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Die Macht der Fluggewerkschaften

Ole Kämper4. September 2012

Es wird wieder gestreikt in Deutschland. Diesmal sind es die Flugbegleiter, die den Betrieb lahmlegen. Besonders an Flughäfen sorgen kleine Gewerkschaften für großes Chaos. Woher nehmen diese Verbände die Macht?

Streikende Flugbegleiter vor Lufthansa-Flugzeug (Foto: dapd)
Bild: dapd

Bisher war UFO, die Unabhängige Flugbegleiter Organisation, man könnte sagen dem Namen entsprechend, eher unbekannt. Doch mit dem ersten Streik in der Verbandsgeschichte hat sich das geändert. Für acht Stunden legten UFO-Mitglieder die Arbeit am Frankfurter Flughafen, Deutschlands bedeutendstem Luftfahrt-Drehkreuz, nieder. Europaweit fielen Hunderte Flüge aus. Tausende Passagiere waren betroffen, einige mussten sogar in Flughäfen übernachten. Während die Lufthansa mitteilte, sie rechne mit einem Schaden in Millionenhöhe, kündigte die Gewerkschaft bereits weitere Aktionen an. Am Dienstagmorgen (04.09.2012) ist der Streik auf dem Berliner Flughafen Tegel und in Frankfurt am Main in die zweite Runde gegangen, am Nachmittag soll auch am Flughafen in München gestreikt werden.

Das Drohpotential des Bordpersonals ist enorm. "Ohne Flugbegleiter darf ein Flugzeug nicht abheben, genauso wie ein Flugzeug ohne Pilot nicht fliegen kann", erklärt Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln im DW-Gespräch. So haben es nach Piloten und Fluglotsen nun auch Flugbegleiter als relativ kleine Gruppe geschafft, den Frankfurter Flugbetrieb empfindlich zu stören. Solange dies verhältnismäßig geschehe, sei das rechtlich in Ordnung, so Lesch.

Zahlreiche Passagiere saßen an Europas Flughäfen festBild: Reuters

Die Tarifautonomie ist unantastbar

Tarifverhandlungen sind in Deutschland allein Sache der streitenden Parteien, also der Arbeitnehmer- und der Arbeitgebervertretungen. Dazu gehört auch die Wahl von Kampfmitteln wie Streiks auf der einen und Aussperrungen auf der anderen Seite. Der Staat und die Regierung dürfen sich nicht einmischen. Diese sogenannte Tarifautonomie ist ein hohes Gut in Deutschland. "Das ist ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht und jede Art, da einzugreifen, ruft sofort den juristischen Streit auf den Plan", erklärt Tarifexperte Lesch.

Doch der Verhandlungsrahmen wird immer unübersichtlicher. Früher habe noch Tarifeinheit geherrscht, so Lesch. Das heißt, pro Betrieb gab es nur einen Tarifvertrag. Doch mit dem ersten Pilotentarifvertrag im Jahr 2001 wurde dieses Prinzip zunehmend aufgeweicht. Eine Zweiteilung des Gewerkschaftssystems ist die Folge: große Branchengewerkschaften auf der einen, kleine Berufsgruppengewerkschaften auf der anderen Seite.

Die Piloten hatten zuerst einen eigenen TarifvertragBild: G. Schlaeger/Lufthansa

Politisches Gewicht contra Einzelinteressen

Die großen Branchengewerkschaften wie die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) oder die IG Metall mit jeweils mehr als zwei Millionen Mitgliedern verfügen über gesellschaftliches und politisches Gewicht, das sie bei öffentlichen Debatten einbringen. So geschehen zum Beispiel beim Thema Mindestlohn. Doch daneben haben sich einige kleine Berufsgruppengewerkschaften etabliert, wie etwa die der Lokführer (GdL), Piloten (Vereinigung Cockpit) oder Ärzte (Marburger Bund).

"Die Kleinen haben den Vorteil, dass sie ganz gezielt Interessen einer Gruppe vertreten können", erklärt Hagen Lesch. "Die Gruppen sind homogen, lassen sich natürlich auch leichter mobilisieren, weil die Identifikation in der Berufsgruppe eine andere ist, als wenn Sie verschiedene Berufsgruppen organisieren." Die großen Branchengewerkschaften hingegen vertreten auch schwächere Gruppen und müssen bei Forderungen auch deren geringere Durchsetzungskraft gegenüber den Arbeitgebern berücksichtigen. In dieser solidarischen Interessengemeinschaft können Forderungen folglich oft nur weniger drastisch gestellt werden.

Auch die Flugbegleiter wollen nun ihre Forderungen durchsetzenBild: Reuters

Eine totale Fragmentierung der Gewerkschaften erwartet Lesch trotzdem nicht. Eine schlagkräftige Streikkasse und die Akzeptanz der Arbeitgeberverbände als Verhandlungspartner seien für viele zu hohe Hürden.

Bewährungsprobe für die Flugbegleiter

Die Flugbegleitergewerkschaft UFO, die 1992 gegründet und 2002 erstmals als Tarifpartner durch die Lufthansa akzeptiert wurde, hat diese nun offenbar genommen. Mit mehr als 10.000 Mitgliedern versteht sie sich als das "Sprachrohr der Kabine". Im aktuellen Tarifstreit fordert sie fünf Prozent mehr Lohn sowie das Ende der Leiharbeit und die Sicherheit vor Stellenauslagerungen. Die Lufthansa hat Gehaltserhöhungen von 3,5 Prozent und den Verzicht auf Leiharbeit sowie betriebsbedingte Kündigungen angeboten.

Den aktuellen Arbeitskampf sieht Lesch auch als Bewährungsprobe für die Gewerkschaft. "Wenn dieser Streik erfolgreich sein sollte und UFO letztlich den Großteil seiner Forderungen durchsetzen kann, sehe ich schon eine ähnliche Macht, wie das bei Cockpit der Fall ist." Dennoch seien Tarifverhandlungen immer ein Kompromiss, stellt Lesch klar. "Auch nach dem Arbeitskampf muss man ja wieder verhandeln und beide Seiten müssen sich bewegen."