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Die Mängelliste der deutschen Industrie

25. September 2018

"Risiko" - unter dieser Überschrift hält der BDI seine Jahrestagung ab. Damit sind aber nicht nur Handelskriege und Brexit gemeint. Auch die Bundesregierung bekommt ihr Fett weg. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Merkel auf dem Tag der Deutschen Industrie
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Tag der deutschen Industrie

01:51

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Wer die deutsche Wirtschaft im Herbst 2018 in den Blick nimmt, der sieht viel Gutes: Deutschland befindet sich im längsten Aufschwung seit 1991. Mit der Konjunktur geht es seit inzwischen neun Jahren aufwärts. Vor allem die Industrie ist ein Jobmotor. Im verarbeitenden Gewerbe sind mit rund 5,6 Millionen Menschen mehr beschäftigt als je zuvor. "Die deutsche Industrie ist eine Marke und hat einen Ruf, den sich jeder nur wünschen kann", sagte Roberto Azevedo, der Chef der Welthandelsorganisation WTO auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin. "Bewundert, respektiert, auf der ganzen Welt gefragt."

Trotz so viel Lobs ist dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nicht nach Feiern zumute. Selbst wenn der Konjunktursommer weiter anhalte, so Dieter Kempf, der Präsident des Lobbyverbandes, müsse sich Deutschland auf einen Abschwung gefasst machen. Die Vorzeichen seien bereits spürbar. Die Unternehmen würden weniger investieren und die Exporte gingen zurück. Seine Jahrestagung hat der Industrieverband wohl deswegen unter das Motto "Risiko" gestellt.

Pessimismus oder nur Warnung?

Auf internationaler Ebene sind damit die von den USA entfachten Handelskriege gemeint, gefolgt vom Brexit, dem anstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU. Als Folge senkt der BDI seine Konjunkturprognose für das laufende Jahr von 2,5 auf zwei Prozent. Kempf sieht auch die Exporte "immer stärker bedroht". Statt eines Zuwachses von fünf Prozent im Vergleich zu 2017 ist jetzt nur noch von einem Plus von 3,5 Prozent die Rede.

Mehr als bedrohlich findet der BDI-Präsident wachsenden Hass und Intoleranz in Deutschland. Gleich zu Beginn seiner Rede vor mehr als eintausend Gästen, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, mahnte Kempf den Erhalt der offenen Gesellschaft und eines weltoffenen Deutschlands an. "In unserem Land ist kein Platz für Hetze und Fremdenfeindlichkeit. Wir brauchen Vielfalt und keine Einfalt, wir sind bunt und nicht braun." 

Unmut über die Bundesregierung

Mehr denn je sei die Politik gefragt, doch die sei im "permanenten Selbstgespräche-Modus", kritisiert Kempf und meint damit die seit Monaten andauernden Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien CDU, CSU und SPD. "Die Industrie wartet ungeduldig auf wirtschaftspolitische Schritte der Bundesregierung, vor allem in der Steuer-, Digitalisierungs- und Energiepolitik." Ein Jahr nach der Bundestagswahl und nach sechs Monaten großer Koalition schaue die Industrie "besorgt auf die Uhr".

BDI-Präsident Dieter Kempf hat viele Forderungen an die PolitikBild: Getty Images/S. Gallup

"Wir brauchen mehr Tempo in der Politik angesichts der Geschwindigkeit, mit der ein irrlichternder US-Präsident bewährte Bündnisse in Frage stellt und Zollspiralen in Gang setzt", fordert der BDI-Präsident. Kein gutes Haar lässt er auch an der Digitalisierungs- und Steuerpolitik der Bundesregierung, der er "Tatenlosigkeit" vorwirft: "Das grenzt fast schon an unterlassene Hilfeleistung." Deutschland entwickele sich vom Hoch- zum Höchststeuerland, während Regierungen weltweit - in den USA, aber auch im Vereinigten Königreich und in Frankreich - die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verbessern suchten.

Neu nachdenken über die Steuerpolitik

Angela Merkel zeigte durchaus Verständnis für die Kritik an der Bundesregierung und räumte noch einmal Fehler ein. "Ich kann Sie alle gut verstehen, wenn Sie sagen, die Regierungsbildung war schon so lange und danach gab es wieder einen hohen Anteil an Selbstbeschäftigung, das wünschen wir uns anders." Sie nehme die Bitte "sehr positiv auf", so die Kanzlerin. "Ich werde alles daran setzen, da zu Verbesserungen zu kommen."

Hoffnungen macht die Kanzlerin der Wirtschaft beim Thema Steuern. Angesichts der erwachsenden starken internationalen Konkurrenz müsse man auch in Deutschland über eine Senkung der Unternehmenssteuern nachdenken. "Wir können uns hier nicht einfach von der Welt abkoppeln", sagte Merkel. Mit Frankreich seien die Arbeiten an einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Firmen "so gut wie abgeschlossen". Jetzt sei zu prüfen, was dies für die Steuerlast bedeute.

