1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Klimakrise - das Ende der Zivilisation?

Ajit Niranjan
10. Mai 2021

Die Wissenschaft geht bisher nicht davon aus, dass die Klimaerwärmung die gesamte menschliche Zivilisation auslöscht. Doch die Angst vor dem Szenario wächst, manche Menschen denken sogar an Selbstmord.

Brände in Kalifornien | San Francisco
Apokalyptische Stimmung in San Francisco bei den Waldbränden im September 2020Bild: Reuters/S. Lam

Als der Taifun Vamco im November letzten Jahres auf den Philippinen wütete und in weniger als 24 Stunden die Regenmenge eines ganzen Monats auf die Hauptstadt Manila niederging, war Mitzi Jonelle Tan auf dem Heimweg von der Arbeit. Ihre Mutter hatte Angst um Tans Sicherheit und bat ihre Tochter, die überfluteten Straßen zu meiden.

Das war das letzte, was Tan für die folgenden drei Tage von ihrer Mutter hörte. "Wir hatten keinen Strom, wir hatten kaum ein Handysignal", erzählt Tan, die während des Sturms bei einer Freundin blieb, während Menschen auf ihre Dächer kletterten, um dem meterhohen Wasser zu entkommen. "Ich hatte keine Ahnung, ob es meiner Mutter gut ging, ob ich noch ein Zuhause hatte, in das ich zurück konnte."

Mitzi Jonelle Tan (l.) bei einer Klima-Demonstration in Manila - die Philippinen sind laut der NGO Global Witness das zweitgefährlichste Land für UmweltaktivistenBild: Ezra Acayan/Getty Images

Wie den meisten Menschen auf den Philippinen kennt Tan die Gefahren von verheerenden Wirbelstürmen nur zu gut. Kaum zwei Wochen vor dem Taifun Vamco hatte einer der schlimmsten jemals aufgezeichneten Tropenstürme,  Taifun Goni, die Hauptstadt Manila und ihre 13 Millionen Einwohner nur knapp verfehlt. Tan, Mitbegründerin der Youth Advocates for Climate Action Philippines, weiß, dass solche Stürme stärker werden, wenn sich der Planet erwärmt - eine beunruhigende Situation. 

Mentale Belastungen durch den Klimawandel

Die Menschen auf den Philippinen müssen sich auf immer stärker werdende tropische Wirbelstürme einstellenBild: Aaron Favila/picture-alliance/AP

"Schon heute leiden wir unter Extremwetter", sagt Tan. Die 22-jährige Mathematikerin erinnert sich daran, wie sie als Kind ihren Eltern half, das Hochwasser aus dem Haus zu schöpfen, und wie sie wochenlang bei Kerzenlicht Hausaufgaben machte, wenn nach Stürmen der Strom ausgefallen war. "Ich habe Angst, in meinem eigenen Schlafzimmer zu ertrinken, wenn ich höre, dass ein weiterer Taifun kommt."

Die emotionalen Belastungen, die der Klimawandel jetzt schon mit sich bringt, wirft die Frage auf: Ab welchem Punkt bricht eine Gesellschaft unter diesen Belastungen zusammen? Diese existenzielle Debatte wird derzeit von vielen Fehlinformationen begleitet. 

Als gesichert gilt: Noch bevor Tan so alt sein wird wie ihre Mutter heute, nämlich 58 Jahre, wird der Meeresspiegel so weit angestiegen sein, dass die Fluten Manila und zahlreiche andere Städte weltweit jedes Jahr heimsuchen werden. Früher gab es solche gewaltigen Küstenüberschwemmungen nur etwa einmal im Jahrhundert.

Heißere und längere Hitzewellen werden die Vegetation austrocknen, das erhöht die Gefahr für Waldbrände, die viele Städte etwa in den USA und Australien gefährden.

Schmelzende Gletscher verursachten im Februar 2021 Erdrutsche und Überschwemmungen im Himalaya - zahlreiche Menschen wurden in Tunneln verschüttet, viele starben Bild: REUTERS

Mindestens ein Viertel des Gletschereises im Hindukuschgebiet des Himalaya wird bis dahin geschmolzen sein. Das könnte die Spannungen zwischen den drei Atommächten Indien, China und Pakistan mit ihren bereits heute mehr als 2,8 Milliarden Einwohnern erhöhen. Die drei Anrainerstaaten sind auf die Wasserversorgung der Flüsse angewiesen, die durch die Himalaya-Gletscher gespeist werden.

Vom Klimawandel und dem Zusammenbruch der Zivilisation

Gruppen wie das Deep Adaptation Forum - eine Online-Organisation mit 12.000 Mitgliedern - glauben, dass der klimabedingte Zusammenbruch der Gesellschaft "unvermeidlich, wahrscheinlich oder bereits im Gange" ist.

Diese Auffassung spiegelt eine breitere öffentliche Angst wider. So ergab eine YouGov-Umfrage zu Beginn der Coronavirus-Pandemie, dass drei von zehn erwachsenen US-Bürgern glauben, dass noch zu ihren Lebzeiten eine apokalyptische Katastrophe eintreten wird. In einer Untersuchung im Jahr 2019 zeigte sich mehr als die Hälfte der Befragten in Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA überzeugt, dass die Zivilisation, wie wir sie kennen, in den nächsten Jahren zusammenbrechen wird. In Deutschland lag diese Zahl mit 39 Prozent etwas niedriger.

Tan sagt, sie habe "Nacht für Nacht" geweint, als sich die Berichte mehrten, dass es vermutlich nicht gelingen wird, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts zu begrenzen. "Eine Zeit lang hatte ich jede Hoffnung verloren."

