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Politik

Dennis Stute26. September 2005

Die USA umwerben Indien als Gegengewicht zu China - und befördern damit eine Annäherung der asiatischen Nachbarn. So könnten die beiden Nuklearmächte schon bald einen jahrzehntealten Grenzkonflikt beilegen.

Blicken nach vorn: Manmohan Singh (l.) und Wen JiabaoBild: AP
Eine Rakete im Militärmuseum in PekingBild: AP

Manchmal bricht sie noch hervor, die alte Rivalität. Als der indische Verteidigungsminister Pranab Mukherjee bei einer Diskussionsveranstaltung in Neu Delhi unlängst auf den Grenzkrieg von 1962 zu sprechen kam, entspann sich ein kleiner Krieg der Worte mit dem chinesischen Generalkonsul Song De Heng. Der wies die Feststellung zurück, dass sein Land Indien überfallen habe und fragte mit Blick auf ungelöste Grenzstreitigkeiten: "Ist es schwer, mit China zu verhandeln - oder mit Indien?"

Beide Seiten bemühten sich jedoch sogleich um eine Entschärfung und priesen in blumigen Worten ihre Freundschaft. Denn die Beziehungen zwischen Indien und China sind so gut wie nie und auch die Grenzstreitigkeiten zwischen den Nuklearmächten könnten schon bald gelöst werden: Von Montag (26.9.2005) bis Mittwoch werden die beiden Länder in Peking über eine Beilegung verhandeln.

Streit um ein riesiges Gebiet

Indische GrenzsoldatenBild: AP

"Der Begriff Grenzstreit ist eigentlich unangemessen - es ist ein Streit um territoriale Hoheitsgewalt", sagt Swaran Singh, Experte für chinesische Außenpolitik an der Jawaharlal Nehru Universität in Neu Delhi. "Denn das Gebiet, um das es geht, ist riesig - mehr als die Hälfte der in der UNO vertretenen Staaten sind kleiner." Eine 40.000 Quadratkilometer große Region im Norden von Kaschmir, um welche die Länder 1962 einen Krieg führten, wird von China kontrolliert und von Indien beansprucht. Den 90.000 Quadratkilometer großen indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh wiederum betrachtet Peking als Teil Chinas.

Die nun beginnende Verhandlungsrunde ist die erste seit dem Besuch des chinesischen Premierministers Wen Jiabao im April in Neu Delhi, bei dem beide Seiten ein Grundsatzprogramm unterzeichnet hatten, wie der Konflikt gelöst werden soll. Als Gastgeschenk brachte Wen damals Karten mit, auf denen der indische Bundesstaat Sikkim als Teil Indiens eingezeichnet war - die Annexion des Fürstentums durch Indien in den 1970er Jahren hatte China bis dahin nie akzeptiert.

China unter Druck

Das Tawang-Kloster in Arunachal Pradesh ist mit 400 Mönchen das zweitgrößte Kloster des tibetischen BuddhismusBild: AP

Die verbleibenden Fragen seien jedoch komplex genug, sagt Dipankar Banerjee, Direktor des Instituts für Friedens- und Konfliktsforschung in Neu Delhi: "Nichts ist einfach, wenn es um die indochinesische Grenze geht." Die so genannte McMahon-Linie, welche die britische Kolonialmacht 1914 als Grenze zwischen Indien und Tibet festlegte, wird von China nicht anerkannt und selbst ihr genauer Verlauf ist umstritten. Zudem werde Peking weiterhin das Tawang-Disktrikt in Arunachal Pradesh beanspruchen, glaubt der ehemalige Generalleutnant des indischen Heeres. Weil dort der sechste Dalai Lama geboren wurde und in der Distrikthauptstadt das alte buddhistische Kloster Tawang liegt, betrachtet China die Region als Teil Tibets.

Dass China nun die Dringlichkeit einer Lösung anerkenne, stelle einen qualitativen Sprung in den Anfang der 1980er Jahre begonnen Verhandlungen dar, sagt der China-Experte Singh. Dafür gebe es drei Gründe: "Indien wird als Staat gesehen, der zunehmend mächtiger wird. Zweitens wird anerkannt, dass sich die Länder wirtschaftlich und politisch näher kommen. Drittens fühlen sich die Chinesen unter Druck, weil Indien und die USA immer engere Beziehungen haben."

Indien als Gegengewicht

Bei seinem Besuch bei US-Präsident George W. Bush (r.) wurde der indische Premierminister Manmohan Singh umworbenBild: AP

Washington stellt schon seit längerem klar, dass es den Aufstieg Indiens zur Großmacht begrüßt und auch zu unterstützen bereit ist. Im Juni unterzeichneten die Länder ein Abkommen zur militärischen Kooperation. Einen Monat später sicherte US-Präsident George W. Bush dem indischen Premierminister Manmohan Singh die volle Unterstützung bei der Entwicklung eines zivilen Nuklearprogramms zu und erklärte, die Beziehungen seien "nie stärker als heute" gewesen. Viele Beobachter erklären das amerikanische Werben damit, dass die USA auf Indien als Gegengewicht zu China in der Region setzen.

Den chinesischen Teil Kaschmirs beansprucht IndienBild: APTN/DW

Dass diese Verbindung langfristig zu Spannungen mit China führen könnte, glaubt der Ex-General Banerjee nicht: "Indien wird nichts tun, was auf Kosten der Freundschaft mit China geht." Swaran Singh geht ebenfalls davon aus, dass Indien den "sehr geschickten Balanceakt" durchhalten werde. Der explodierende Handel mit China, dessen Volumen von 7,6 Milliarden Dollar im Jahr 2003 auf 13,6 Milliarden im Folgejahr stieg und nun bei 20 Milliarden liegen dürfte, werde eine Konfrontation auf politischer Ebene immer unwahrscheinlicher machen.

Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, ist weniger optimistisch. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die am schnellsten wachsenden asiatischen Ökonomien wirtschaftlich und politisch zu Konkurrenten entwickeln - Spannungen seien keineswegs ausgeschlossen: "Bei einer Verschärfung der Konfliktpotenziale können die USA mit ihrer kritischen Haltung zu China ein wichtiger Faktor werden."

Latentes Misstrauen

Ein verkleideter Mönch in einem Kloster im indischen Ladakh, unweit des umstrittenen Aksai Chin, um das Indien und China einen Krieg führtenBild: AP

Das sieht auch Kay Möller von der Stiftung Wissenschaft und Politik so. Zwar werde die Annäherung der Nachbarn wohl zunächst weitergehen: "Vor dem Hintergrund der Quasi-Allianz zwischen Indien und den USA versucht China nun, Indien entgegenzukommen." Zugleich werde jedoch ein latentes Misstrauen bestehen bleiben - auch, weil die Atomrüstung zum Teil gegeneinander gerichtet ist. Während es bei der Bekämpfung des islamischen Fundamentalismus gemeinsame Ziele gebe und auch ein Ausbau des Handels Sinn mache, könnten die Interessen in anderen Bereichen kollidieren. So gebe es erste Anzeichen für eine "Rivalität zur See": China baue durch die Zusammenarbeit mit Indiens Nachbarstaat Birma die Reichweite seiner Marine aus und dringe so in die indische Interessensphäre ein, während Indien dies durch die Kooperation mit Staaten wie Singapur und Malaysia in Südostasien versuche.

Die Grenzstreitigkeiten zumindest scheinen fast ausgeräumt - und damit der schwierigste Konflikt. "Es wird wohl auf eine weitgehende Anerkennung des Status quo hinauslaufen", sagt Swaran Singh. Dabei werde es allerdings kleinere Anpassungen geben - so sei denkbar, dass China das Gebiet um das Kloster Tawang erhalte. Im besten Fall, glaubt Singh, könnte der alte Streit schon in sechs Monaten gelöst sein.

Dennis Stute

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