Die Müll-Lawine von Kampala: Viele Opfer und viele Fragen
16. August 2024Schaufelbagger heben Schicht für Schicht den Morast ab. Auch knapp eine Woche nachdem in Ugandas Hauptstadt Kampala ein gewaltiger Haufen aus Müll wie eine Lawine den Hang hinunter gerutscht war und zahlreiche Häuser unter sich begrub, wird nach Verschütteten gesucht. Mit jedem Hieb der Baggerschaufel steigt mehr Gestank empor. Unendlich viele Fliegen summen umher. Rostbraunes, verseuchtes Abwasser tropft von den Schaufeln. Einige der Baggerfahrer haben sich zwei oder gar drei Corona-Masken über das Gesicht gezogen, um dem Gestank zu ertragen.
Gerade einmal 14 Menschen konnten sich in dem betroffenen Armenviertel im Bezirk Kiteezi aus verschütteten Häusern befreien. Einige mussten im Krankenhaus behandelt werden. 34 Leichen wurden in den vergangenen Tagen geborgen. Doch noch immer wird nach Vermissten gesucht. Die Hoffnung, nach knapp einer Woche weitere Überlebende zu finden, ist jedoch gleich null, so das Rote Kreuz, das für die Bergungsmaßnahmen zuständig ist.
Mit gelbem Absperrband haben Polizisten die Umgebung abgesichert. Der Grund: Die Regenzeit setzt so langsam ein und es besteht das Risiko, dass weitere Müllhaufen abrutschen. Deswegen hat die Stadtverwaltung entschieden, dass alle noch stehenden Häuser im Umkreis von 200 Meter evakuiert werden müssen.
Proscovia Nabafus Haus ist mit einem roten Kreuz an der Hauswand markiert, ein gelbes Absperrband flattert an ihrem Hoftor. Die 44-jährige Mutter von vier Kindern packt in ihrem Wohnzimmer Teller und Tassen in eine Kiste. "Alle Leute, die innerhalb des Absperrbandes wohnen, müssen ihre Häuser räumen, weil es gefährlich sei", sagt sie und wirkt verzweifelt.
"Anstatt den Müll zu beseitigen, müssen wir nun weichen". Ihre Kinder habe sie zu Verwandten gebracht, damit sie in Ruhe ihre Habseligkeiten einpacken kann. Sie zeigt auf die Hühner im Garten und die Bananenstauden, die Früchte tragen. "Die Premierministerin war hier und hat uns Entschädigung versprochen, doch ich weiß nicht wohin ich jetzt gehen soll."
Trend zur Abfallwirtschaft bislang verpasst
Rund 2500 Tonnen Müll fallen täglich in Ugandas Hauptstadt Kampala mit ihren etwa zwei Millionen Einwohnern an. Rund 1200 Tonnen davon werden mit Lastwagen eingesammelt, der Rest wird verbrannt oder endet in den Straßengräben. In Uganda gibt es keine Mülltrennung: Von der Bananenschale bis zum Elektroschrott landet alles unsortiert auf einem Haufen.
Die offene Müllhalde am Stadtrand von Kampala, im Bezirk Kiteezi, macht der Stadtverwaltung (KCCA) schon seit Jahren Probleme. Als sie 1996 angelegt wurde, war dies ein Loch zwischen drei Hügeln. Lastwagen konnten auf einen der Hügel hinauffahren und einfach alles abladen: Der Müll rutschte dann automatisch den Hang hinab.
Doch seit 2008 ist das Loch voll. Bereits damals erklärte die Stadtverwaltung, man müsse unbedingt eine neue Müllhalde anlegen. 2016 erwarb KCCA ein Gelände im Bezirk Mukono, außerhalb der Hauptstadt, um den Abfall fachgerecht auf einer Deponie zu entsorgen. Doch Abgeordnete und Einwohner vor Ort gingen auf die Barrikaden und es mangelt an Geld, eine richtige Deponie anzulegen - mit umweltgerechter Entsorgung und einer Biogasanlage. Also wurde der Müll weiter in Kiteezi aufgehäuft.
Während umliegende Länder wie Ruanda und Kenia bereits auf Mülltrennung umgestiegen sind, Plastik recyceln und in Kompostanlagen Biogas herstellen, hat Ugandas Regierung diesen Trend bislang verpasst. Erst 2022 wurde der nationale Müll-Entsorgungsplan ausgerufen, doch die Umsetzung geht nur langsam voran, denn es fehlt an Geld.
Muwada Nkunyingi ist der Abgeordnete für den Bezirk, in welchem die Müllhalde liegt. In Gummistiefeln steht er unweit des Unglücksortes. In den engen Gassen der Armenviertel in Kiteezi hat die Oppositionspartei NUP (National Unity Platform) das Sagen, der auch Nkunyingi angehört. Er ist sichtlich sauer auf die Regierung.
"Statt die Leute jetzt im Umkreis umzusiedeln, benötigt die Müllhalde ein effektives Management", sagt der Abgeordnete. "Sie muss so angelegt werden, dass sie keine Menschen gefährdet". Nkunyingi fordert, dass die Regierung ernsthafte Untersuchungen anstrengt, wie es zu diesem Unglück kommen konnte.
Keine Matratzen und nicht genug zu Essen
Im Hof der nahe gelegenen Kiteezi Grundschule hat das Rote Kreuz weiße Zelte errichtet. Rund 120 Menschen, die meisten davon Kinder, sitzen und liegen darin auf einfachen Planen. Dahinter sind sieben Toilettenhäuschen aufgestellt. Matratzen, Klopapier, Seife - alles ist Mangelware.
Dabei treffen stündlich mehr Menschen wie Nabafu ein, die nicht mehr in ihren Häusern schlafen dürfen. Das Katastrophenschutzministerium unter dem Büro des Premierministers hat Lebensmittel bereitgestellt.
"Wir haben Spendenaufrufe gestartet", so John Cliff Wamala vom Roten Kreuz in Uganda: "Es mangelt an Matratzen, Hygieneartikel für Frauen und Windeln für Kinder."
Während die Bergungsarbeiten voranschreiten, ist die Müllhalde nun offiziell geschlossen worden. Kein Lastwagen darf dort mehr den Abfall abladen. Zu Beginn dieser Woche häufte sich deshalb überall in Kampala der Müll meterhoch. Kurzerhand haben die Behörden entschieden, die Müllautos zu einer Deponie in der 30 Kilometer entfernten Stadt Entebbe zu schicken, um den Müll dort abzuladen.
Doch diese Halde liegt nahe am Victoriasee. Umweltschützer und die Wildtierschutzbehörde warnen, dass die Abwässer aus den Abfällen den See verseuchen könnte. Es müsse dringend eine langfristige Lösung gefunden werden.