Die Logik der Geheimdienste
28. August 2013 DW: Weltweit sammeln und speichern Geheimdienste millionenfach Verbindungsdaten: Das sind Meta-Daten, die festhalten, wer wann mit wem kommuniziert. Über den Inhalt, das heißt über das, was geschrieben oder gesprochen wird, verraten sie erstmal nichts. Warum sind sie wichtig?
Andre Meister: Dass Verbindungsdaten nichts mit Inhalten zu tun haben, ist ein Mythos: Wenn jemand zum Beispiel mit einer Drogenberatung in Kontakt ist, lassen sich daraus natürlich bestimmte Schlüsse ziehen. Zudem liefern die Verbindungsdaten von einem Handy Hinweise, wo sich dessen Besitzer aufgehalten hat. Schließlich kann man mithilfe von Verbindungsdaten Kommunikationsnetzwerke abbilden: Man kann erkennen, wer mit wem kommuniziert und welche Personen in diesen Strukturen wichtige Schlüsselpositionen einnehmen. Also wissen die Behörden auch, wen man eventuell ausschalten muss, um eine ganze Gruppe lahmzulegen.
Dafür werden die Meta-Datenmengen mit einer Rasterfahndungssoftware durchsucht: Wenn es in den Daten Auffälligkeiten gibt, wird an dieser Stelle "hineingezoomt" und dann werden gegebenenfalls auch die entsprechenden Inhaltsdaten angeschaut.
Wie genau funktioniert das?
Das kommt ganz auf die Datenquellen, die bearbeitende Behörde und den Zweck der Analyse an. In Deutschland zum Bespiel gibt es die massenhafte Abfrage von Verbindungsdaten mit sogenannten "Funkzellenabfragen".
Dabei erhalten Polizeibehörden von den Mobilfunkanbietern millionenfach Verbindungsdaten von zehntausenden Handys – jeden Tag. Diese Daten werden dann bei verschiedenen Kriminalfällen aus verschiedenen Regionen gesammelt und miteinander verglichen: zum Beispiel, welche Mobilfunkgeräte in der Nähe mehrerer Tatorte waren.
Dann überprüfen die Ermittler, welche Mobilfunkgeräte bestimmten Personen gehören, die sie schon in Datenbanken haben. Schließlich wird per Rasterfahndung überprüft, welche Personen immer wieder auftauchen; diese Personen werden dann genauer untersucht.
Inwieweit darf der Staat auf diese Daten zugreifen und sie speichern?
Man muss unterscheiden zwischen Geheimdiensten auf der einen Seite und Ermittlungsbehörden wie der Polizei auf der anderen. Geheimdienste dürfen alles; sie sammeln alles, haben aber kein Gewaltmonopol, das heißt, sie bringen die Leute nicht selbst vor Gericht. Polizeibehörden dagegen dürfen Ermittlungen anstellen, die vor einem Richter landen; aber sie dürfen dafür nicht alle Daten verwenden.
Grundsätzlich können Polizeibehörden überall auf der Welt auf die Daten von Menschen zugreifen, bei denen ein Verdacht besteht – teilweise mit richterlichem Beschluss, teilweise auch ohne. Das entspricht dem sogenannten Legalitätsprinzip: Im Fall eines Verdachts darf jemand überwacht werden.
Was wir allerdings im Moment beobachten, ist eine Abkehr von diesem Prinzip. Stattdessen werden pro forma "ins Blaue hinein" die Daten von allen gesammelt. Diese können dann von Polizeibehörden und sogenannten "Bedarfsträgern" verwendet werden – teilweise auch nur wegen Ordnungswidrigkeiten.
Beobachter sprechen vom "Zeitalter von Big Data" – was bedeutet das für das Auswerten und Speichern von Daten?
In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben wir eine Explosion der anfallenden digitalen Daten erlebt. Umso wichtiger werden Verbindungsdaten. Gleichzeitig speichert man Daten aber nicht mehr in Aktenordnern; das geht jetzt viel einfacher. Mittlerweile kostet es mehr, Daten zu löschen, als sie unendlich zu speichern.
Der US-Geheimdienst NSA zum Beispiel hat riesige Datenzentren, die darauf ausgelegt sind, die Meta-Daten von sämtlicher digitaler Kommunikation - der gesamten Menschheit - über dutzende Jahre hinweg zu speichern. Und wir stehen erst am Anfang: In den kommenden Jahren werden Daten und damit auch Verbindungsdaten weiter exponentiell zunehmen.
Sozialwissenschaftler Andre Meister ist Redakteur beim 2002 gegründeten Blog netzpolitik.org, das vor allem über internetpolitische Themen berichtet. Das Blog gilt als vielbeachtete kritische Stimme gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und der EU.