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Die Journalisten der Stunde Null

11. September 2006

Sie waren vor Ort, als die Türme des World Trade Centers einstürzten. Sie haben pausenlos über die Katastrophe berichtet. Und ziehen fünf Jahre nach 9/11 ein persönliches Fazit - drei Journalisten der Stunde Null:

Die brennenden Twin Tower aus der Ferne - die Journalisten waren nah dran. Auch ungewolltBild: AP

Vor ein paar Wochen habe ich in Brüssel den Film "United 93" zusammen mit amerikanischen Freunden gesehen. Das Schicksal der Menschen in der vierten Terror-Maschine, die nach dem mutigen Eingreifen der Passagiere über Pennsylvania abstürzte und nicht ihr Ziel Washington erreichte, hat mich tief bewegt. Wir haben geweint.

Bernd Riegert, 2001 Korrespondent der DW in WashingtonBild: DW

Die Erinnerungen an den Morgen des 11. September 2001 kamen wieder hoch, als ich in Washington als Korrespondent arbeitete und das Unfassbare schildern musste. Ich sah das Pentagon brennen. Als ich live berichtete, wie die Menschen aus dem brennenden World Trade Center in den Tod sprangen, versagte mir die Stimme, was einem Radioreporter eigentlich nicht passieren darf. Auch damals habe ich geweint als das Rotlicht aus war. Die nächsten Tage haben wir alle rund um die Uhr gearbeitet, wie in Trance.

Zorn, Wut und Enttäuschung

Erst später habe ich begriffen, was sich tatsächlich alles verändert hatte. Die Welt war anders geworden. Heute fünf Jahre danach vermischt sich die Erinnerung an die 3000 Todesopfer mit Zorn. Mit Zorn darüber, dass die Schuldigen für die Anschläge immer noch nicht gefasst werden konnten. Enttäuschung darüber, dass US-Präsident George W. Bush durch seinen unsinnigen Feldzug im Irak den Kampf gegen die Terroristen schwerer gemacht hat.

Bush hat unglaublich viel Kredit und Glaubwürdigkeit nicht nur in der arabischen und islamischen Welt, sondern auch bei vielen seiner europäischen Verbündeten verspielt. Die uneingeschränkte Solidarität, die den USA 2001 zuteil wurde, hätte man nicht so leichtfertig verpulvern dürfen. Heute fünf Jahre danach und viele Terroranschläge von Bali bis London später will ich mich nicht daran gewöhnen, dass die Angst vor der nächsten Bombe immer gegenwärtig ist. Mir krampft sich der Magen zusammen und Wut steigt auf, wenn ich Rechtfertigungsversuche für den Terror höre, wie jüngst von moslemischen Verbänden in Großbritannien nach dem vereitelten Coup gegen Transatlantikflüge.

Die Kluft wird größer

Von einer Lösung der Konflikte im Nahen Osten sind wir leider weiter entfernt denn je. Noch im Jahr 2000 schien eine Einigung zwischen Israel und Syrien möglich. Jetzt sind Osama bin Laden, die Taliban, Afghanistan, Irak, Iran, Hisbollah und der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern haben sich zu einem hochexplosiven Gebräu vermischt. Die Kluft zwischen "dem" Westen und "dem" Islam wird größer. Vom vielbeschworenen Dialog der Kulturen sind wir wohl noch weit entfernt, wenn der syrische Präsident mit Israel keinen Frieden schließen will und der iranische Präsident im Atomstreit eisenhart bleibt.

In den USA und teilweise auch Europa werden Menschen- und Bürgerrechte für den so genannten Krieg gegen den Terror geopfert. Präsident Bush spielt den "Großen Bruder" bei der Telefonüberwachung seiner Landsleute und findet nichts dabei. Bundesgerichte müssen die bürgerlichen Freiheiten wieder einfordern.

Insgesamt gilt fünf Jahre danach: Es ist wieder zum Weinen.

