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Politik

"Die Libanesen wollen in Würde leben"

Diana Hodali
27. Oktober 2019

Einst kämpfte er im libanesischen Bürgerkrieg. Heute steht Ziad Saab an der Seite der Demonstranten in Beirut. Ein neues Wahlgesetz, sagt er, könnte dazu beitragen, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.

Ziad Saab - Ex-Fighter for Peace im Libanon bei den Protesten in Beirut Oktober 2019
Ziad Saab kämpfte früher mit der Waffe, jetzt mit Worten für den FriedenBild: Ziad Saab

DW: Sie haben im libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) gekämpft; heute stehen Sie mit den Demonstranten auf der Straße und setzen sich für einen Libanon ein, der die gesellschaftliche Spaltung überwindet. Wie groß ist die Spaltung in der Gesellschaft heute?

Ziad Saab: Wenn Sie mir diese Frage vor einem Monat gestellt hätten, dann wäre meine Antwort wahrscheinlich anders ausgefallen. Da war die Spaltung innerhalb der Gesellschaft wahrscheinlich so groß wie selten zuvor. Bis vor einem Monat war der Libanon in viele kleine Puzzleteile aufgeteilt. Doch heute sehe ich das anders. Diese engen Verbindungen, die durch die Proteste gerade entstehen, stellen das Bild, das viele vom Libanon haben, auf den Kopf. Die Menschen verständigen sich miteinander - von Norden nach Süden, von Westen nach Osten. Sie haben ihre Anliegen in die Hand genommen und fordern grundlegende Rechte, die jede Gesellschaft braucht - sei es ein Recht auf Bildung, Meinungsfreiheit oder Informationsfreiheit. Die Menschen im Libanon wollen in Würde leben. Ihre gemeinsamen Anliegen schweißen sie zusammen. Diese gesellschaftliche Implosion, die hier vonstatten geht, hat auch damit zu tun, wie der Bürgerkrieg 1990 beendet wurde. Mehrere Faktoren haben dann dazu geführt, dass nach dem Krieg ein hässliches System Einzug hielt, angeführt von denen, die im Krieg entlang konfessioneller Linien gekämpft haben und das Land im Anschluss unter sich aufgeteilt haben.

Als Kommandant der Kräfte der Kommunistischen Partei standen Sie bereits als Teenager im Bürgerkrieg an der Front. War Ihnen damals bewusst, dass dieser Krieg auch entlang konfessioneller Linien geführt wurde?

Ich war 14 Jahre alt, als ich das erste Mal eine Waffe in der Hand hielt. Ich war 16, als ich 1975 ich in den Krieg zog. Wir wussten damals nichts. Es waren keine Lehren gezogen worden aus den Bürgerkriegen vor 1975. Diese Bürgerkriege - wie der von 1958 - wurden nicht aufgearbeitet. Und auch als der Bürgerkrieg 1990 zu Ende ging, wurde dieser im Anschluss nicht aufgearbeitet. Im Gegenteil, es wurde nicht darüber gesprochen - außer dann, wenn ein Politiker sich ein einzelnes Ereignis zu Nutze machen wollte. Sogar in den libanesischen Geschichtsbüchern gibt es keine Kapitel zum Bürgerkrieg. Man tut also seit Jahren so, als sei nichts passiert, indem man das Thema unter den Teppich kehrt. Doch das Thema ist in der Gesellschaft präsent.

Ziad Saab (mit Brille) 1985 während des Bürgerkriegs im Libanon Bild: Ziad Saab

Wie versuchen Sie mit Ihrer Organisation Fighters for Peace dagegen zu wirken?

Wir arbeiten mit der Zivilgesellschaft daran, den Bürgerkrieg aufzuarbeiten, damit gesellschaftlicher Frieden hergestellt werden kann. Wir wollen die Menschen aufklären. Sie sollen wissen, welche Rechte sie haben. Die junge Generation hat uns diesbezüglich eingeholt. Und gerade beweisen sie, wie bewusst sie sich der gesamten Situation im Land sind.

Was muss passieren, damit sich der Libanon wandelt?

Natürlich müssen wir einen anderen Weg gehen - und die Demonstranten beschreiten diesen Weg gerade. Was wir fordern, ist eindeutig: Die Regierung muss zurücktreten, und die konfessionelle Spaltung soll ein Ende haben. Dieser Libanon, in dem wir derzeit leben, ist ein Land, das durch seine Spaltung regelmäßig in gesellschaftliche Konflikte und auch Kriege gerät. Die einzige Möglichkeit, dem ein Ende zu setzen, ist ein neues, zeitgemäßes und vernünftiges Wahlgesetz. Wir fordern nichts Außergewöhnliches.

Ziad Saab glaubt, dass der Libanon vor einem Wandel stehtBild: Ziad Saab

Wie leicht oder schwer ist es, sich als Bürger umzustellen, wenn Jahrzehnte lang alles im Land entlang konfessioneller Linien verlief?

Eine Mehrheit der Bevölkerung hat bei den letzten Wahlen nicht gewählt - sie haben nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht, auch, weil sie wissen, dass sie keinen Wandel herbeiführen konnten. Durch dieses Wahlgesetz, das wir jetzt haben, können immer nur die gleichen Leute an die Macht kommen. Das geht gar nicht anders. Und das wollen die Menschen nicht mehr. Sie wollen Veränderung. Sie sind dazu bereit.

Glauben Sie daran, dass diese Revolution erfolgreich sein wird?

Die Hoffnung besteht, ja. Und was vor wenigen Wochen noch völlig undenkbar hat, ist jetzt zur Realität geworden. Tripoli, das einen Ruf als Hochburg von Terroristen hatte, tanzt auf den Straßen und beweist gerade, dass die Menschen leben wollen und Freude erleben wollen. Genauso ist es im Süden, dem man immer eine einheitliche politische Haltung unterstellt hat (Im Süden sind die schiitische Hisbollah und ihr Partner, die Amal-Partei, präsent - d. Red.). Dieses Mal ist etwas anders. Und ich glaube: Selbst, wenn unsere Forderungen nicht umgesetzt werden, dann kann keine regierende Partei in Zukunft so tun, als seien diese Aufstände nie passiert. Die Regierenden werden sich ändern müssen.

Ziad Saab ist Direktor der libanesischen Organisation "Fighters for Peace", die sich die Aufarbeitung des Bürgerkriegs zum Ziel gemacht hat, um gesellschaftlichen Frieden herzustellen.

Das Gespräch führte Diana Hodali.

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