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15 Jahre deutsche Greencard

Heiner Kiesel1. August 2015

Deutschland erlebte eine geradezu hysterische Diskussion um ausländische Fachkräfte. Sie wirkt bis heute nach. Die unbürokratische Arbeitserlaubnis für Fachkräfte selbst gilt als Misserfolg - zu Unrecht.

Indische IT-Spezialisten - Foto: Indranil Mukherjee (AFP)
Bild: Getty Images/AFP/I. Mukherjee

Das passiert immer wieder, dass es wieder mal ganz schnell gehen muss in der Politik. Aber auch nach 15 Jahren erscheint es erstaunlich, mit welchem Druck die Regierung von Gerhard Schröder (SPD) Anfang des Jahres 2000 der IT-Branche zu dringend geforderten Fachkräften verhelfen wollte. Deutschland hatte damals um die vier Millionen Arbeitslose, aber einen wachsenden Mangel an Fachkräften.

Im Februar poppte der Kanzler auf der Fachmesse CeBIT in Hannover überraschend mit der Idee auf, ein Schnellverfahren für die Einreise der gesuchten Spezialisten aus dem Ausland auf die Beine zu stellen. Bereits am 1. August wurde die deutsche Greencard beschlossen, und kurz danach bekam der Indonesier Harianto Wijaya als erster die Genehmigung ausgestellt. Wijata wohnt schon lange wieder zu Hause, das Fachkräfteproblem hat Deutschland immer noch. Aber die Zeiten zwischen Antragstellung und Vergabe waren - oft brauchte es nur eine Woche – tatsächlich ziemlich fix.

Vor 15 Jahren: Arbeitsminister Walter Riester überreicht dem Indonesier Harianto Wijaya die erste GreencardBild: picture-alliance/dpa/M. Führer

Die Greencard gilt heute eher als Flop und als ein unausgegorenes Imageprojekt Schröders. 17.931 wurden ausgestellt, nur 13.041 als Erstbeschäftigung. Damit ist die Obergrenze von 20.000, die der Gesetzgeber zuletzt vorgesehen hatte, bei weitem nicht ausgeschöpft worden. Dabei hatten sich die Politiker große Sorgen gemacht, dass Arbeitssuchende von außerhalb der EU deutschen Unternehmen die Türen einrennen würden. Gewerkschaften hatten Angst vor Lohndumping, und nationalkonservative Kräfte starteten die populistische "Kinder-statt-Inder"-Kampagne. Das Land stritt erregt über Ausbildungsstrategien und Einwanderungsregeln.

"Irgendwie haben sich damals manche eingebildet, dass wir das Land der Träume der IT-Fachleute weltweit sind, aber die gehen ganz woanders hin", resümiert Bernhard Rohleder, Vorsitzender des IT-Branchenverbandes Bitkom, über die Maßnahme. In die Greencard-Verordnung seien so viele Hindernisse eingebaut gewesen, dass es ziemlich unattraktiv gewesen sei, hierher zu kommen. Sie war auf drei Jahre befristet, plus einer Verlängerungsoption um zwei Jahre, sie galt nur für Hochschulabsolventen aus dem IT-Bereich, alternativ konnten Bewerber ein Jahreseinkommen von 100.000 DM als Anwerbekriterium angeben. Des weiteren durften sich die befristet Zugewanderten nicht selbstständig machen, und ihre Familienangehörigen wurden bei der Arbeitsaufnahme behindert. Bitkom war eine der treibenden Kräfte hinter Schröders-Inititative. "Uns haben 75.000 Leute gefehlt", betont Rohleder.

Aus Grün wird Blau

Die Bewerbungshindernisse der Greencard waren aber wohl nicht der einzige Grund für ihr vordergründig schwaches Abschneiden. Kurz nach der Einführung platzte die Dotcom-Blase, und der ganze Sektor fiel in die Stagnation. Sie hielt Jahre an. Der Arbeitskräftebedarf war plötzlich gar nicht mehr so hoch. Und dann fällt auf, dass die Großen in der IT-Branche von dem Instrument kaum Gebrauch machten.

Bitkomm-Chef Rohleder: "Bestimmungen müssen noch viel weiter gelockert werden"Bild: DW/H. Kiesel

"Es war insbesondere die geringe Inanspruchnahme der Greencard-Regelung durch die Großkonzerne, welche später in den Medien dazu geführt hat, dass die Maßnahme als Misserfolg interpretiert wurde", stellt Holger Kolb vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück in einer Analyse fest. Die multinationalen Großunternehmen hatten und haben eine ganze Reihe von Möglichkeiten, im globalen Maßstab intern Angestellte zu verschieben. "Die Greencard war aus diesem Grund ein wirkungsvolles Mittel, um Chancengleichheit im Wettbewerb zwischen den verschiedenen Unternehmensgrößen herzustellen", so Kolb. Ein weiteres Plus: Bitkom hat ausgerechnet, dass jeder Greencard-Besitzer etwa zweieinhalb Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen hat.

2005 wurde die die Greencard durch das neue Zuwanderungsgesetz abgelöst, seit 2012 gibt es die Bluecard. Es geht seither nicht mehr so schnell mit einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland für IT-Kräfte. Dafür sind die Bedingungen auch für die Fachkräfte anderer Sparten etwas einfacher geworden. Die Behörden verlangen von den Bewerbern einen Hochschulabschluss und den Nachweis eines Einkommens von Mindestens 48.400 Euro im Jahr. Bei Mathematikern, Ingenieuren, Ärzten und IT-Fachkräften reichen 37.752 Euro - sie gelten als Mangelberufe. Rund 30.000 der Genehmigungen sind inzwischen ausgestellt worden.

Die blaue Karte ist zeitlich begrenzt, auf vier Jahre. Aber nach 18 Monaten können Nicht-EU-Arbeitnehmer auch in anderen EU-Staaten leben, Angehörige eines Karteninhabers können jederzeit arbeiten. Bei Wunsch und entsprechender Qualifikation - dazu gehören auch Sprachkenntnisse - kann ein dauerhafter Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Karte wird offenbar gut angenommen. Bemerkenswert ist im Rückblick auch, dass die Diskussion über die Bluecard vergleichsweise ruhig verlaufen ist. Die Gesellschaft hatte sich schon sehr viel mehr an den Gedanken gewöhnt, dass der Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland wohl nicht zu vermeiden ist. Hier wird deutlich, dass mit der Greencard eine wichtige Debatte angestoßen worden ist.

Der Kampf um die besten Köpfe

Studien gehen davon aus, dass bis 2025 eine Bedarfslücke von mehr als 2 Millionen Fachkräften besteht. Auf etwa 800.000, so schätzt die Bundesagentur für Arbeit, könnte die Zahl von ausländischen Spezialisten steigen, die nach Deutschland gelockt werden. Wenn alles gut läuft - denn andere Staaten werben ebenfalls um sie. "Die Bestimmungen zur Zuwanderung müssen noch viel weiter gelockert werden", fordert Bitkom-Chef Rohleder. Vor allem der Nachweis von Hochschulabschlüssen stört ihn. "Wir würden es begrüßen, wenn auch Unternehmenszertifikate, so wie sie SAP oder Microsoft vergeben, anerkannt würden."

Vor allem aber, so mahnt der Branchenvertreter, müsse sich Deutschland um eine bessere Willkommenskultur bemühen und sein Image wandeln. Er wünscht sich eine entsprechende Marketingkampagne. "Deutschland erscheint als das Land des Oktoberfests und von Schloss Neuschwanstein, aber wir präsentieren uns derzeit nicht als ein Land der Digitalisierung und wo IT von der Pike auf gemacht wird."

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