Die jecke Republik
2. März 2014Jedes Jahr beginnt an Weiberfastnacht der Straßenkarneval: Alt und Jung ziehen verkleidet durch die Straßen, wildfremde Menschen fallen sich in die Arme, bei Wind und Wetter wird geschunkelt, gejauchzt und geküsst. In den Karnevalshochburgen entlang des Rheins, im Schwarzwald und Teilen der Schweiz kann sich niemand der "fünften Jahreszeit" entziehen. Karnevalsmuffeln bleibt oft nichts anderes übrig, als die Stadt zu verlassen.
Regionales und nationales Kulturerbe
Der Bedeutung des Karnevals soll nun auch offiziell Rechnung getragen werden. Ende 2013 hat der Bund Deutscher Karneval (BDK) einen Antrag bei der Kultusministerkonferenz eingereicht. Ziel: Die UNESCO soll den Karneval zum immateriellen Weltkulturerbe erklären. Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur betrachtet seit einigen Jahren nicht mehr nur Bau- und Kunstwerke oder bestimmte Regionen als Weltkulturerbe, sondern auch "Bräuche, Darstellungen und Ausdrucksformen, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen."
Ein solcher Antrag scheint zunächst gewagt. Schließlich gibt es nicht nur einen Karnevalsbrauch in Deutschland, sondern viele unterschiedliche Traditionen. Peter Krawietz, Vizepräsident des BDK und einer der Antragsteller, sieht darin aber kein Problem: "Wir begreifen Karneval als deutschlandweites Phänomen und haben den Antrag so formuliert, dass dabei die verschiedenen regionalen Ausgestaltungen berücksichtigt worden sind."
Von Hexen und Schwellköpp
Fasching, Fasnet, Karneval - nicht nur der Name des Festes, auch seine Traditionen unterscheiden sich von Region zu Region. So ziehen zum Beispiel während der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, die im Südwesten Deutschlands und der Schweiz gefeiert wird, junge Männer und Frauen mit kunstvoll gefertigten Holzmasken und in farbenfrohen Kostümen durch die Dörfer. Sie stellen Fabelwesen, Kobolde oder Hexen aus regionalen Sagen und Erzählungen dar. Die Teilnehmer der Hexensprünge im badischen Offenburg hüpfen mit Hilfe eines Holzbesens über meterhohe Flammen - und fangen dabei hin und wieder selbst Feuer.
Während die schwäbisch-alemannische Fastnacht bis ins Hochmittelalter zurückreicht, hat sich der rheinische Karneval zwischen Düsseldorf, Aachen, Köln und Mainz in seiner heutigen Form im 19. Jahrhundert entwickelt. Hier steht traditionell der Spott gegenüber der Obrigkeit im Mittelpunkt. Bei den Rosenmontagszügen kommentieren die Düsseldorfer Themenwagen oder die Mainzer "Schwellköpp", überdimensionale Pappmaschee-Karikaturen, das politische Geschehen des vergangenen Jahres. In den "Büttenreden" lästern die Narren in gereimter Form und bildstarker Sprache über ihre Gemeinderäte, Landesherren oder die Bundesregierung.
Politische Sprengkraft und Kommerzialisierung
In seinen Anfängen war der rheinische Karneval Ausdruck des Kulturkrieges zwischen dem katholischen Rheinland und seinen preußisch-protestantischen Besatzern. Mit ihren Umzügen parodierten die großen Karnevalsvereine die Märsche und Paraden der Preußen. Der Geist des Widerstandes blieb auch später bestehen. Während des Nazi-Regimes gab es in Köln und Mainz zahlreiche mutige Karnevalisten, die, wie Peter Krawietz betont, "aus der Bütt heraus, gegen das Regime wetterten" und dabei ihr Leben riskierten.
Heute hat der rheinische Karneval seine politische Sprengkraft weitgehend verloren. Stattdessen hat eine Kommerzialisierung eingesetzt. Der Kulturwissenschaftler und Karnevalsexperte Gunther Hirschfelder spricht sogar von einer "Eventisierung". Karneval, als Event zelebriert, würde ihm seine Einzigartigkeit nehmen. Auch die Anbindung des Karnevals an die christliche Fastenzeit ist mittlerweile bedroht. Beliebte Kölner Karnevalslieder werden inzwischen immer öfter auch auf anderen Volksfesten oder beim Après-Ski gesungen.
Tradition und ständiger Wandel
"Die Bewerbung auf Anerkennung als Weltkulturerbe ist kulturpolitisch absolut plausibel und notwendig", sagt Hirschfelder. Es ginge dabei um die Bewahrung der kulturellen Identität des Karnevals. Die erhoffte Schutzfunktion sieht er aber problematisch. Der Karneval in seiner Summe sei zwar schützenswert. Man müsse nur genau überlegen, was man daran konservieren möchte. "Denn Konservieren bedeutet Tod", befürchtet er. Das könnte besonders bei einer so dynamischen Kulturform wie dem Karneval zutreffen. Die Handwerkskunst der Masken- und Wagenbauer, die Verskunst der Büttenredner und Liedermacher und die Tänze der vielen regionalen Karnevalsgruppen erfahren bei aller Traditionspflege eine ständige Veränderung und Anpassung an aktuelle kulturelle Strömungen.
Zurück auf die Straße
Jenseits der fest etablierten Prunksitzungen und Umzüge gibt es in den Karnevalshochburgen auch eine schier unüberschaubare Zahl an alternativen Veranstaltungen. In Köln gehören dazu die Veedelszüge, kleine Umzüge in einzelnen Stadtvierteln. Oder der Geisterzug, ein Umzug, der sich bewußt als Gegenstück zum Rosenmontagszug inszeniert. Beim Geisterzug gibt es keine großen Paradewagen, es werden keine Süßigkeiten geworfen und jeder darf mitlaufen.
In Südwestdeutschland treibt der Straßenkarneval mitunter die seltsamsten Blüten: So verwandelt sich während der schwäbisch-alemannischen Fastnacht das Dorf Marlen in sein Negativ "Nelram". Junge Männer rasen dann mit schwarz bemalten Gesichtern und um den Unterarm gewickelten Hasenfellen auf selbstgebauten Gefährten durch die Straßen.
Ob er nun Fasching, Fastnacht oder Fasnet heißt: Der Karneval in Deutschland äußert sich auf vielen kulturellen Ebenen und in den unterschiedlichsten Facetten.