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Politik

Die diskrete Botschaft des Oktoberfestes

16. September 2017

Sie sind wieder geöffnet, die riesigen Bierzelte auf der Wiesn. Fast drei Wochen feiern Bayern und ihre Gäste Frohsinn und Verbrüderung. Direkt politisch ist das Fest nicht mehr. Etwas mitzuteilen hat es trotzdem.

München Oktoberfest 2017 Auftakt Fass-Anstich
Anzapfen: Der Münchener Oberbürgermeister eröffnet das OktoberfestBild: Reuters/M. Rehle

Beim Bier hört die Freundschaft auf. Jedenfalls dann, wenn für einen Liter Bier, der auf dem Oktoberfest gereicht wird, 10,70 Euro zu berappen sind. Genau so viel kostete nämlich eine Maß - so lautet die bayerische Bezeichnung für einen Liter Bier - im Jahr 2016 auf dem Oktoberfest.

Vor einem Jahr fand das Oktoberfest noch unter beinahe idyllischen Verhältnissen statt. Seitdem aber hat sich die Frequenz terroristischer Anschläge dramatisch erhöht, und das wirkt sich auch für die Sicherheitsvorkehrungen auf der Wiesn aus. Fast elf Millionen Euro wurden dieses Jahr investiert, um Leben und Gesundheit der Wiesn-Besucher zu schützen.

Viel Geld. Und wer soll es zahlen? Am besten nicht die Gäste, sondern die Wirte, fand der zweite Bürgermeister der Stadt, Josef Schmid von der CSU. Ein politisches Kalkül: Denn mit einer Bierpreisbremse gewinnt mit Wähler. Doch Schmid hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der regierende Bürgermeister und die Vertreter der anderen Parteien waren dagegen. Eine Obergrenze für die Maß blieb aus. 

"Im Himmel", jedenfalls beinahe: Stammtisch-Stimmung in einem Festzelt auf dem OktoberfestBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Das Beispiel zeigt: Politik kommt auf dem Oktoberfest durchaus vor, allerdings nur am Rande, etwa bei der Preisdiskussionen zum Bier. Ansonsten ist Politik auf der Wiesn verpönt. Das ist so gewollt. Denn von der "Politik" zum "Stammtisch", dem Ort allzu einfacher, allzu lauter Parolen, ist es nur ein kurzer Weg.

Was aber ist die Wiesn  mit ihren riesigen Bierzelten, wenn nicht ein einziger Stammtisch? Allein das größte Zelt, das Hofbräuzelt, bietet Platz für 11.000 Personen. Und die haben alle Durst. Damit ist die befürchtete Stammtischatmosphäre - Verbrüderung durch politische Parolen und geistige Getränke - schnell gegeben. So entsteht eine politische Atmosphäre fast von selbst. Alles Weitere will man nicht noch eigens fördern. Jedenfalls in der Theorie.

Es lebe die Mitte

In der Praxis ist Politik aber doch präsent, und zwar vom ersten Moment des Festes. Denn dann sticht der Bürgermeister pünktlich um 12 Uhr das erste Fass an und eröffnet so das Fest. Und der Bürgermeister ist immer auch Vertreter irgendeiner Partei. Eigentlich ganz einfach.

Große Koalition im Kleinen: Der bayerische Premierminister Horst Seehofer und der Münchener Oberbürgermeister Dieter ReiterBild: Reuters/M. Rehle

Und doch ist es so einfach auch wieder nicht. Denn das Anstechen des ersten Fasses steht zugleich für den überpolitischen Charakter des Festes. Die Magie des Augenblicks vereint die Anwesenden, über alle ideologischen Differenzen hinweg. Es ist der Moment, in dem sich neben dem Bürgermeister auch der bayerische Ministerpräsident - seit ewigen Zeiten stellt ihn die CSU - feiern lässt. Und zwar auch von Anhängern der politischen Konkurrenz.

So auch dieses Jahr wieder: Eine Maß in der Hand zeigt sich SPD-Mann Dieter Reiter in trauter Einheit mit CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer, auch er mit einem Bierkrug ausgerüstet. Früher vielleicht hätte man von der Vereinigung der politischen Gegensätze gesprochen. Längst aber haben die etablierten Parteien in Deutschland ihr Profil geschliffen und sind in die politische Mitte gerückt. Die Große Koalition im Bundestag in Berlin findet ihr regionales Äquivalent im Münchener Bierzelt. Politische Harmonie allerorten.

Auf der Flucht

Die bayerische Monarchie, das Kaiserreich, die NS-Diktatur: Alle Regime drückten dem Oktoberfest ihren Stempel auf. Heute, in Zeiten, wo das globalisierte Leben mit seinen Zumutungen die Bayern und den Rest der Welt Tag für Tag bedrängt, gewährt das Oktoberfest seinen Besuchern vor allem eine Auszeit von dem Stress, den komplexe Gesellschaften ohne Unterlass produzieren.

"Das Oktoberfest stellte von Anfang an auch ein gesellschaftliches Ventil dar, das dem Einzelnen oder einer Gruppe eine temporäre Flucht aus dem Alltag ermöglichte. Dieser Drang, auf Zeit in eine Gegenwelt zu fliehen, ist zwar alt, doch gerade heute besonders ausgeprägt, da die Individualisierung der Gesellschaft durch Single-Existenzen und soziale Isolation ständig zunimmt." So schreibt es die Archivdirektorin im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München in ihrem Buch über das Fest.

Grenzenlos: Oktoberfest im Chinesischen ShandongBild: picture-alliance/Zumapress/Sipa Asia/Yu Fangping

Streitet nicht! Trinkt!

Eben das dürfte heute die wichtigste politische Botschaft des Oktoberfestessein: Streitet nicht! Trinkt! Was ist die Maß, wenn nicht Erkennungszeichen all derer, die den Wert vertiefter Gemeinschaft kennen und sich verbinden zur World Wide Wiesn? Die Imitate schießen aus dem Boden. 1978 wurden weltweit bereits an 170 verschiedenen Orten Oktoberfeste gefeiert, im Jahr 2008 waren es bereits 2000.

Eine solche internationale Ausstrahlung, findet der Kabarettist Bruno Jonas in seiner "Gebrauchsanweisung für das Oktoberfest", sollte gewürdigt werden - nämlich in Form einer Anerkennung des Oktoberfestes als eines eigenen Staats. Dafür gäbe es viele Gründe, nicht zuletzt pazifistische: "Am erfreulichsten ist, dass vom Oktoberfest noch nie feindliche Bestrebungen ausgingen, benachbarte Staaten zu überfallen. Es gab noch nie einen Wunsch nach Ausdehnung der Gemütlichkeit über die angestammten Grenzen der Theresienwiese hinaus. Noch nie hat ein Verteidigungsminister behauptet, dass unsere Gemütlichkeit am Hindukusch verteidigt werden muss."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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