Die Hoffnung leuchtet
25. November 2022Es ist Hochbetrieb im Hamburger Andere Zeiten-Haus nah der Elbe. Die Telefone klingeln durchgehend: »Haben Sie noch Adventskalender? Ich brauche dringend noch einen für meine Freundin!« Aus dem Vertrieb des ökumenischen Vereins Andere Zeiten wird der auflagenstärkste Adventskalender der Welt verschickt – auch ins Ausland, bis hin nach Australien und Neuseeland.
Dabei hat die Sache mit dem Kalender »Der Andere Advent« ganz klein angefangen. 1995 saß ein Team aus Theologen und Journalisten mit dem damaligen Hamburger Pressepastor Hinrich Westphal zusammen, sie sprachen darüber, dass der Advent doch eigentlich eine Fastenzeit sei. Doch will man in dieser Zeit voller kleiner Leckereien wirklich auf Spekulatius und Glühwein verzichten? Und gibt es nicht viel Dringenderes, auf das man in der Advents- und Weihnachtszeit achten sollte? Die Antwort war schnell gefunden: Mit einer Adventsaktion laden wir Menschen dazu ein, Stress zu fasten! Die Aktion »Der Andere Advent« war geboren. Und mit ihr der gleichnamige Adventskalender: jeden Tag ein Text, ein Bild und die Einladung, sich täglich zwölf Minuten Zeit zu nehmen. Die Auflage des ersten Kalenders in Höhe von 4000 Stück wurde verschenkt. Im folgenden Jahr wurden bereits 30.000 Kalender gedruckt. Seitdem steigt die Auflage des Kalenders kontinuierlich. Im vergangenen Jahr hat »Andere Zeiten« über 700.000 Exemplare des Begleiters verschickt.
Was steckt hinter dem Erfolg des Kalenders? Sicher zunächst einmal die Zeit, die sich die siebenköpfige ökumenische Redaktion nimmt. Über ein Jahr vor dem Erscheinungstermin beginnt die Textarbeit. Natürlich auch deswegen, weil sich ein Adventskalender am besten in der Adventszeit machen lässt und nicht bei 30 Grad im Hochsommer. Wichtig für den Kalender ist aber auch die Mischung aus nachdenklichen, amüsanten, überraschenden und zuversichtlichen Texten. Dabei hat sich die inhaltliche Ausrichtung des Kalenders stets der gesellschaftlichen Entwicklung angepasst. In den neunziger Jahren war die Distanzierung vom Geschenkestress und der überladenen Kommerzialisierung der Vorweihnachtszeit ein wichtiges Thema. Heute ist es der Redaktion ein Anliegen, in der gegenwärtig unsicheren Zeit voller Fragen neue Perspektiven aufzuzeigen und Zuversicht zu transportieren: Das Andere Zeiten-Team möchte sich gemeinsam mit den Leser:innen auf den Weg machen und die Tiefe und den Trost der Advents- und Weihnachtszeit neu entdecken.
Eine Marktforschungsanalyse hat 2022 ergeben, dass über 90 Prozent der Kalenderleser:innen Frauen sind. Viele sind christlich geprägt oder für religiöse Fragen ansprechbar. Dabei hat die Redaktion bei der Textlegung vor allem christliche Randsiedler im Blick – also die Menschen, denen ihr Anknüpfungspunkt zu Glaube und Religion abhandengekommen ist. Und tatsächlich erhält die Redaktion auch viele Zuschriften aus dieser Zielgruppe: »Eigentlich war mir mein Glaube verlorengegangen. Aber durch Ihren Kalender werde ich noch einmal neu neugierig. Vielleicht gibt es doch eine Antwort auf all meine Fragen?«, schreibt eine Leserin. Alle eingehenden Mails und Briefe werden persönlich beantwortet. Zudem begleitet ein Internetforum, in dem sich Lesende austauschen können, die Laufzeit des Kalenders. Dieser beginnt mit dem neuen Kirchenjahr, am Vorabend des Ersten Advent, und endet mit dem Epiphaniastag am 6. Januar. Die für einen Adventskalender ungewöhnliche Länge hängt auch mit dem Vereinsziel eines missionarischen Auftrags zusammen, der die Lesenden in der oft melancholischen Zeit zwischen den Jahren und auf ihren ersten Schritten im neuen Jahr begleiten möchte.
»Der Andere Advent« hat durch seinen Erfolg 24 feste Arbeitsplätze im Verein Andere Zeiten geschaffen. In diesem Jahr erscheint er zum 28. Mal. Weitere Aktionen des Vereins sind verschiedene Buchprojekte und zum Beispiel ein kleiner Bronzeengel, der weit über eine Million Mal verkauft wurde. Überschüsse spendet der Verein an christliche Projekte im kirchlichen Bereich. Der große Anklang, den die Aktionen des Vereins finden, zeugt von einer wachsenden Sehnsucht nach Spiritualität, die sich scheinbar gern an unkonventionellen Projekten festmacht.
Iris Macke