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Die Kunst kapituliert vor dem Krieg

Sabine Oelze7. April 2014

"Menschenschlachthaus" nannte sich eine Ausstellung in Wuppertal. Sie zeigte, wie französische und deutsche Künstler unter dem Ersten Weltkrieg litten, ihn aber kaum im Bild festhalten konnten.

Ausstellung Menschenschlachthaus Gert Heinrich Wollheim
Verarbeitung der Kriegserlebnisse: Gert Heinrich Wollheim: "Der Verwundete" von 1919.Bild: 2014 Nachlass Gert Wollheim

Nur sechs Wochen nach der deutschen Kriegserklärung an Frankreich vom 3. August 1914 fügte Deutschland den Franzosen ein erstes nationales Trauma zu. Die Truppen schossen 25 Granaten auf die berühmte Kathedrale Notre Dame von Reims - eine der bedeutendsten Kirchenbauten Frankreichs. Bis heute diskutieren Historiker darüber, ob der Angriff aus purer Zerstörungswut oder aus Rachegelüsten erfolgte - oder ob die Deutschen auf dem Turm Späher vermuteten. Fortan galten die Deutschen in den Augen ihrer Nachbarn nicht mehr als Kulturvolk, sondern als Barbaren.

Es hat Symbolkraft, dass die Ausstellung "Menschenschlachthaus" im Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal in enger Zusammenarbeit mit dem Museum der Schönen Künste im französischen Reims konzipiert wurde. Systematisch arbeitet sie eine französische und eine deutsche Sicht auf den Ersten Weltkrieg heraus. Museumsleiter Gerhard Finck will mit Hilfe der Kunst "vor allem für die Deutschen, die durch das Erinnern an den Zweiten Weltkrieg nur wenig über den Ersten Weltkrieg wissen, zeigen, was sich zwischen 1914 und 1918 zugetragen hat."

Nationales Trauma: Die brennende Kathedrale von Reims. Hier in der Erinnerung von Gustave FraipontBild: Musée des Beaux-Arts Reims

Nationales Trauma: die Zerstörung der Kathedrale von Reims

Ein ganzer Raum in der Ausstellung widmet sich der Ruine von Reims. Paul-Hubert Lepage, Schüler des Symbolisten Gustave Moreau, versuchte 1920 die Tragödie in impressionistischer Manier darzustellen: Er malte das imposante Bauwerk in Anlehnung an den französischen Impressionisten Claude Monet: bei Nacht, bei Tag, bei Sonnenaufgang, bedeckt von Schnee. Die Wucht der Zerstörung allerdings verschwindet im Spiel der Farben.

Der Titel der Ausstellung "Menschenschlachthaus" zitiert einen gleichnamigen kurzen Roman von 1912. Der Autor war ein Volksschullehrer aus Hamburg: Wilhelm Lamszus. Er ist zu diesem Zeitpunkt einer der wenigen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn er die Vernichtungen des Krieges realistisch prophezeit. "Das Kriegsmaschinenwesen hat sich zu genialer Höhe, zu künstlerischer Höhe entwickelt. 240 Kugeln und mehr in einer Minute!" Hören will damals keiner auf ihn. Im Gegenteil: Er wird wegen seiner Schrift verfolgt.

Verharmlosung des Grauens

Auch die bildenden Künstler wollen von den möglichen Ausmaßen eines drohenden Krieges nichts wissen. Für die Vertreter der Avantgarde scheint der moderne Krieg vor dessen Beginn 1914 kein Thema zu sein. Die Gemälde von Wassily Kandinsky, Franz Marc, August Macke oder Felix Valloton sind weit davon entfernt, düstere Vorahnungen des bevorstehenden Grauens zu sein. Einzig Max Slevogt macht sich etwas Sorgen, wie seine Serie über den trojanischen Krieg belegt, die er - vielleicht als Reflex auf die Balkan- oder auf die Marokkokrise - zeichnet. Seine Krieger sind indes keine Soldaten, sondern ehrenhafte Helden. Statt Maschinengewehren benutzen sie Speere. Von einem tödlichen Gemetzel ist nichts zu erkennen.

