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Politik

Polens katholisches Kreuz

23. Juli 2017

Der Streit über die geplante Justizreform in Polen ist religiös aufgeladen. Er offenbart das enge Verhältnis der PiS-Regierung zum konservativen Klerus des Landes.

Polen Christus-König-Statue in Swiebodzin
Bild: picture alliance/ZB/K. Schindler

Ist die umstrittene Justizreform in Polen, gegen die Zehntausende in den Städten demonstrieren, mit dem katholischen Glauben vereinbar? Was auf den ersten Blick wie eine politisch irrelevante Frage erscheinen mag, ist für Polen von existenzieller Bedeutung. Denn der katholische Glaube ist fester Bestandteil der polnischen Identität.

92 Prozent der rund 38 Millionen Einwohner des Landes bekennen sich zum katholischen Glauben, jeder Zweite geht regelmäßig in den Gottesdienst, die Erstkommunion ist jedes Jahr ein Großereignis im ganzen Land. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt der Anteil der Katholiken 28,5 Prozent.

Doch um welchen katholischen Glauben geht es? An Papst Franziskus und seiner Barmherzigkeit gegenüber Flüchtlingen scheint sich die nationalkonservative Regierung der Partei 'Recht und Gerechtigkeit' (PiS) jedenfalls nicht auszurichten - auch wenn Millionen von Gläubigen dem Pontifex beim Weltjugendtag in Krakau im Juli 2016 zujubelten.

Ebenso wenig an Übervater Johannes Paul II., der in seiner Heimat schon lange vor seiner Heiligsprechung 2014 als Heiliger verehrt wurde. Schließlich kämpfte der nicht nur gegen den Kommunismus, sondern vehement für Freiheit und Demokratie. Sein Zitat, Europa müsse "auf beiden Lungenflügeln atmen, dem westlichen und dem östlichen", ist bis heute ein geflügeltes Wort.

Die Kirche schweigt

Umso enger scheint die Verbindung zwischen PiS und polnischer Bischofskonferenz. Noch am 17. Juli verkündete deren Sprecher Pawel Rytel-Andrianik, die Kirche werde sich zu dem Streit über die Justizreform nicht äußern. Drei Tage später, am 20. Juli, rief der Primas Erzbischof Wojciech Polak angesichts der Massenproteste zur "Erhaltung der Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates" auf.

Eine schwache Geste, findet Malgorzata Gersdorf, Präsidentin des Obersten polnischen Gerichtes. Gersdorf wurde  2008 von dem ehemaligen Staatschef Lech Kaczynski ernannt: "Die einzige Institution, die in Polen noch etwas erreichen könnte, ist die Kirche", erklärte sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Aber ich erwarte nichts von ihr. Sie ist der regierenden Partei eng verbunden. Deshalb hat sie bisher nichts gesagt und wird auch nichts sagen."

Massenproteste: Trotz Sommerferien demonstrierten in Polens Städten Zehntausende gegen die Justizreform Bild: Reuters/Agencja Gazeta/M. Michalak

Das Schweigen zahlt sich für die katholische Kirche in Polen aus. Die PiS-Regierung  erhöhte die staatlichen Zuschüsse für die Kirche. Sie wertete den freiwilligen Religionsunterricht an Schulen auf und  blockierte mit einem Parlamentsbeschluss den Zugang zur Notfallverhütung "Pille danach". Und sie wird nicht müde in ihren Anstrengungen, die bereits restriktiven Abtreibungsgesetze im Land weiter zu verschärfen.

"Strukturell katholisch"

Für den katholischen Publizisten und Politikwissenschaftler Andreas Püttmann steckt hinter der von der PiS angestrebten Justizreform etwas "strukturell Katholisches": Wie in Rom so orientiere man sich auch in Warschau an einer angeblich höheren Wahrheit statt an demokratischen Entscheidungsprozessen, erklärte er jüngst im Kölner Domradio.

Katholisch ohne Kompromisse: Premierministerin Beata Szydlo und PiS-Chef Jaroslaw Kasczynski im polnischen ParlamentBild: picture-alliance/epa/J. Turczyk

Er fügte hinzu: "Das hat leider katholische Tradition, wie man sie etwa im 19. Jahrhundert findet, als die Päpste gegen Demokratie und Menschenrechte wetterten (...) In dieser Tradition befinden sich Herr Kaczyński und seine politischen Freunde."

"Bollwerk des Christentums"

Polen als "Bollwerk des Christentums", als Heimat des "Jahrtausendpapstes" Johannes Paul II. - diese gemeinsame Anschauung verbindet die polnische Bischofskonferenz und die PiS-Regierung. Es gelte, sich gegen die Verweltlichung des Westens genauso zu wehren wie gegen die vermeintliche Ausbreitung des Islams. 

Noch gelingt es der polnischen PiS-Regierung, sich als Beschützerin der katholischen Kirche und Verfechterin der nationalen Identität gleichermaßen zu gerieren. Doch mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer büßt auch sie an Einfluss ein. Der Glaube verändert sich.

Nach einer von dem polnischen Publizisten Jan Opielka in der ZEIT-Beilage Christ & Welt ausgewerteten Studie ist die Zahl der Polinnen und Polen, die sich nach den Weisungen der Kirche richten, seit 2005 von 66 auf 39 Prozent gesunken.

Dein Wille geschehe? Auf Demonstrationen für die PiS-Regierung wird stets auch das Bild von Johannes Paul II. gezeigtBild: Reuters/K. Pempel

Nur noch jeder Zweite praktiziert demnach regelmäßig katholische Riten, über 50 Prozent deklarieren einen Glauben "auf eigene Weise". 2005 war es noch jeder Dritte. Gestiegen ist auch die Zahl der Nicht-Gläubigen, bei den 18- bis 24-Jährigen von sechs auf 15 Prozent.

"Autoritär und fundamentalistisch"

"Eine autoritäre Partei, Jaroslaw Kaczynskis 'Recht und Gerechtigkeit', hat dem fundamentalistischen Katholizismus die Hand gereicht", erklärte der Theologe und ehemalige Jesuitenpriester Stanislaw Obirek schon im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk. Die Kirche sei zu einem politischen Akteur geworden.

Auch wenn der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz,  Erzbischof Stanislaw Gadecki, Papst Franziskus unterstütze - die Mehrheit des polnischen Klerus sei konservativ und rufe offen dazu auf, die PiS zu wählen, so Obirek. "Zu der politischen Situation, die wir heute in Polen haben, ist es erst durch die Unterwürfigkeit aller politischen Parteien gegenüber der Kirche gekommen."

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