1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Linke: Plötzlich jung und erfolgreich

18. Februar 2025

Mitgliederansturm, Erfolg auf Social Media und Themengespür: Die von vielen schon tot gesagte Partei befindet sich im Umfragehoch. Ein Grund: junge Gesichter wie das ihrer Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek.

Die Spitzenkandidatin der Linken für die Bundestagswahl 2025, Heidi Reichinnek, steht im olivgrünen Kleid mit nach vorne ausgestreckten Armen am Rednerpult des Bundesparteitages der Linken. Ihr Mund ist weit geöffnet, das lange, braune Haar bedeckt Schulter und Oberkörper.
Das neue, junge Gesicht der Linken: Die 36-jährige Heidi Reichinnek ist gemeinsam mit Parteichef Jan van Aken Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Umfragen wie der Deutschlandtrend sind für Parteien mal mehr, mal weniger beliebte Gradmesser. Das gilt besonders in Wahlkampfzeiten. Schlechte Werte können Stimmungskiller sein und Zweifel auslösen: Stimmt die Strategie? Haben wir die besten Leute ins Rennen geschickt? Gute Zahlen hingegen werden gerne so interpretiert, den richtigen Kurs eingeschlagen zu haben. Dabei sind und bleiben Umfragen stets Momentaufnahmen. Der Wind kann sich schnell drehen.

Die Linke erlebt gerade im Zeitraffer beide Gefühlslagen: Noch Mitte Dezember wurde sie im Deutschlandtrend auf drei Prozent taxiert und lag damit deutlich unter der bei Bundestagswahlen maßgeblichen Fünf-Prozent-Hürde. Zwei Monate später hat sich ihr Ergebnis auf sechs Prozent verdoppelt. Kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar spricht also vieles dafür, dass die Linke dem künftigen Parlament wieder in Fraktionsstärke angehören wird.

Junge Spitzenkandidatin neben Parteichef Jan van Aken

Damit haben nach einer Niederlagen-Serie bei der Europawahl und drei Landtagswahlen 2024 nur noch ganz wenige gerechnet. Zu dieser Minderheit gehörte Heidi Reichinnek. Sie ist an der Seite des seit Oktober amtierenden Parteivorsitzenden Jan van Aken Spitzenkandidatin der Linken für die Bundestagswahl.

Linken-Chef van Aken: Migrationsdebatte "richtig schlimm"

15:37

This browser does not support the video element.

Die 36-Jährige steht für vieles, was der Partei in den zurückliegenden Jahren weitgehend fehlte: Frische, Angriffslust, Optimismus. Ihr wichtigstes Markenzeichen ist dabei die Präsenz in den sozialen Medien. Auf "X" hat sie über 40.000 Follower, auf TikTok sogar mehr als eine halbe Million. Mit ihren Posts erreicht sie insbesondere ein junges Publikum, in dessen Augen die Linke noch vor kurzem mehrheitlich eine verschnarchte, langweilige Partei war.

Die Antwort auf Sahra Wagenknecht heißt Heidi Reichinnek

Wie das schlechte Image geändert werden könnte, war Reichinnek schon lange klar: mit einer Offensive auf Social Media-Plattformen. Die kündigte sie schon im März 2024 gegenüber den wenigen Journalistinnen und Journalisten an, die sich damals überhaupt noch für die Linke interessierten. Kurz zuvor hatte sich eine Gruppe um die ehemalige Bundestagsfraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht abgespalten und das nach ihr benannte Bündnis (BSW) gegründet.

Die Linke galt als Auslaufmodell. Das miserable Ergebnis bei der Europawahl im Juni (2,7 Prozent) war nur der Anfang. Im September und Oktober folgten drei Wahlschlappen in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die damalige Parteispitze – Janine Wissler und Martin Schirdewan – kündigte ihren Rückzug an. Wer sollte diesen beispiellosen Abwärtstrend stoppen? Und mit welchem Konzept?

Heidi Reichinnek ist nicht nur auf "X" und "TikTok" präsent, sondern als Spitzenkandidatin der Linken auch ganz klassisch auf WahlplakatenBild: Franz Feiner/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Die kurzfristige Bundestagswahl könnte zum Glückfall werden

Niemand hatte einen Masterplan. Entscheidend für den plötzlichen Umschwung ist ein Mix aus personeller und strategischer Erneuerung, aber auch unvorhersehbaren Ereignissen. Das Scheitern der sogenannten Ampel-Regierung entpuppte sich für die Linke als Chance, ihr Profil zu schärfen. Im Wahlkampf knüpft sie mit alltagstauglichen Themen da an, wo sehr vielen Menschen in Deutschland der Schuh drückt: Wohnungsnot und Armut

Davon sind junge Menschen besonders stark betroffen. Sie lernen in maroden Schulen und an überfüllten Universitäten, können sich wegen ständig steigender Mieten weder Wohnung noch Zimmer leisten. Klimawandel und Krieg befeuern ihre Ängste zusätzlich. Da scheint die Linke mit ihren programmatischen Schwerpunkten gerade recht zu kommen: gesetzlicher Mietendeckel, höherer Mindestlohn, Vermögenssteuer.

Kinder und Jugendliche würden mehrheitlich die Linke wählen

Und wenn eine junge Politikerin wie Heidi Reichinnek so etwas auf TikTok und anderen Kanälen fordert, scheint das zu verfangen. Ein Indiz dafür ist, dass die Linke bei der sogenannten U18-Bundestagswahldes Deutschen Bundesjugendrings mit knapp 21 Prozent gewonnen hat. An der Abstimmung haben sich vom 7. bis 14. Februar mehr als 166.000 Kinder und Jugendliche beteiligt. Das Ergebnis ist zwar nicht repräsentativ, aber mit Blick auf die noch nicht wahlberechtigte Altersgruppe durchaus aussagekräftig.

Wächst da eine eher links orientierte Generation heran? Die Antwort darauf wird es frühestens dann geben, wenn die jungen Leute erstmals ihre Stimme bei einer richtigen Bundestagswahl abgeben dürfen. Letztlich ist die U18-Bundestagswahl so wie jede Umfrage lediglich eine Momentaufnahme.

Dass sich die Linke darüber freut, versteht sich aber von selbst. Entsprechend euphorisch kommentiert Bundesgeschäftsführer Janis Ehling das Ergebnis: "Die Linke ist nicht nur die Partei des Augenblicks, sondern auch die Partei der Zukunft."

Mehr als 20.000 neue Mitglieder seit Januar – vor allem junge

In den Umfragen gehe es nach oben und man erlebe einen nie gekannten Mitgliederansturm, betont der Enddreißiger. Allein seit dem Sonderparteitag anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl wurden über 20.000 Neueintritte registriert. Mit einer Gesamtzahl von gut 81.000 Mitgliedern wurde ein historischer Höchststand erreicht. Die seit Januar zur Linken gekommenen Mitglieder sind im Schnitt 28 Jahre jung. Dadurch sank das Durchschnittsalter der Partei insgesamt auf 43 Jahre. 

Heidi Reichinnek, Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl und Überfliegerin in den sozialen Medien, wurde vor kurzem gefragt, ob sie an Wunder glaube? Ihre Antwort auf der Plattform "X" passt zum neuen, selbstbewussten Ton der Linken: "Ich muss nicht an Wunder glauben, ich erlebe sie ja."

 

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland