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"Die Jugoslawen wollten den Krieg nicht"

Zorica Ilic28. Juli 2016

Es war ein Fest für den Frieden: Am 28. Juli 1991 protestierten Tausende bei einem Konzert in Sarajevo gegen den Krieg. Der Autor Danijel Visevic sucht Menschen, die dabei waren und ihre Geschichte erzählen.

Die Olympiahalle Zetra in Sarajevo (Foto: Gagelmann)
Die Olympiahalle Zetra in Sarajevo: Hier fand vor 25 Jahren das Friedenskonzert stattBild: Sylvie Gagelmann/LoveThatPeople

DW: Sie wollen an die vergessene Friedensbewegung im ehemaligen Jugoslawien erinnern, deren Höhepunkt das Konzert in der Zetra-Halle in Sarajevo war - wenige Monate bevor dort ein blutiger Krieg tobte. Wie würden Sie Ihr "Zetra Project" beschreiben?

Danijel Visevic: Das "Zetra Project" ist ein Ort im Internet, an dem sich Menschen, die damals auf dem Konzert in der Zetra-Halle waren, wieder begegnen. Wir sammeln dort die Geschichten von jenen, die sich damals für den Frieden eingesetzt haben, die damals auf dem Konzert waren und einen Bezug zur Friedensbewegung haben. Sie können uns ihre Geschichte erzählen, damit diese Erinnerungen wach gehalten werden. Aber auch, um daran zu erinnern, dass diese Menschen damals den Frieden wollten.

Warum kam es überhaupt zum Jugoslawien-Krieg, obwohl - wie Sie sagen - fast alle dagegen waren? Welche Antworten haben Sie bis jetzt gefunden?

Die Antwort ist natürlich sehr schwierig. Insgesamt waren die Menschen tatsächlich gegen den Krieg - unabhängig von ihrer Religion oder Nationalität. Es gab kein Volk, dass in den Krieg wollte - obwohl das von der einen oder der anderen Seite kolportiert wurde. Ein Beispiel dafür: Es gab nicht nur das Friedenskonzert in der Zetra-Halle, sondern mehr als 30 andere solche Konzerte und mehr als 30 Demonstrationen für Frieden in verschiedenen Städten in ganz Jugoslawien. Und das waren die Demonstrationen, die tatsächlich spontan von den Bürgern ausgingen: Es war nicht eine politische Partei, die sie organisiert hat. Das zeigt, dass viele Bürger den Krieg als eine reale Gefahr wahrgenommen haben und ihn verhindern wollten. Warum es trotzdem dazu kam? Hass gilt für mich nicht als Grund - oder er ist zumindest nur ein Teilaspekt. Die Erklärung, dass sich die verschiedenen Völker (im ehemaligen Jugoslawien) angeblich seit Jahrhunderten hassen und es deswegen auch kaum erwarten konnten, dass Staatspräsident Tito stirbt, damit sie sich wieder aufeinander stürzen, kann ich ausschließen. Viele Politikwissenschaftler widerlegen inzwischen die These vom ethnischen Hass als Kriegsgrund im ehemaligen Jugoslawien. Und das zeigt auch das "Zetra Project".

Danijel Visevic ist durch die Recherche für seinen Roman auf die Geschichte der Friedensbewegung gestoßenBild: Sylvie Gagelmann

Milan Trivic, einer der Organisatoren des Konzerts in der Zetra-Halle, sagte: Wenige Menschen reichen schon, um einen Krieg auszulösen - wenn sie ein paar Zwischenfälle schaffen und dann behaupten, man sei angegriffen worden und müsse sich verteidigen. Teilen sie seine Einschätzung?

Als Journalist halte ich diese Antwort bislang für die beste. Auch Historiker wie zum Beispiel Ulf Brunnbauer haben genauso beschrieben, wie Kriege entstehen können und wie auch ganz konkret der Krieg in Bosnien und Jugoslawien entstanden ist. Es ist tatsächlich so, dass auch nur wenige Extremisten Zwischenfälle schaffen können. Daraufhin sehen sich die Bürger praktisch gezwungen, sich einer Seite zuzuordnen, denn alles andere ist lebensgefährlich.

Wie wichtig war dann die Rolle dieser Friedensbewegung?

Ich halte sie für sehr wichtig - auch heute noch. Viele sagen mir: Der Krieg ist trotzdem ausgebrochen, warum machst du das, warum erinnerst du an eine Friedensbewegung, die keinen Erfolg hatte? Ich sage, die Friedensbewegung ist nur unwichtig, wenn wir sie vergessen. Wenn wir uns an sie erinnern, dann wissen wir, dass die Menschen tatsächlich viel getan haben, um diesen Krieg zu verhindern. Ich glaube, dass das auch den Blick auf die Ex-Jugoslawen verändern wird - auch im Ausland, wo der Balkan irgendwie als eine weniger entwickelte Zivilisation als die westliche gesehen werden. Wir müssen im Westen auf die Illusion verzichten, dass uns so etwas nicht passieren kann, weil wir viel weiter entwickelt sind. Das sind wir nicht. Ich glaube, dass das ehemalige Jugoslawien sehr weit entwickelt war. Wir können viel lernen aus allem, was damals geschah - damit wir heute jenen entschlossen entgegentreten, die solche Fronten zwischen den Menschen entstehen lassen wollen, zum Beispiel zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen.

Viele Menschen, mit denen Sie im Rahmen Ihres Projekts gesprochen haben, sehen Parallelen zwischen dem ehemaligen Jugoslawien und dem heutigen Europa. Was sind ihre Botschaften für Europa?

Wir sind alle vor allem Menschen. Egal, wie einfach diese Botschaft ist - ich finde sie umso wertvoller, wenn sie von jenen kommt, die bereits einen Krieg erlebt haben. Die Grundlage dieses Krieges war die Zuordnung zu einer bestimmten Nationalität - und genau das sollte nicht das Kriterium sein, um uns zu definieren.

Danijel Visevic arbeitet als Journalist, Buchautor und Regisseur in Berlin. Ein Großteil seiner Familie lebt in Bosnien und Kroatien.

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