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Politik

"Die Kurden haben dem Westen vertraut"

23. Februar 2018

Die Kurden um Afrin sehen sich einem übermächtigen Gegner gegenüber. Erhalten sie keine Unterstützung, werden sie sich ihm bald unterwerfen müssen, sagt Jurist Fawzi Dilbar. Das Bündnis mit Assad sei reine Notwehr.

Syrien Konflikt in Afrin
Bild: Getty Images/AFP/O. H. Kadour

Deutsche Welle: Herr Dilbar, wie steht es derzeit um den türkischen Angriff gegen das syrische Afrin? Wie weit ist er fortgeschritten?

Fawzi Dilbar: Die Region wird jetzt seit 34 Tagen angegriffen. Bis Anfang dieser Woche konnte die Türkei vergleichsweise bescheidene Erfolge verzeichnen. Darum hat das türkische Militär seit einigen Tagen die Luftangriffe intensiviert. Nur so kommt sie am Boden überhaupt voran. Das hat dazu geführt, dass viele Dörfer zerstört worden sind. Auf diese Weise versucht man die Bewohner zu vertreiben oder zur Evakuierung zu zwingen. Bis zum Montag dieser Woche sind bereits 88 Dörfer unmittelbar an der türkischen Grenze geräumt worden. Die Hälfte von ihnen ist komplett zerstört. Der Beschuss wurde seitdem zusätzlich intensiviert, so dass weitere Dörfer evakuiert worden sind.

Seit einigen Tagen wird auch über dschihadistische Kämpfer auf Seiten der Türkei berichtet.

Das stimmt. Es gibt Videos, die zeigen, wie ehemalige dschihadistische Kämpfer und Mitglieder von Gruppen, die in Europa als Terrororganisationen klassifiziert sind - etwa die "Syrische Eroberungsfront" (Fatah al-Sham) - als Vorkämpfer der türkischen Streitkräfte fungieren.

Handelt es sich um Gruppen, die offiziell auf Seiten der Türkei kämpfen?

Die Türkei hatte ja zunächst erklärt, sie brauche nur einige Tage, um in Afrin zu sein. Dann stieß das Militär aber auf sehr entschlossenen Widerstand der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die auch im Besitz schwerer Waffen sind. Das erhöht das Risiko für das türkische Militär. Dass türkische Soldaten in größerer Zahl sterben würden, will man in Ankara unbedingt vermeiden. Darum setzt die Türkei nun auf diese Gruppen. Die türkischen Flugzeuge bereiten den Boden durch Luftangriffe vor, dann folgen die dschihadistischen Gruppen. Im Anschluss an sie folgen dann die türkischen Truppen.

Der Jurist Fawzi DilbarBild: yasa-online.org

Berichtet wird auch von kurdischen Kämpfern auf Seiten der Türkei. Was hat es mit ihnen auf sich?

Ihr Einsatz folgt der gleichen Logik wie der der Dschihadisten: Die Türkei möchte Verluste bei den eigenen Soldaten minimieren. Darum setzt sie auch Bewohner aus den türkischen Kurdengebieten ein - jene, die sie bislang im Kampf gegen die PKK rekrutierte. Sie hat man nun unter Druck gesetzt und zum Kampf gezwungen. Das Gleiche gilt auch für die syrischen Kurden, die offenbar auf türkischer Seite kämpfen. Auch sie wurden unter Druck gesetzt. Ebenso hat man auch die Bewohner der angegriffenen syrischen Dörfer mit Druck dazu gebracht, sich den Türken anzuschließen. Das dient vor allem propagandistischen Zwecken: Die Türkei will der Welt weismachen, dass die politische Partei PYD und die ihr verbundene YPG ihre Landsleute derart unterdrückt hätten, dass diese sich nun gegen sie wendeten. Wenn es tatsächlich Freiwillige geben sollte, dann handelt es sich um eine verschwindend geringe Gruppe von Personen.

Die Kurden in Afrin haben sich nun mit dem Assad-Regime zusammengeschlossen. Machen sie sich da nicht die Hände schmutzig?

Wer hat in Syrien keine schmutzigen Hände? Seit Ausbruch der Gewalt in Syrien vor sieben Jahren haben die Kurden versucht, sich aus diesem Krieg herauszuhalten. Bis vor kurzem ist das auch gelungen. Man wollte vermeiden, dass auch die eigene Region so zerstört wird wie der Rest des Landes. Für die Kurden war klar: Egal, wie unterschiedlich ihre politischen Ansichten in gewissen Fragen auch sind, aus dem Kampf in Syrien müssen sie sich alle gemeinsamen heraushalten. Denn den Kurden ist bewusst, dass sie im Zweifel auf keine Unterstützer zählen können.

Dass sie mit dieser Einschätzung Recht haben sollten, zeigt sich jetzt: Es dringt ein Aggressor aus dem Ausland auf syrisches Terrain vor und niemand eilt den Kurden zur Hilfe. Tatsächlich wurden Bewohner, die ihre Dörfer nicht rechtzeitig verlassen konnten, ermordet. Um weitere Opfer zu vermeiden, sah sich die Verwaltung in Afrin nach einigen Tagen zur Kooperation mit Damaskus gezwungen. Um aber die Beziehungen zur Türkei nicht noch stärker zu belasten, hat das Assad-Regime nicht-offizielle Truppen in die Region ziehen lassen. Die Entscheidung entspricht also nicht unbedingt dem Wunsch der Kurden. Sondern vielmehr der puren Not, um der türkischen Armee zumindest eine Zeit lang noch etwas entgegenzusetzen. Ob das am Ende auch gelingt, weiß man nicht.

Was könnte Ihrer Einschätzung nach getan werden, um die Kämpfe in Afrin zu beenden?

Die Kurden haben auf die USA und den Westen generell vertraut. In diesem Vertrauen haben sie auch zusammen mit ihnen den "Islamischen Staat" (IS) bekämpft. Die Kurden waren zur Zusammenarbeit bereit - auch, um die Region frei von Krieg und Gewalt zu halten. Zusammen haben beide, die Kurden und die westlichen Kräfte, den IS vertrieben. Es ist klar, dass die Kurden bei diesem Kampf eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Nun aber sehen sich die Kurden wieder allein gelassen. Sie sind von drei Seiten eingeschlossen und haben sich bereit erklärt, mit dem Westen weiter zusammenzuarbeiten. Doch offenbar interessieren sich weder die Amerikaner noch die übrigen westlichen Staaten dafür. Die Türkei ist die zweitstärkste Armee der NATO. Wenn die westlichen Staaten jetzt nicht einschreiten, ist Afrin in sehr kurzer Zeit eingenommen. Für die Kurden stellt sich die Frage, was mit der halben Million Zivilisten geschieht, die sich ja nicht nur der Türkei, sondern auch den dschihadistischen Terrorgruppen gegenübersehen. Die warten ja seit langem darauf, die Kurden zu bekämpfen und zu vernichten.

Fawzi Dilbar ist Jurist und Mitglied des Bonner Integrationsrates sowie des kurdischen Beratungszentrums YASA.

Das Interview führte Kersten Knipp.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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