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Politik

Die Haltung zu Russland spaltet Tschechien

26. April 2021

Seit Tagen beschäftigt der russische Anschlag auf ein Munitionslager im Jahr 2014 das EU-Land. Nun nimmt Präsident Zeman Moskau auch noch indirekt in Schutz. Kritiker sprechen von Verrat.

Tschechien 2014,bei Vrbetice | Explosion Munitionslager
Ein tschechischer Polizist steht am 11.12.20214 vor dem Ort der Explosionen im Munitionslager im Südosten des LandesBild: Czech Republic Police/dpa/picture alliance

Tschechiens Politik und Öffentlichkeit sind derzeit im Schockzustand. Vor gut einer Woche kam heraus, dass russische Agenten verantwortlich sind für zwei verheerende Explosionen in einem Munitionslager im Südosten des Landes, die sich im Herbst 2014 ereigneten. Regierung und Opposition sprechen von "Staatsterrorismus" und einem "Angriff Russlands auf einen souveränen Staat", Erinnerungen an die sowjetische Invasion von 1968 werden wach.

Nun kommt ein weiterer Schock hinzu: der über die Reaktion von Präsident Miloš Zeman auf die Affäre. Nach achttägigem Schweigen hatte er sich am Sonntag (25.4.2021) in einer TV-Ansprache endlich geäußert - und gesagt, er habe bisher keine Beweise dafür gesehen, dass Russland hinter den Explosionen stecke. Das für seine Pro-Putin-Positionen bekannte Staatsoberhaupt warnte vor "Spekulationen und Hysterie" und rief dazu auf, das Untersuchungsergebnis zu den Explosionen abzuwarten.

Miloš Zeman, Präsident der Tschechischen RepublikBild: Getty Images/AFP/M. Cizek

Russische Staatsmedien jubelten, tschechische Oppositionspolitiker und viele prominente Kommentatoren reagierten entsetzt. Die meisten warfen Zeman vor, dem Schema russischer Desinformationskampagnen zu folgen und als Handlanger des Kreml zu agieren - obwohl es eindeutige Beweise für die russische Urheberschaft der Explosionen gebe. "Das war Zemans traurigste und tragischste Leistung", schreibt der Publizist Martin Fendrych, "er hat den Verrat an Tschechien vollendet."

Das EU-Land dürfte nach der Präsidenten-Ansprache nun noch tiefer in der gegenwärtigen außen- und innenpolitischen Krise versinken - die schwerste seit vielen Jahren. "Zeman hat zwar nicht ganz die russische Position vertreten, aber Moskau dennoch ein Geschenk gemacht und zugleich in der tschechischen Republik Öl ins Feuer gegossen", sagt der Politologe Milan Nič von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) der DW. "Die Reaktionen auf die Ansprache zeigen, dass Tschechien politisch eine sehr tief gespaltene Gesellschaft ist - wobei Zeman sich jetzt gegen die Mehrheit der Öffentlichkeit stellt, die laut Umfragen Putins Russland kritisch sieht und eine Abkehr von prorussischen außenpolitischen Positionen wünscht."

Regierung reagiert konfus

Die Nachricht von dem russischen Anschlag 2014 war am vorvergangenen Sonnabend (17.4.2021) in der tschechischen Republik eingeschlagen wie eine Bombe. Der rechtsliberal-populistische Milliardär und Premier Andrej Babiš verkündete sie auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Demnach hatten zwei Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU mit dem Anschlag offenbar eine Waffenlieferung einer privaten tschechischen Firma an die Ukraine verhindern wollen, die über einen bulgarischen Waffenhändler abgewickelt werden sollte. Die beiden GRU-Mitarbeiter sind dieselben, die 2018 wahrscheinlich auch den Giftanschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter im britischen Salisbury ausgeführt hatten.

Andrej Babiš, Regierungschef der Tschechischen Republik

Babiš und sein Kabinett reagierten in der Affäre konfus. Zunächst verkündeten er und der zu dem Zeitpunkt kommissarisch amtierende Außenminister Jan Hamáček, dass Tschechien wegen der Affäre 18 russische Diplomaten ausweise. Später sagte der Premier, es sei "nur ein Anschlag auf eine Ware" gewesen, er habe sich auch nicht in Tschechien ereignen sollen, sondern während des Transportes. Nach einem Sturm der Entrüstung entschuldigte er sich.

Außenminister wird deutlich

Zugleich kam heraus, dass Babiš und einige Regierungsmitglieder offenbar schon länger von der Affäre wussten. Möglicherweise wollten sie mit dem Gang an die Öffentlichkeit einer Medienpublikation zuvorkommen. Nun steht der Verdacht im Raum, sie hätten die Affäre kleinhalten oder vertuschen wollen.

