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Politik

Die Spur des Terrors auf dem Sinai

25. November 2017

Der Anschlag auf Teilnehmer eines Gottesdienstes ist die bislang brutalste Eskalation der Gewalt auf dem Sinai. Deren Vorgeschichte reicht weit zurück. Die Gewalt hat neben der religiösen auch eine soziale Dimension.

Ägypten Sinai Al Arish Anschlag auf Rawda Moschee
Bild: picture-alliance/AA

Nach dem Anschlag auf Moschee

01:53

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Über 300 Tote, dazu rund 120 Verletzte. Allesamt waren sie Teilnehmer einer Freitagsmesse. In dem Moment, in dem die Gläubigen die Moschee verließen, zündeten die Terroristen vorab um das Gotteshaus gelegte Bomben. Auf die Fliehenden eröffneten sie das Feuer.

Noch hat sich niemand zu dem Attentat in Bir al-Abed, rund 40 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Al-Arisch, bekannt. Allerdings erklärte laut Medienberichten der mit der Untersuchung beauftragte ägyptische Staatsanwalt, die Angreifer hätten eine Flagge der Dschihadistenorganisation "Islamischer Staat" (IS) mit sich geführt.

Die ägyptische Luftwaffe reagierte mit Angriffen auf dem Sinai und bombardierte mutmaßliche Verstecke der Terroristen. In der Nacht habe die Luftwaffe mehrere Fahrzeuge zerstört, die bei dem Angriff auf die Moschee in Bir al-Abed benutzt worden seien, teilte der Sprecher der ägyptischen Streitkräfte, Tamer al-Refai, auf seiner offiziellen Facebookseite mit.

Beduinen als Bürger zweiter Klasse

Der Sinai ist bereits seit einer Reihe von Jahren Bühne dschihadistischer Anschläge. Im Jahr 2014 wurden bei einem Selbstmordanschlag 33 Soldaten getötet. Präsident Abdel Fattah al-Sisi verhängte daraufhin den Ausnahmezustand über die Region. In den folgenden Jahren verschärfte sich der Konflikt zwischen der Armee und den Terroristen, auf beiden Seiten gab es zahlreiche Opfer.

Quälende Ungewissheit: Verwandte der Opfer versammeln sich nach dem Anschlag in der Nähe der MoscheeBild: AFP/Getty Images/M. El Shahed

Wesentliche Ursache der Gewalt auf dem nördlichen Sinai sei vor allem die wirtschaftliche und kulturelle Situation der dort lebenden Beduinen, sagt der Politologe und Journalist Asiem al-Difraoui. Ihre schwierige Situation bereite dem IS ideologisch den Boden.

"Die Beduinen wurden immer als Bürger zweiter Klasse betrachtet. Sie leben unter schwierigen ökonomischen Bedingungen und werden als Kriminelle und Schmuggler verunglimpft", so Difraoui gegenüber der DW. "Vom Reichtum auf dem Sinai, den Ölquellen einerseits und dem Tourismus andererseits, erhalten sie nichts."

Erinnerung an israelische Besatzungszeit

Der Sozialgeograph Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, betreibt seit den 1970er Jahren auf dem nördlichen Sinai Feldforschung zur Situation der Beduinen. Die Situation habe sich seit dem Beginn des arabischen Aufstandsjahres 2011 zwar verschärft. Sie reiche aber viel weiter zurück.

Noch heute, so Meyer gegenüber der DW, seien älteren Beduinen ausgerechnet die Jahre der israelischen Besatzung der Sinai-Halbinsel nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 als "goldene Zeit" in Erinnerung. "Die Beduinen profitierten nicht nur von israelischen Touristen, sondern auch von infrastrukturellen Verbesserungen, insbesondere im Bereich der medizinischen Versorgung sowie von Arbeitsmöglichkeiten, die ihnen die Militärverwaltung bot." Zugleich verdienten sie ihr Geld auch mit dem - von offizieller Seite geduldeten - Anbau von Drogen, die dann ins ägyptische Kernland geschmuggelt wurden.

Scheitern der Politik

Dass die Angriffe unter dem Zeichen des militanten Islam stattfinden, führt Asiem al-Difraoui auf die Ausbreitung salafistischer Ideen zurück, die bereits vor Jahrzehnten in der Region Fuß fassten. Im Laufe der Jahre hätten sie sich dann in Richtung eines militanten Dschihadismus radikalisiert.

Die Ursache für diese Radikalisierung sieht Günter Meyer vor allem in gescheiterten Versuchen der Beduinen, ihre Forderungen auf politischem Weg zu artikulieren. Diese seien in Kairo nicht gehört worden. Zudem habe sich die Lage der Beduinen nach 1982 - dem Jahr, in dem die Israelis sich von Sinai zurückzogen - kontinuierlich verschlechtert.

Besonders verschärfte habe sich die Lage der Beduinen durch den Baubeginn des Bewässerungskanals As-Salam 1997. Bei der Konstruktion hätten die Beduinen fruchtbare Ländereien verloren. "Diese gingen bei der Neuaufteilung des Projektgebietes dann an Siedlerfamilien aus dem Nildelta, während den Einheimischen sandige Flächen in den Randbereichen zugewiesen wurden", so Meyer. "Als sich der Widerstand radikalisierte, hätten die ägyptischen Behörden auch zahlreiche Frauen verhaftet, damit sich ihre Ehemänner den Behörden stellten.

Die Wurzeln einer Krankheit

Im Jahr 2014, ein knappes Jahr nach der Absetzung des den Reihen der Muslimbrüder entstammenden Präsidenten Mohammed Mursi, schlossen sich Teile der Beduinen dem IS an. Durch ihn wurden sie von Libyen aus mit Waffen versorgt. Seitdem, so Meyer, eskalierte die Gewalt ein weiteres Mal. Im Zuge der Konfrontation hätten die ägyptischen Streitkräfte auch Siedlungen durch Kampflugzeuge bombardiert und mit Panzergranaten beschossen. "Ein Höhepunkt war die Zerstörung von Hunderten von Häusern, um aus Sicherheitsgründen eine Pufferzone entlang der Grenze zum Gaza-Streifen zu errichten."

Wie ließe sich der terroristischen Gewalt auf dem Sinai begegnen? Eine rein militärische Antwort sei kontraproduktiv, so Asiem al-Difraoui. Ägypten müsse wieder zum Dialog finden. "Und die Regierung Al-Sisi muss zu einem versöhnlicheren Kurs zurückkehren. Man kümmert sich nur um die Symptome, aber nicht die Wurzeln dieser Krankheit."

Das Bündnis, das Teile der Beduinen mit dem IS geschlossen haben, führte dazu, dass sich die Gewalt bislang vor allem gegen die Kopten - die ägyptischen Christen - richtete. Nun gerieten auch Sufis ins Visier der Terroristen. Auch sie gelten als Abtrünnige der von ihnen vertretenen radikalen Auslegung des sunnitischen Islam. Günter Meyer vermutet, dass die Dschihadisten auch nicht-beduinische Arbeiter aus den nahe dem Anschlagsort gelegenen Salinen ins Visier nahmen. Dies würde darauf hindeuten, dass der Dschihadismus nicht nur eine ideologische, sondern auch eine mit härtesten Mittel geführte soziale Auseinandersetzung ist.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika