Die 80er Jahre sind vielen als schrilles und buntes Jahrzehnt in Erinnerung. Der damalige Zeitgeist prägte auch die Werke vieler Künstler. Wie Punk und Anarchie in die Kunst einzogen, zeigt eine Ausstellung in Frankfurt.
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Punk, Anarchie, und heftige Malerei: Die Kunst der 80er
Vielen ist das Jahrzehnt als besonders schrill und schräg in Erinnerung. Der Zeitgeist der 80er zwischen Punk und Anarchie prägte auch die Werke vieler Künstler.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Electric Night (1979)
Das Jahrzehnt der Rebellion, des Punk, des sich neu Entdeckens - das sind die 80er. Die Jugend schüttelt endgültig den deutschen Nachkriegsmuff ab. In Berlin ist eine schrille Punk- und Partyszene entstanden, in dunklen Clubs tobt eine lebendige, elektrisierende Subkultur und inspiriert die Kunstwelt. Helmut Middendorf bringt dieses Lebensgefühl mit knalligen Farben und Dynamik auf die Leinwand.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken (1984)
Martin Kippenberger leitet Ende der 70er das legendäre SO36 in Berlin-Kreuzberg, ein Punk-Club, in dem er Punk und Avantgardekunst vereinen will. Die Anarchoszene aber wehrt sich gegen die "Konsumscheiße". Alles gipfelt in einen Überfall - und Kippenberger gibt auf. Seine Kunst ist provokant; oben setzt er sich mit der schwierigen Suche der Deutschen nach ihrer eigenen Identität auseinander.
Bild: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne
Khomeini (1981)
Um die Ecke des SO36 agiert eine weitere Berliner Künstlergruppe - die Moritz Boys um Helmut Middendorf und Rainer Fetting. Salomé ist dabei und provoziert mit seinen Bilderzyklen, in denen er Nackte und Vollverschleierung (dafür steht der iranische Ajatollah Khomeini) nebeneinander stellt. Salomé spielt zusammen mit seinem Künstlerkollegen Luciano Castelli in der Punkband "Geile Tiere".
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Berlin Nite (1979)
Luciano Castelli kommt aus der Schweiz nach Berlin. Ihm gefällt es, wie sich die "Jungen Wilden" gegen das Kunst-Establishment auflehnen. Er mischt ordentlich mit - als Szenestar mit offen gelebtem Schwulsein. Das Bild oben ist ein Selbstporträt mit seinem Freund und Kollegen Salomé.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Erstes Mauerbild (1977)
Kalter Krieg, deutsche Teilung, Berliner Mauer - auf der anderen Seite Friedensbewegung und Hunderttausende, die gegen die atomare Aufrüstung auf die Straße gehen. Rainer Fetting malt die Berliner Mauer mehrmals, allerdings weniger als politisches Statement, sondern als Sujet, das seinen Alltag begleitet - weil er die Mauer aus seinem Atelierfenster täglich sehen kann.
Bild: Rainer Fetting
Mutwillig zerstörte Telefonzellen (1982)
Auch das sind die 80er: Die Telefonzellen in Deutschland sind damals noch gelb, ihr Normalzustand: eher unappetitlich. Meistens sind Seiten aus Telefonbüchern gerissen, oder die Bücher fehlen ganz. Es ist dreckig, mindestens eine Scheibe hat einen Sprung oder ist ganz eingeschlagen, es riecht nach Urin. Telefonzellen sind beliebte Sabotageziele - Werner Büttner bringt es hier auf den Punkt.
Bild: Werner Büttner
Die Geburt der Mülheimer Freiheit (1981)
In Köln formiert sich eine Künstlergruppe, die sich noch mehr vom klassischen Kunstbetrieb loslösen will. Inspiration sind Zeitgeist und auch die experimentellen Musikstile - alles soll so spontan wie möglich sein, Dilettantismus ist Absicht und Stilmittel - manchmal malen auch mehrere Künstler gleichzeitig auf einer Leinwand. Walter Dahn hält die Geburtsstunde der Gruppe in diesem Bild fest.
Bild: Walter Dahn
Sänger (1981)
Die neue Ausstellung im Frankfurter Städel Museum zeigt 100 Werke aus einer Zeit, in der Kunst, Punk und Anarchie eng miteinander verwoben waren. Die Künstler bekamen viele Namen, wie etwa "Junge Wilde", oder "Neo-Expressionisten". Sie selbst nannten ihre Kunst auch "Heftige Malerei". Zu sehen ist die Schau mit dem Titel "Die 80er. Figurative Malerei in der BRD" bis Oktober 2015.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2015
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Aus den Radios tönt elektronische Musik mit Nonsens-Texten. Auf Bühnen in düsteren Kellern schlagen Musiker mit Eisenstangen auf Ölkanister ein. Junge Menschen rasieren sich die Köpfe, tragen zerfetzte Klamotten und zeigen der Gesellschaft den Mittelfinger. Der erst 30 Jahre alten Bundesrepublik haftet immer noch eine Art Staubschicht an, eine Schicht aus Nachkriegsmuff, Gemütlichkeit und Wohlstand. Das muss weg. Die Musik explodiert - Punk und Wave kommen aus England, inspirieren deutsche Musiker und Bands zu musikalischen Experimenten. Es darf alles sein, nur nicht die alte Soße. Die Subkultur kommt aus dem Untergrund an die Oberfläche und breitet sich in der Gesellschaft aus. Die beschäftigen zeitgleich gewaltige weltpolitische Brandherde, allen voran die weltweite Angst vor atomarer Aufrüstung und einem neuen Weltkrieg - bis hin zu einer gigantischen Friedensbewegung, dem Ende des Kalten Krieges und der Deutschen Einheit.
Kunst tobt sich aus
Solche Umbrüche, sowohl gesellschaftliche als auch politische, können in diesem Jahrzehnt einfach nicht an der Kunst vorbeigehen. In Berlin, Hamburg und Köln entstehen Künstlergruppen, die sich der festgefahrenen Avantgarde und dem starren Kunstbetrieb jener Zeit entziehen wollen. Sie brechen aus, verbünden sich mit Anarchie und Punk, zeigen der Kunstszene ebenfalls den Mittelfinger, indem sie mit Konventionen brechen. Sie heißen "Die Jungen Wilden", werden als "Neo-Expressionisten" bezeichnet, stellen selbst unter dem Begriff "Heftige Malerei" aus.
Die Zeit vergeht zu schnell, als dass sich ein eigener Kunststil entwickeln könnte. Die Kunst probiert aus, agiert tempo- und facettenreich. Die Bilder haben auf dem Kunstmarkt schnell Erfolg, während die Kritiker noch zurückhaltend sind. Maler wie Martin Kippenberger und Helmut Middendorf sind bekannte Vertreter dieser Zeit und hängen heute in Privatsammlungen und großen Museen weltweit.
Ein gewaltiger Bilderschatz
Das Städel Museum in Frankfurt am Main hat 100 Werke aus dieser Zeit zu einer eindrucksvollen Schau zusammengetragen. Für Max Hollein, Direktor des Museums, ist die Ausstellung ein "gewaltiger Bilderschatz, der zu lange durch die Brille überkommener Klischees gesehen wurde". Das Städel will die große malerische Kraft der Künstler hervorheben, die zwar von der Popkultur inspiriert, aber nicht geprägt wurde. Zu sehen ist die Ausstellung "Die 80er. Figurative Malerei in der BRD" bis zum 15. Oktober 2015 in Frankfurt.