Die Kanzlerin verspricht der Industrie, jetzt zu liefernBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Auch die schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages will die Kanzlerin in der Koalition noch einmal verhandeln. Mit der SPD wurde vereinbart, dass der "Soli" für 90 Prozent der Steuerzahler abgesenkt wird, für zehn Prozent aber in voller Höhe erhalten bleibt. Das betrifft auch die Wirtschaft. "Es ist vielleicht einer der schwierigsten Kompromisse gewesen, die ich eingehen musste" so Merkel. "Ich stand vor der Frage, keine Regierung oder diese Entscheidung." Sie halte die Vereinbarung nicht für gerecht und werde daher "immer und immer wieder" versuchen, eine Änderung zu erreichen.

China ante Portas

Viel gesprochen wurde auf dem Tag der Deutschen Industrie auch über das weiter zunehmende Interesse chinesischer Investoren an deutschen Firmen. Erst kürzlich hatte die Bundesregierung die Übernahme des Stromnetz-Betreibers 50Hertz durch einen chinesischen Konzern verhindert. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der ebenfalls zu den Rednern gehörte, will künftig schon bei geringeren Beteiligungen ausländischer Investoren an deutschen Unternehmen überprüfen können, ob dadurch deutsche Sicherheitsinteressen gefährdet seien oder wichtige Zukunftstechnologien abfließen könnten.

Ärmel hoch: Wirtschaftsminister Peter Altmaier plant eine neue IndustriestrategieBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Dazu will er die Außenwirtschaftsordnung dahingehend ändern, dass die Bundesregierung schon bei einer Beteiligung von mindestens 15 Prozent durch einen Nicht-EU-Investor eingreifen kann. Bisher lag diese Schwelle bei 25 Prozent der Anteile.  "Wir arbeiten derzeit an einer Industriestrategie für die Bundesrepublik Deutschland, wo wir unsere Interessen klären wollen", sagte Altmaier. Es gebe Bereiche, in denen sich der Staat heraushalten müsse, und solche, in denen er es nicht könne. So suche er beispielsweise weiter nach einem Firmenkonsortium, um hierzulande eine eigene Batteriezellenfertigung für Elektroautos zu stemmen.

Gleiches Recht für alle

Bundeskanzlerin Angela Merkel steht hinter diesen Plänen. "Deutschland wird weiter offen bleiben", betonte die Kanzlerin, aber "wir machen uns schon Gedanken darüber, auf welche Weise wir unsere kritische Infrastruktur schützen müssen." Die deutsche Industrie mahnt allerdings, die Reglementierung nicht zu überziehen. BDI-Präsident Dieter Kempf ist der Meinung, das aktuelle Außenwirtschaftsrecht biete "hinreichenden Schutz" für Deutschland und seine Unternehmen. "Wir sollten zurückhaltend sein mit weiteren Einschränkungen." Wichtiger sei, immer wieder einzufordern, dass deutsche Unternehmen in China genau so frei investieren dürften wie chinesische Unternehmen in Deutschland.

Das chinesische Unternehmen CATL will in Thüringen eine Fabrik für Batteriezellen bauenBild: picture-alliance/Imagechina/D. Changzheng

Großen Applaus gab es für den Auftritt von WTO-Generalsekretär Roberto Azevedo. Wie nicht anders zu erwarten, beschäftigt auch er sich mit den zunehmenden Handelsbarrieren und wachsenden Spannungen auf der Welt. Diese seien eine große Bedrohung für die Weltwirtschaft, auch wenn die Auswirkungen in der Regel nicht unmittelbar, sondern erst mit einer gewissen Zeitverzögerung spürbar seien. Wachstumseinbußen, Unsicherheit und Job-Verluste seien die Folge. Der Konflikt schade allen. Der Zollstreit zwischen den USA und China habe auch dazu geführt, dass die internationale Zusammenarbeit gelitten habe. "Das macht mir sehr große Sorgen."

Kommt der Brexit, oder kommt er nicht

Azevedo appellierte an die Bundesregierung und die Industrie, ihn bei der Verteidigung des Welthandelssystems zu unterstützen. "Deutschland muss seine Stimme erheben, stärker als je zuvor." Gerade die Bundesrepublik und seine Wirtschaft profitierten wegen der hohen Exportorientierung von der engen Einbindung in die Weltwirtschaft.

Eine Forderung, die bei der Bundeskanzlerin auf offene Ohren stößt. Momentan treibt Angela Merkel insbesondere der Brexit um. Bis Mitte Oktober müsse eine Lösung für das EU-Austrittsabkommen mit Großbritannien gefunden werden. Die künftigen Beziehungen müssten "möglichst konkret" definiert werden. "Es liegen sechs, acht Wochen härtester Arbeit vor uns", so Merkel. "Man kann nicht zum Binnenmarkt gehören, wenn man nur in einem Teil zum Binnenmarkt gehören will und in drei anderen Teilen nicht." Das Ergebnis des Abkommens hänge "im Wesentlichen davon ab, was Großbritannien denn wirklich möchte".

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