Ungleiche Debatte
8. März 2011 DW-World: Sind Frauen vom Klimawandel stärker betroffen als Männer?
Samantha Hung: Frauen sind grundsätzlich schutzloser der Armut ausgeliefert als Männer. Allein in der Asien-Pazifik-Region leben mehr als 600 Millionen arme Menschen, die mit weniger als 1,25 Dollar am Tag auskommen müssen. Die meisten dieser Menschen sind Frauen, die sehr stark von den natürlichen Ressourcen, die es in ihrer Umgebung gibt, abhängig sind. In diesem Bereich erkennen wir also eine wesentlich höhere Anfälligkeit.
Auch die kulturell verankerten Geschlechterrollen tragen in den meisten asiatischen und pazifischen Ländern zu dieser unverhältnismäßigen Belastung bei, mit den zunehmend knapper werdenden Ressourcen auszukommen. Wenn wir also davon reden, dass es zu wenig Wasser, Nahrung oder Feuerholz gibt, dann hat das einen direkten Bezug zur täglichen Arbeit der Frauen, weil es normalerweise die Mädchen und Frauen sind, die Wasser holen, Feuerholz sammeln usw. Und wenn es in den Haushalten gerade besonders schwer ist über die Runden zu kommen, dann sind es in der Regel die Frauen, die sich aufopfern, um ihre Familie zu ernähren.
Wir wissen auch, dass sich durch den Klimawandel verursachte Katastrophen auch unterschiedlich auf die Geschlechter auswirken. Statistisch gesehen kommen bei Fluten oder Tsunamis vor allem Frauen ums Leben. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Beispielweise lernen nur wenige von ihnen Schwimmen, weil sie zu Hause bleiben müssen, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Das betrifft natürlich vor allem den ländlichen Raum. Wir sehen ähnliche Entwicklungen aber auch in den Städten, vor allem in den Slums, wenn es dort Überschwemmungen oder größere Hitzewellen gibt.
Wo liegen die Gründe dafür, dass Frauen unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen sind?
Die Debatte um den Klimawandel hat sich bislang vor allem auf die wirtschaftlichen Auswirkungen konzentriert und weniger auf die sozialen Belange, darauf, wie die Menschen betroffen sind. Das ist aber ein großer Teil der Auswirkungen. Ein weiterer Hauptgrund dafür ist, dass Frauen, obwohl sie täglich mit dem Klimawandel zu tun haben, nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, egal, ob auf kommunaler Ebene, national oder international. Es gibt für die Stimme der Frau nur sehr wenig Platz. Und wenn Frauen nicht mit am Tisch sitzen, dann werden ihre Bedürfnisse auch leicht übersehen. Das wirkt sich natürlich auch auf die Anpassungs-Bemühungen aus. Auch wenn es etwas verallgemeinernd klingt, Männer interessieren sich mehr für große, beeindruckende Technologie, auch wenn das Gegenteil, wie energieeffiziente Kocher und Biogas, im täglichen Gebrauch einen wesentlich größeren Nutzen für Frauen in Entwicklungsländern hätte.
Auf der anderen Seite konzentriert sich die Diskussion um Geschlechterunterschiede und Klimaanpassung zu sehr auf die Verwundbarkeit von Frauen. Ja, Frauen sind überdurchschnittlich betroffen. Aber Frauen sind trotzdem sehr starke Kämpfer für einen Wandel im Klimawandel, weil sie viel über die Natur wissen. Außerdem wissen sie schon, was man im kleinen Rahmen, zuhause, in der Familie, machen kann. Das Thema ist also sehr komplex, einfache Antworten gibt es nicht. Es ist vor allem wichtig zu begreifen, warum das Geschlecht nicht außer Acht gelassen werden darf, und warum es in es in die Entwicklung von Anpassungsprogrammen mit einbezogen werden muss.
Wird das Problem inzwischen mehr wahrgenommen?
Ich glaube, dass die Wahrnehmung langsam wächst, aber abgeschlossen ist der Prozess noch lange nicht. Wenn Sie sich die großen Klimaschutzabkommen auf internationaler Ebene anschauen, dann erkennen Sie, dass die Sprache inzwischen allmählich in den Schlüsseldokumenten geschlechterspezifisch eingesetzt wird. So etwas gab es vor fünf Jahren noch nicht. Das ist nur der Lobbyarbeit von Frauengruppen zu verdanken. Auf der anderen Seite brauchen wir noch eine viel größere Annäherung bei Regierungen und sogar Leuten, die im Klimaschutz-Bereich arbeiten. Ich bezweifle, dass sich alle Klima-Experten des Problems überhaupt bewusst sind.
Ich denke, dass ein genderspezifischer Denkansatz nichts anderes ist als gesunder Menschenverstand. Wenn man die Hälfte der Bevölkerung ausschließt, dann kann die Hälfte der Bevölkerung auch nicht zu nachhaltigem Handeln beitragen. Ich glaube, das gilt im Prinzip für alles. Und ganz besonders dann, wenn wir über Dinge sprechen, die das alltägliche Leben der Frauen betreffen und ihre Möglichkeit, sich anzupassen. Wenn wir beispielsweise von Klimaflüchtlingen sprechen, dann sind es in den seltensten Fällen Frauen, die sich auf den Weg machen. Sie sind also diejenigen, die sich anpassen müssen, weil sie nicht die Möglichkeit haben, fortzugehen. Es gilt hier das Gleiche, wie bei jeder anderen Form der Entwicklung: Es gibt keine positive menschliche Entwicklung, wenn man Geschlechterfragen außer Acht lässt.
Was können wir tun, um die Berücksichtigung von Geschlechterfragen im Klimawandel zentral zu verankern?
Von zentraler Bedeutung sind Bildung und Training, sowohl auf dem allgemeinen, als auch im projektbezogenen Bereich. Wenn Regierungen zu den großen internationalen Treffen und den Klimakonferenzen fahren, dann müssen sie außerdem darauf achten, eine Sprache zu verwenden, die die Belange beider Geschlechter berücksichtigt. Vorgespräche mit Frauengruppen sind wichtig, außerdem müssen die Frauen auch in die Delegationen einbezogen werden.
Es ist von großer Bedeutung, die Gender-Perspektive in die verschiedenen Bereiche einzubauen, sei es bei der Abwendung von Katastrophen, technischer Hilfe oder bei Energie-Projekten. Wenn wir etwa bei der Asian Development Bank ein Projekt haben, das die Ausbildung in neuen Technologien betrifft, dann wäre es wichtig, sicher zu stellen, dass ein bestimmter Anteil der Auszubildenden Frauen sind. Damit diese Vorgabe bindend wird, arbeiten wir sie oft gleich in die Verträge für unsere Darlehen mit ein.
Interview: Sonia Phalnikar
Redaktion: Klaus Esterluß