Tschechiens neuer Außenminister Jakub Kulhánek bei der Pressekonferenz am 21.04.2021 in PragBild: David W Cerny/REUTERS

Demgegenüber begann Tschechiens neuer Außenminister Jakub Kulhánek seinen Amtsantritt am vergangenen Mittwoch (21.4.) mit klaren Ansagen an Russland, das seinerseits 20 tschechische Diplomaten ausgewiesen hatte. Kulhánek verkündete, dass Tschechien die Anzahl der russischen Diplomaten in der völlig überdimensionierten russischen Botschaft in Prag exakt auf dasselbe Niveau herunterstufen werde wie das der tschechischen Botschaft in Moskau. Daher müssen bis Ende Mai etwa 70 Diplomaten und Botschaftsmitarbeiter abreisen.

Solidarische EU-Staaten sind brüskiert

Weniger deutlich agierte die Regierung in der heftig debattierten Frage, ob der russische Staatskonzern Rosatom an der Ausschreibung zum Ausbau des Atomkraftwerkes Dukovany teilnehmen sollte. Entgegen zunächst anderslautender Berichte schloss die Regierung Rosatom von der Ausschreibung bisher nicht aus.

Der Politologe Milan Nič arbeitet für die Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)Bild: DW

Dieser Schlingerkurs wie auch die Ansprache des Staatspräsidenten Zeman zu der Affäre haben zum einen außenpolitische Folgen für Tschechien: Zeman hat diejenigen Länder brüskiert, die aus Solidarität mit Tschechien bereits russische Diplomaten ausgewiesen haben - das sind die Slowakei und die baltischen Staaten. Auch dürfte eine EU-weite Solidaritätswelle wie die mit Großbritannien nach dem Anschlag in Salisbury, als fast alle EU- und Nato-Mitglieder russische Diplomaten auswiesen, erst einmal ausbleiben. "Vor allem Zemans Rede könnte für einige Verbündete Tschechiens eine Entschuldigung sein, möglichst wenig zu tun", sagt der Politologe Milan Nič.

Babiš' Interessenkonflikt

Innenpolitisch kommt hinzu, dass der Regierungschef Andrej Babiš wegen persönlicher Affären unter starkem öffentlichem Druck steht. Am vergangenen Freitag urteilte die EU-Kommission nach jahrelangen Ermittlungen abschließend, dass der Milliardär in einem Interessenkonflikt stehe. Babiš hatte sein Konsortium Agrofert noch in seiner Zeit als Finanzminister Anfang 2017 an zwei Treuhandfonds übergeben, um weiter EU-Subventionen kassieren zu können.

Seitdem behauptet der Premier, keinen Einfluss mehr auf Agrofert zu haben. Doch nun muss er wohl hohe zweistellige Millionensummen zurückzahlen. Babiš sieht sich als Opfer Brüssels, auf Twitter postete er ein Video mit dem Titel: "Rechnungsprüfung? Interessenkonflikt? Es ist immer dasselbe. Eine nützliche Sache, um mich aus der Politik zu vertreiben. Teilen Sie das!"

Vor einem Misstrauensvotum?

Hinzu kommt, dass die Regierung des Premiers wenige Monate vor der Parlamentswahl im Herbst wackelt. Vor kurzem haben die tschechischen Kommunisten der von ihnen tolerierten Minderheitenregierung aus Babiš' Partei "Aktion unzufriedener Bürger" (ANO) und den Sozialdemokraten die Unterstützung gekündigt. Nun steht das Szenario eines Misstrauensvotums im Raum.

Alles in allem keine guten Voraussetzungen für eine konsensbasierte Änderung der tschechischen Außenpolitik gegenüber Russland - und auch nicht für starke Solidaritätsaktionen der EU und der NATO. Der Politologe Milan Nič glaubt dennoch, dass die großen EU- und Nato-Länder, vor allem Deutschland, gut beraten wären, sich eindeutig an die Seite Tschechiens zu stellen.

Testet Russland, was in der EU geht?

"Tschechien könnte ein Präzedenzfall sein, Russland testet aus, wie weit es gegenüber kleineren EU- und Nato-Mitgliedsländern vorgehen kann", so Nič weiter. Deutschland sei in der Affäre zwar solidarisch mit Tschechien - aber es wäre gut, wenn es mehr Führung zeigen und direkter vorgehen würde.

Der Politologe ist sicher: "Auch wenn Berlin wohl keine Diplomaten ausweisen wird, so wäre es doch gut, wenn es wenigstens in seinen Erklärungen an der vordersten Front der Solidarität mit Tschechien stünde, statt vor einer weiteren Konfrontation mit Russland zu warnen. Denn jetzt schauen die meisten Länder im Westen und Südwesten der EU abwartend auf die Bundesrepublik."