Bernd Riegert, DW-Studio Brüssel

Lesen Sie auf der nächsten Seite das Resümee von Julie von Kessel, die neben dem zweiten Turm des WTC stand, als dieser einstürzte ...

Thomas Nehls war 2001 für die ARD in New YorkBild: WDR

„Die Welt ist eine andere geworden“ – diesen Satz habe ich oft in den Wochen nach dem 11. September 2001 gelesen und gehört. Und obwohl ich noch stark unter dem Eindruck der grauenvollen Bilder und Erlebnisse dieses Tages stand, obwohl New York sich in diesen Wochen anfühlte wie eine Stadt im Kriegszustand, habe ich immer gehofft, dass dieser Satz nicht stimmt, dass irgendwann alles so wird, wie früher.

Und vieles hat sich für mich persönlich tatsächlich wieder normalisiert. Ich träume nicht mehr so häufig von den brennenden Türmen, den fallenden Menschen, der Panik in den Straßen. Beim Fliegen habe ich nur noch eine „normale“ Angst – nicht mehr die Schweißausbrüche und das Herzrasen wie noch vor vier Jahren. Und inzwischen vergeht auch mal ein Tag, an dem ich nicht an die Anschläge in New York denke.

Jung genug, um nochmal jemanden kennenzulernen

Am 11. September werde ich – wie jedes Jahr an diesem Tag - vor allem an diejenigen denken, die ihren Mann, ihre Frau, ihre Mutter, ihren Sohn bei den Anschlägen verloren haben. Zum Beispiel an Danielle, deren Mann Lee, ein Firefighter, unter den Trümmern des World Trade Centers begraben wurde. Danielle hat zwei kleine Kinder, die jüngere Tochter, Megan, kam erst nach Lees Tod auf die Welt. Danielle war bei dem Tod ihres Mannes erst 29 Jahre alt. Jung genug, sagte sie mir einmal unter Tränen, um vielleicht noch mal jemand anderen kennen zu lernen. Mich hat das erschüttert, der Mann war gerade mal einige Monate tot. Und doch ist es so menschlich; irgendwie muss es ja weitergehen.

Ich denke an Marino, einen Einwanderer aus der dominikanischen Republik. Er, seine Frau und ihre beiden Kinder lebten in bescheidenen Verhältnissen, in einer winzigen Wohnung in Harlem. Seine Frau hatte über eine Zeitarbeitsfirma am 10. September einen Job im World Trade Center bekommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass mit Terror die Falschen getroffen werden – in diesem Fall kam es mir besonders absurd vor. Was haben zwei Einwanderer aus der dominikanischen Republik, die am Existenzminimum leben, mit den Feinden der USA zu tun?

Weitermachen, irgendwie

Ich denke an die Gerhardts, aus Toronto, ein deutsches Ehepaar, das vor Jahrzehnten emigriert war. Ursprünglich kontaktierten sie unser New Yorker Büro, um eine Vermisstenanzeige über die Medien herauszugeben. Sie wollten so ihren Sohn Ralph, einen Mitarbeiter der Firma Cantor Fitzgerald, schneller finden. Er hatte sich seit dem Einschlag des Flugzeuges nicht mehr bei ihnen gemeldet. Tagelang konnten sie sich nicht vorstellen, dass ihr robuster, lebenslustiger Sohn es nicht aus dem Gebäude geschafft haben soll.

Wie geht es diesen Menschen jetzt? So gerne möchte ich mit ihnen sprechen. Doch als ich vor ein paar Monaten versuchte, Marino, Danielle und die Gerhardts zu kontaktieren, scheiterte ich. Die Nummern waren geändert, die email-Adressen abgestellt worden. Fünf Jahre danach hat sich für diese drei Familien anscheinend etwas verändert: sie wollen vielleicht nicht ständig über die Vergangenheit reden, sie wollen weitermachen, irgendwie.