Zwischen Endzeit-Szenarien und Klima-Mythen

Trotz weit verbreiteter Befürchtungen gibt es keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse, die einen kompletten Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation als wahrscheinlich, oder gar als unvermeidlich ansehen. Dennoch müssen Wissenschaftler mittlerweile nicht nur die Mythen von Klimawandel-Leugnern entlarven, sondern immer häufiger auch falsche Behauptungen über ein angeblich bevorstehendes Ende der Zivilisation richtigstellen.

In langen, trockenen Hitzephasen fressen sich Waldbrände rasend schnell durch die ausgetrocknete Vegetation Bild: David McNew/Getty Images

Allerdings könnten Klimakatastrophen manche Regionen so hart treffen, dass "der Klebstoff, der die Gesellschaft zusammenhält, nicht mehr gut funktioniert", sagt Michael Oppenheimer, Professor für Geowissenschaften an der Universität Princeton. "Aber hier kommen wir in einen Bereich, den man nicht eindeutig voraussagen kann."

"Wir wissen, dass es uns nicht gut gehen wird, aber es gibt eine Menge Raum zwischen gut und dem Untergang", bestätigt Jacquelyn Gill, Dozentin für Paläoökologie am Institut für Klimawandel der Universität von Maine. "Dieser Raum ist unser größtes Kapital, weil er uns erlaubt, unsere Zukunft zu wählen."

"Über den Kollaps sprechen, um ihn zu vermeiden"

Im Dezember unterzeichneten 250 internationale Wissenschaftler und Akademiker einen offenen Brief. Darin beschrieben sie den Zusammenbruch der Zivilisation als glaubwürdiges Szenario in diesem Jahrhundert. "Es ist keine wissenschaftliche Position, sondern eine philosophische", sagt Raphael Stevens, der den Brief mitverfasst hat. "Um [den Kollaps] zu vermeiden, müssen wir darüber sprechen."

Im September 2020 hatte das Institute for Economics and Peace (IEP) ein Bericht veröffentlicht, der vorhersagte, dass 1,2 Milliarden Menschen bis 2050 zu Klimaflüchtlingen werden könnten.

Heuschreckenplage in Kenia: Der Klimawandel lässt Wetterphänomene häufiger werden, die den Tieren günstige Brutbedingungen bieten Bild: Baz Ratner/REUTERS

Auf Nachfrage der DW stellten Experten von drei Flüchtlingsorganisationen jedoch klar: Dieser Bericht zeichnet ein falsches Bild - er basiert auf einem falschen Umgang mit Daten. So wurden schlicht die Momentaufnahmen von Binnenflüchtlingen bis ins Jahr 2050 addiert. "Die Zahl selbst ist, um es höflich auszudrücken, Fiktion", so Sarah Nash, Politikwissenschaftlerin an der Universität für Bodenkultur in Wien.

Das IEP löschte zwar stillschweigend eine Grafik mit der falschen Analyse, zog aber die Schätzung nicht zurück.

Was die Klimakrise mit uns macht

Die Aussicht auf den Kollaps hat Wissenschaftler und Aktivisten gezwungen, sich einer praktischen Frage zu stellen: Inspiriert das Reden über den Klimawandel in extremen Begriffen die Menschen zum nötigen Handeln oder stößt es sie tief in die Verzweiflung?

"Weltuntergangsstimmung kann uns komplett entmutigen", sagt Michael Mann, Klimawissenschaftler an der Penn State University. In seinem neuen Buch schreibt Mann, dass die Weltuntergangsstimmung die Leugnung des Klimawandels inzwischen überholt hat. "Wenn man uns glauben macht, dass es zu spät ist, etwas zu tun, warum sollten wir dann etwas tun?"

Zwar wird oft die Hoffnung als bester Motivator für Handlungen angepriesen, doch Forschungen zeigen, dass auch Wut und Angst starke Triebkräfte für Veränderungen sind - allerdings nur, wenn die Menschen das Gefühl haben, ihr Leben selbst gestalten zu können.

Klima-Demonstration im südafrikanischen Johannesburg: Aus Wut wird AktionBild: Getty Images/AFP/M. Spatari

Eine Studie, die im März im Journal of Climate Change and Health erschien, zeigt, dass sich Menschen, die angesichts des Klimawandels wütend sind, eher an kollektiven Aktionen beteiligen und über eine bessere psychische Gesundheit verfügen, als diejenigen, denen der Klimawandel Angst macht.

Jacquelyn Gill von der Universität von Maine berichtet, dass sie zunehmend E-Mails von jungen Menschen erhält, die sich wegen alarmistischer Berichte über den Klimawandel hoffnungslos, deprimiert und sogar selbstmordgefährdet fühlten. Doch es sei der falsche Weg, um einen Planeten zu trauern, dessen Nachruf noch gar nicht veröffentlicht worden sei, so die Wissenschaftlerin.

Klimaschützerin Tan setzt für den Kampf gegen den Klimawandel vor allem auf die Wut. "Wir wollen nicht, dass die Menschen hoffnungsvoll sind, wir wollen, dass die Menschen wütend sind, und wir wollen, dass sie handeln."

Eine Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

Die Deutsche Welle berichtet zurückhaltend über das Thema Suizid, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichterstattung zu Nachahmungsreaktionen führen können. Sollten Sie selbst Selbstmordgedanken hegen oder in einer emotionalen Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Wo es Hilfe in Ihrem Land gibt, finden Sie unter der Website https://www.befrienders.org/. In Deutschland hilft Ihnen die Telefonseelsorge unter den kostenfreien Nummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen