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Die Griechen und das Referendum

Marianthi Milona (Thessaloniki)29. Juni 2015

Während die Opposition von einem Putsch spricht, halten der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Kabinett am Referendum fest. Das Volk soll über das letzte Angebot der Gläubiger mitentscheiden.

Griechenland Schuldenkrise
Bild: Reuters/M. Djurica

Die Parlamentsdebatte am vergangenen Samstagabend endete mit einer Mehrheitsabstimmung. Die meisten griechischen Parlamentarier haben sich für ein Referendum am kommenden Sonntag (05.07.2015) ausgesprochen. Damit ist der Weg frei für die erste Volksabstimmung seit den 1970er Jahren in Griechenland, in der die griechische Bevölkerung über ihre Zukunft mitbestimmt. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras äußert sich optimistisch, dass das Ergebnis mit einem eindeutigen Nein zum neuen Brüsseler Reformpaket ausfallen wird. Es soll sich dabei nicht um die Vorschläge der griechischen Regierung handeln, sondern um die der europäischen Verhandlungspartner. Das hob Tsipras bei seiner Rede noch einmal deutlich hervor. Auch soll das Referendum kein Signal für einen Austritt Griechenlands aus der EU sein, bekräftige er immer wieder.

Stunde Null

Mit dem Referendum geht die griechische Regierung wieder an die Basis ihrer Theorie über ein gemeinsames Europa zurück, in der es keine strafenden und bestraften Bürger geben sollte. Und macht damit einmal mehr deutlich, dass es bei den Verhandlungen in Brüssel, will man einen gemeinsamen Konsens finden, nicht allein um Zahlen gehen kann, sondern auch um Werte, wie Gleichheit, Solidarität und Verständnis für die sozialen Unterschiede in einem multikulturellen Europa. Niemand kann im Augenblick voraussagen, wie die Stimmung im Land in den kommenden Tagen sein wird. Doch die ersten Eindrücke kurz nach der Parlamentsentscheidung vermitteln keine so große Unruhe und Panik, wie noch in den vergangenen Tagen befürchtet worden war.

Noch ist keine Panik zu spürenBild: Reuters/S. Rapanis

Auch die dagegen waren, sind jetzt dafür

"Sicher, wir sind alle ein wenig aufgeregt. Mit dieser Entwicklung haben wir alle nicht gerechnet. Wir trauten Tsipras nicht so ganz, weil wir dachten, er würde am Ende doch noch seine Unterschrift unter den neuen Reformplan der EU setzen", erklärt Petros Robolis. Seit einer Stunde wartet der Rentner an der Schlange eines Bankautomaten, um ein paar Euros zu ziehen. Nicht weil ihn die Panik gepackt hat. "Wer nichts hat, dem kann auch nichts genommen werden", erklärt er. Er will nur Geld für die nächsten Tage ziehen, weil die Enkelkinder kommen. Und weil er auch seiner Tochter einige Scheine zustecken will. Sie sei arbeitslos, da müsse seine Rente von 560 Euro für alle reichen. Der griechische Rentner beteuert, er sei nie ein Tsipras-Anhänger gewesen, aber wo er recht hat, hat er recht. Noch weniger Rente zu erhalten, wäre für den alten Herrn in weißem Hemd und grauem Anzug wie ein Schlag ins Genick. Petros Robolis ist für das Referendum. Er will die neuen Sparmaßnahmen mit einem deutlichen Nein ablehnen. In den kommenden Tagen wird er zwar täglich nur 60 Euro ziehen können. Die griechische Regierung will damit den Kapitalverkehr besser unter Kontrolle halten. Für Rentner Robolis ändert dies an seiner persönlichen Situation gar nichts. Täglich 60 Euro ziehen zu können, wäre für ihn ein Traum.

Leben geht nur, weil man zusammenhält

Toula Katarzi ist 50 Jahre alt und hat ihren kleinen Schneidereibetrieb schließen müssen. Sie konnte die Miete nicht mehr zahlen. Als dann vor einem Jahr ihr Mann plötzlich verstarb, gab es keinen finanziellen Rückhalt mehr. Eigentlich steht Toula Katarzi eine Witwenrente zu, aber wann die kommt, ist unklar. Die arbeitslose Schneiderin hat ihren Sohn um Hilfe gebeten. Der hat ihr 10.000 Euro, seine gesamten Ersparnisse, gegeben. Wenn die Rente kommt, will Toula Katarzi dieses Geld zurück zahlen. "Ich kann mir nicht vorstellen, nicht in der EU zu sein. Wir haben diesem Kontinent den Namen gegeben", sagt sie. "Wenn Tsipras sagt, wir sind gleichberechtigt unter Gleichberechtigten, dann hat er völlig recht. Wir werden uns dieses Recht nicht nehmen lassen.“

Reformen brauchen Zeit

Ungefähr zur selben Zeit sitzt der 26jährige Jiannis Kehagias in seinem frisch eröffneten Büro. Er hat sich als Steuerberater selbständig gemacht. Der junge Mann hat Ende Juni viel zu tun. Nur wenige Wochen bleiben nämlich noch, dann müssen die griechischen Bürger ihre Steuererklärungen gemacht haben. In diesem Jahr kommen sehr viele zu ihm und suchen seinen Rat. Die Regierung Tsipras hat strengere Kontrollen angekündigt und das Einhalten der Abgabefristen gefordert. Sonst würden die Bürger eine hohe Gebühr zahlen müssen. Keine andere Regierung zuvor hatte das ernsthaft in Angriff genommen. "Dass der griechische Selbständige jetzt nach Forderung der EU eine Steuervorauszahlung tätigen muss, ist für den Reformprozess im Land nur hinderlich. Woher soll denn das Geld kommen?" klagt der junge Steuerexperte. Jiannis Kehagias mag dennoch keine spontanen Entscheidungen, die die Griechen im Augenblick aus ihrer vermeintlichen Ruhe bringen könnten. "Deshalb kam mir die Entscheidung zum Referendum etwas plötzlich. Aber ich finde es gut so. Und ich werde ganz sicher gegen die jüngsten Sparvorgaben stimmen. Alles andere ist glatter Selbstmord."

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