Und ich? Ich möchte das natürlich auch. Und doch ist das Leben verletzlicher geworden. Ständig werden wir damit konfrontiert. Meine Freundin hat Angst, nach dem aufgedeckten Terrorkomplott vom 10. August diesen Jahres mit ihrem Baby über London nach Hause, in die USA zu fliegen. Doch was ist am 11. August anders als am 20. November, oder 4. Januar?

Das Leben geht weiter. Und doch: die Welt ist eine andere geworden.

Julie von Kessel, ZDF-Redakteurin

Lesen Sie weiter: Thomas Nehls, früherer ARD-Hörfunkkorrespondent in New York, stellt heute in den USA einen Hang zu Rache und Vergeltung anstatt zu Analyse und Diplomatie fest.

Julie von Kessel hat im September 2001 für das ZDF in New York gearbeitetBild: privat

Fünf Jahre lang dachte ich, die New Yorker könnten es schaffen - das umzusetzen, was ihnen seit 9/11 so viele zugerufen haben: Kehrt zurück zur Normalität! In gewisser Weise haben sie es auch vollbracht. Die meisten möchten nicht einmal mehr konfrontiert werden mit dem, was an jenem strahlend blauen Herbsttag 2001 geschehen ist - ausgenommen natürlich die Angehörigen der 2749 Todesopfer der Anschläge. Viele New Yorker winken ab, wenn ihnen in diesen Tagen in allen Medien minuziöse Rückblicke und Dokumentationen vieler Nebenaspekte angeboten werden.

Am Ort des grausigen Geschehens - dem noch immer einer aufgeräumten Baustelle ähnelnden Ground Zero - finden sich vor allem Fremde aus anderen Teilen der USA und aus der übrigen Welt ein.

"Bis der Krieg gewonnen ist"

Die Bürgerinnen und Bürger New Yorks haben das Wochenende vor dem eigentlichen Gedenktag vielfach verbracht, als sei es ein ganz normales gewesen - im Central Park, mit Ausflügen in die nähere Umgebung und ins Nachtleben oder mit Ausruhen.

Und doch ist der Alltag heute ein anderer. Spätestens auf den Straßen der Stadt holt jeden die Erinnerung ein; drängt sich auch denen auf, die sie abschütteln wollen. Auf Brücken, in Schaufenstern, an Hauswänden: Überall appellieren Flaggen und Schilder mit Aufschriften wie "United we stand" zum patriotischen Zusammenhalt. An und in Bahnhöfen, Straßentunneln, auf Flughäfen und anderen öffentlichen Plätzen signalisieren oft martialisch dreinschauende Polizisten und Soldaten die Sorge, dass jederzeit wieder Schlimmes passieren könnte - auch wenn fünf Jahre lang kein neuer Anschlag erfolgt ist. Und auf vielen Radio- und Fernsehkanälen werden Rache und Vergeltung geradezu beschworen - "bis der Krieg gewonnen ist". Gegen wen der geführt wird, ist nicht näher auszumachen; was genau weltweit Terroristen weiter gegen die USA mobil machen lässt, auch nicht.

Schwarz-Weiß-Denken

Jeder Ansatz einer Analyse wird als Schwäche, als erster Schritt zur Kapitulation gebrandmarkt. Selbst die im Keller gelandeten Zustimmungswerte der bushschen Außen- und Sicherheitspolitik im eigenen Land beeindrucken die Protagonisten der Schwarz-Weiß-Denkmuster Washingtons äußerst wenig. Wahrscheinlich ist es die fehlende Differenzierung, die die Menschen hier in New York gleichgültig macht - dieses Defizit lässt sich schließlich vor 2008 nicht bereinigen. Erst die nächste Präsidentschaftswahl dürfte die Chance bieten, tatsächlich wieder zur Normalität zurückzukehren. Der leistungsstarke und durchaus kreative Pragmatismus der Menschen in dieser Stadt wird die Überbrückung erleichtern. Schließlich hat er maßgeblich dazu beigetragen, 9/11 selbst zu meistern.

Thomas Nehls war im September 2001 als Radio-Korrespondent der ARD in New York