Wuppertal zeigt "Menschenschlachthaus"

01:55

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Wegen Lamszus' herausragender Hellsicht, und natürlich wegen der Drastik des Titels, zitiert die Ausstellung diesen kleinen Roman. Andere Autoren wie Friedrich von Bernhardi schreiben im selben Jahr, von der "Pflicht" der Deutschen, Krieg zu führen. Warum? Ernst Barlachs Skulptur "Der Rächer" scheint die Antwort darauf zu kennen. Die Deutschen sehen sich am Vorabend des Großen Krieges benachteiligt und wollen die Chance nutzen, ihre Grenzen zu erweitern. Auch die Franzosen sind zu allem bereit. Die Demütigung der deutschen Reichsgründung 1871 in Versailles setzt ihnen noch immer zu.

Der Deutsche als Kartoffel

Der Karikaturist Gustave Wendt verunglimpft die Deutschen als "Die Kartoffel, auch Wurst genannt" oder "Die kaiserliche Kohlrübe". Als sie schließlich mitten im Krieg stecken, neigen sowohl deutsche als auch französische Künstler dazu, die unerwartete Härte des Kampfes zu verklären. Große Gemälde sind selten, meist entstehen Feder- oder Bleistift-Zeichnungen direkt vom Schlachtfeld. Es ist das einzige Material, das ihnen noch zur Verfügung steht. Wilhelm Morgner, selbst Frontsoldat, zeichnet die deutschen Soldaten als überlegene Angreifer, die Gewehrläufe parallel aufs unsichtbare Gegenüber gerichtet.

Viele Künstler werden physisch und psychisch verletzt aus dem Kriegsdienst entlassen, wie Jean-Louis Forain. Nachdem er seinen rechten Arm verloren hat, blickt er in einem Selbstbildnis kraftlos von der Leinwand. Max Beckmann wird nach einem Nervenzusammenbruch zum Lazarettdienst abkommandiert. Im Selbstbildnis als Krankenpfleger von 1915 schaut er fragend den Betrachter an. In einem Brief an seine Frau schreibt er am 21. Mai 1915: "Links und rechts heulen unsre Abschüsse. (...) Ich wollte dann, der Krieg wäre zu Ende und ich könnte malen."

Er zeigt als einer der Wenigen die Schrecken des Krieges: Otto Dix' "Sturmtruppe geht unter Gas vor".Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2014

"Die Malerei ist dazu verdammt, vor dem Schrecken zu versagen."

Eines zeigt die Ausstellung sehr eindrucksvoll. Die Kunst ist den anderen Bildmedien, Fotografie und Film, was die Darstellung der Kämpfe angeht, unterlegen. Im Nebeneinander von beeindruckenden historischen Filmaufnahmen entstellter Kriegsversehrter oder der Trümmerlandschaft zieht die Malerei den Kürzeren. "Ich glaube, dass die Künstler sich zwar bemüht haben, es ihnen aber nicht gelungen ist, den ganzen Schrecken im Bild festzuhalten", sagt Ausstellungskurator Gerhard Finck.

Eine der wenigen Ausnahmen: das druckgrafische Mappenwerk von Otto Dix. Es erschien zum Antikriegsjahr 1924 und ist in seiner Drastik vergleichbar mit Goyas "Desastres de la Guerra", jener berühmten Serie von Radierungen, auf denen der spanische Künstler die Gräueltaten der Napoleonischen Besatzung darstellte. Dix zeigt alles, was er selbst als Soldat mit eigenen Augen gesehen hat: Granatlöcher; Tote nach Giftgasangriffen; Vergewaltigungen; Frauen, die ihr Kind verloren haben; Soldaten, die verrückt werden; zerschossene Gesichter. "Ich habe eine richtige Reportage darüber gemacht, um das verwüstete Land, die Leiden, die Wunden darzustellen", schreibt Dix darüber.

Heinrich Hoerle: "Denkmal der unbekannten Prothesen"Bild: Von der Heydt-Museum Wuppertal

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verarbeiten die Länder ganz unterschiedlich. Die französische Regierung unterstützt ihre versehrten Soldaten - auch finanziell. Auch mit den Reparationszahlungen der Deutschen. Den deutschen Soldaten dagegen bleibt oft nichts, als auf der Straße betteln zu gehen. Heinrich Hoerle zeigt die Verstümmelten in seinem Gemälde "Denkmal der unbekannten Prothesen".

Nach Wuppertal wandert die Ausstellung nach Reims, wo Angela Merkel und François Hollande sie gemeinsam eröffnen werden. Es ist nicht nur der Ort, dessen Kathedrale Deutsche 1914 zerstörten. Es ist auch der Ort, an dem Konrad Adenauer und Charles de Gaulles 1962 die deutsch-französische Freundschaft besiegelten.

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