeklärt werden sollte, bevor Verbote ausgesprochen werden", sagt er der DW. Zudem würden Lehrerinnen und Lehrer das Handzeichen seit Jahrzehnten verwenden. "Frei nach dem Motto 'Nicht sprechen und Ohren spitzen' hat es in der Schule immer seine Daseinsberechtigung gehabt." Er hoffe eher, so fügt Sofuoglu hinzu, "dass der Schweigefuchs den Wolfsgruß besiegen könnte.

Pädagogen suchen Alternativen zum Schweigefuchs

Doch danach sieht es nicht aus. In der modernen Pädagogik wird die Geste ohnehin zunehmend kritisch gesehen, weil sie als zu restriktiv wahrgenommen wird. Alternativ wird ein akustisches Signal empfohlen, beispielsweise ein Gong. "Viele Lehrkräfte wenden die Methode des Schweigefuchs nicht an und gehen andere Wege", sagt Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund der DW. "Es gibt Alternativen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Lehrkräfte sind in der Hinsicht innovativ."

Ein Verbot der Geste muss nach Ansicht von Toprak immer auch gut erklärt werden. "Als Pädagoge denke ich grundsätzlich, dass Verbote die Probleme nicht lösen, sondern verschärfen. Wenn aber ein Verbot verfügt werden soll, dann muss es transparent und plausibel kommuniziert werden, ansonsten wirkt es pauschal und willkürlich."

Symbole im Unterricht und der Auftrag der Schule

Elvira Noa, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen, ist der Meinung, dass das Verbot auch im Unterricht besprochen werden sollte. "Es ist für die Lehrerschaft eine Chance, pädagogisch das Thema Symbole und deren möglichen negativen oder auch positiven Einfluss im Unterricht aufzugreifen."

So sieht es auch der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband. Präsidentin Simone Fleischmann sagte im bayerischen Rundfunk: "Grundsätzlich ist es der Auftrag von Schule, gesellschaftliche Themen aufzunehmen und zu diskutieren." Schülerinnen und Schüler könnten die Hintergründe recherchieren und berichten, was der Wolfsgruß bedeutet und in welchen Zusammenhängen er öffentlich gezeigt wird und wurde. "Jetzt können wir anhand einer aktuellen politischen Debatte Bildung machen."