Die Macht und das Recht
18. Juni 2013Der Schlafanzug, die Zahnbürste und ein paar Ersatzkleider sind immer im Kofferraum des Autos. Ohne diese Utensilien fahren Mohammed und Dena (Namen wurden geändert) nicht los, wenn sie Denas Familie in Bethlehem besuchen. Das Ehepaar wohnt in Jerusalem - die Fahrt dauert nur 20 Minuten.
Aber die beiden wissen nie, ob sie am Abend wieder zu Hause sind. Denn an manchen Tagen stauen sich die Autos vor dem Checkpoint, der Bethlehem von der Stadt Jerusalem trennt. Zum Beispiel, wenn die israelischen Soldaten besonders gründlich kontrollieren. Oder, weil nur ein Kontrollposten besetzt ist. "Manchmal sind wir dann zu spät an der Reihe und müssen bei den Schwiegereltern bleiben", sagt Mohammed. Denn Dena darf Jerusalem nur mit Einschränkungen betreten.
Das Leben im Aktenordner
Mohammed kämpft darum, mit seiner Frau zusammen leben zu dürfen und um die amtliche Registrierung seines neugeborenen Sohnes. "Dena stammt aus Bethlehem, das unter der Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde ist. Deshalb hat sie kein Aufenthaltsrecht in Jerusalem", erklärt er. Dennoch beschlossen sie, bei Mohammeds Eltern in der Stadt zu wohnen - de facto ein Leben in der Illegalität. "Fast sieben Monate ist sie aus Angst so gut wie nie aus dem Haus gegangen", sagt er. Schließlich fand sie einen Job und bekam eine Arbeitsgenehmigung, die abends um 19 Uhr endet. "Ab dann war es etwas leichter."
Ihr Antrag auf Familienzusammenführung beim israelischen Innenministerium läuft seit zwei Jahren. Seitdem füllt Mohammed Formular um Formular aus, lässt Telefonnummern, Wasser - und Stromrechnungen und Versicherungen notariell beglaubigen und beantwortet Fragen, auf die es manchmal gar keine Antwort gibt: Mit wem der Freund seiner Cousine befreundet ist, wann Mohammed zuletzt mit einem Bekannten aus seiner Jugendzeit Kontakt hatte, und ob der Freund des Freundes zu irgendeiner Zeit im Ausland war, und wenn ja: wo und warum. Das gleiche gilt für Dena. Sollte sich auch nur irgendeiner dieser Menschen etwas zuschulden haben kommen lassen, stehen die Chancen für das Ehepaar schlecht.
Undurchschaubares Rechtssystem
Daher sitzt der 33-Jährige im Büro der katholischen Menschenrechtsorganisation Society of St. Yves in Jerusalem und erzählt dort von seinem Leben unter der Besatzungsmacht Israel. Ein Alltag, der nicht nur seinen, sondern den tausender Palästinenser kompliziert und unmenschlich mache. Er wird bestimmt von einem System aus militärischen Gesetzen und Verordnungen, das sich seit der Eroberung der Gebiete 1967 immer weiter von fundamentalen Menschenrechten und internationalem Recht entfernt hat. Auch von den eigenen Ansprüchen: Israel hat den Palästinensern die Möglichkeit gegeben, vor dem Obersten Israelischen Gericht zivilrechtlich gegen Entscheidungen des Militärs vorzugehen. Das ist für eine Besatzungsmacht zwar einzigartig, hat für die Menschen praktisch jedoch wenig positive Auswirkungen. Denn die Sicherheit des Staates hat immer Priorität. Die Folgen: "Wir sprechen hier vom Verlust von Aufenthaltsgenehmigungen in Jerusalem, von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit, von der illegalen Enteignung von Land und der Zerstörung von Häusern", zählt Raffoul Rofa, Leiter der Organisation, auf. Des Weiteren gehe es um Sozialleistungen wie Arbeitslosen- und Krankenversicherung, um Renten und um das Recht auf Bildung für Kinder.
Von der Öffentlichkeit unbeachtet
Mohammed und Dena wollen für ihre Rechte kämpfen, auch wenn das nicht immer einfach ist. Denn abgesehen von den Nerven, kostet so ein Antrag auf Familienzusammenführung und alles, was damit zusammenhängt, "extrem viel Geld", sagt Anica Heinlein von der katholischen Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH), die für die Öffentlichkeitsarbeit bei der Society of St. Yves zuständig ist. Die Menschenrechtsorganisation setzt sich seit rund 20 Jahren vor Gericht für Menschen im annektierten Ost-Jerusalem und im besetzten Westjordanland ein. Im Team sind 20 Mitarbeiter, darunter sieben Anwälte. "Wir helfen kostenlos", sagt sie. Finanziert wird das Ganze von Organisationen aus dem Ausland, "vor allem jedoch von Deutschen" - etwa durch die AGEH, Misereor und Missio.
Ein großer Teil der Arbeit macht auch Aufklärung aus, um das Schlimmste zu verhindern. "Wir gehen in Schulen und klären Abiturienten über ihre Rechte auf, was sie tun sollen, und was nicht.“Eine andere Aufgabe ist Informationspolitik. Im Westjordanland wird jeden Tag internationales Recht verletzt", macht sie deutlich. Es brauche öffentlichen Druck, um Verbesserungen zu erreichen.
Positiv in die Zukunft blicken
Trotz dieser aussichtslos scheinenden Situation können Mohammed und Dena noch lachen. Man lerne, damit umzugehen, sagt er. Nur wenn es um seinen kleinen Sohn geht, wird es für den 33-Jährigen schwierig: Er wurde bei seiner Geburt nicht registriert, obwohl er in Jerusalem zur Welt kam. Ohne diese Registrierung jedoch ist das Kind nicht krankenversichert und hat keinen Zugang zu Schulbildung. Die Eltern müssen nun auch darum kämpfen und alles geht von vorne los: "Ich werde nicht nur seine Geburtsurkunde mitbringen müssen, sondern auch wieder sämtliche Rechnungen."