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GesellschaftDeutschland

Die Kirchen in Deutschland verlieren an Bedeutung

18. August 2024

Jahr für Jahr verlieren die katholische und die evangelische Kirche Hunderttausende Mitglieder. Deutschland verändert sich. Rechtlich scheint vieles offen.

Einige Menschen sitzen auf Bänken vor der Frauenkirche in Dresden
Die Frauenkirche in Dresden, Top-Attraktion der sächsischen LandeshauptstadtBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Das Klischee kennt dieses Bild von Deutschland: Viele Kirchtürme, prachtvolle Gotteshäuser und Touristenattraktionen wie der Kölner Dom, die Dresdner Frauenkirche oder das Kloster Maria Laach in der Eifel.

Traditionell ist Deutschland ein mehrheitlich christlich geprägtes Land. Doch das ändert sich seit einigen Jahren überraschend deutlich. Nicht einmal mehr jeder zweite Deutsche gehört der katholischen oder evangelischen Kirche an.

Erst wenn man die Gläubigen der orthodoxen Kirche und sogenannter Freikirchen, die es überwiegend im evangelischen Bereich gibt, hinzurechnet, bekennen sich derzeit noch mehr als 50 Prozent der mehr als 84 Millionen Deutschen zum christlichen Glauben. 

Der Kölner Dom, eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in DeutschlandBild: Daniel Kalker/picture alliance

Im Jahr 1990, als zum ersten Mal die Zahl der Christen in West- und Ostdeutschland vereint erfasst wurde, stellten Christen noch mehr als 70 Prozent der Gesamtbevölkerung. Damals waren 35,8 Prozent der knapp 80 Millionen Deutschen katholisch und 36,9 Prozent evangelisch. Zusammen waren dies 72,7 Prozent. Gut zehn Jahre später im Jahr 2001 waren es 64 Prozent. Weitere zehn Jahre später, 2011, fiel die Zahl dann erstmals unter 60 Prozent. Von gut 80,3 Millionen Deutschen bekannten sich nur noch 59,9 Prozent zu einer der großen Kirchen.

Kirchenaustritte wegen sexualisierter Gewalt

Ende 2023 gehörten noch knapp 20,35 Millionen Deutsche zur katholischen Kirche, rund 18,56 Millionen Deutsche zur evangelischen Kirche. Der Rückgang der Zahlen ist nicht nur auf jeweils hunderttausende Kirchenaustritte zurückzuführen, die zum Teil auf Skandale um sexualisierte Gewalt in beiden großen Kirchen zurückzuführen sind. Zudem zählen beide Kirchen Jahr für Jahr weit mehr Todesfälle als Taufen.

Die 2010 gegründete Orthodoxe Bischofskonferenz von Deutschland spricht von bis zu vier Millionen orthodoxen Christinnen und Christen im Land. Evangelische Freikirchen und andere christliche Gemeinschaften kommen nach Schätzungen auf rund 800.000 Mitglieder. 

Staat zieht Steuer für Kirchen ein

Es ist eine Besonderheit des deutschen Rechtssystems, dass der Staat exakt die Zahl der Mitglieder von katholischer und evangelischer Kirche benennen kann. Denn diese Gläubigen müssen eine sogenannte ‘Kirchensteuer’ bezahlen, eine Steuer, die auf ihren Lohn oder ihr Einkommen erhoben und zur Finanzierung der Kirchen verwendet wird.

Vollbesetzte Kirchenbänke gibt es in Deutschland nur noch seltenBild: Caroline Seidel/dpa/picture alliance

Die Abgabe zieht der Staat gegen eine finanzielle Aufwandsentschädigung für die Kirchen ein. Dadurch lassen sich die Mitgliederzahlen anders als bei der Zahl der orthodoxen Christen, der Mitglieder von Freikirchen oder der von Muslimen und Juden in Deutschland, die keine Kirchensteuer zahlen müssen, exakt bestimmen. Dieses Kirchensteuer-Verfahren ermöglicht aber auch den formellen Austritt aus der katholischen oder evangelischen Kirche bei einer staatlichen Behörde.

Diese Entwicklung hat vielfältige Folgen. Der Staat und die Großkirchen haben in Deutschland viel mehr miteinander zu tun als in den meisten anderen Ländern weltweit. Aber seit langem laufen Debatten um eine umfassende Änderung dieses rechtlichen Staat-Kirche-Verhältnisses. Die Grundlagen dieses Miteinanders reichen bis in die Weimarer Reichsverfassung von 1919 zurück. Sie berücksichtigen auch finanzielle Ansprüche der Kirchen in Folge der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts, als kirchliche Besitztümer in großem Umfang verstaatlicht wurden.

Deutschland als nach-christliche Gesellschaft?

Doch die Änderung dieser Regelungen sind schwierig, weil sich die Bundesländer und der Bund gemeinsam mit den Kirchen verständigen müssten. Seit längerem scheitern solche Bemühungen bereits zwischen Bund und Ländern. Wissenschaftler und andere Fachleute diskutieren schon, ob Deutschland eine post-christliche, also eine nach-christliche Gesellschaft sei.

In Bielefeld befindet sich in der früheren evangelischen Martini-Kirche ein RestaurantBild: Norbert Neetz/epd-bild/picture alliance

Eine andere Konsequenz ist in vielen Regionen Deutschlands seit einiger Zeit zu erleben. Die Kirchen haben weniger Gläubige, sie bekommen weniger Kirchensteuern und müssen sparen. Wohl mehr als 500 Kirchen und Kapellen im Land wurden mittlerweile aufgegeben. Entweder fielen sie dem Abrissbagger zum Opfer oder sie wurden zu Wohnungen, Restaurants oder Veranstaltungsorten umgebaut.