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Politik

Die Mafia dank Corona im Aufwind

Anabel Hernández
29. Juni 2020

Menschen haben ihre Arbeit verloren, Unternehmen stecken aufgrund der Lockdowns in massiven Schwierigkeiten. Optimale Voraussetzungen für die Organisierte Kriminalität, ihren Einfluss auszubauen, meint Anabel Hernández.

Italien Razzia in Sizilien gegen 'La Cosa Nostra'
Schlag gegen die "Cosa Nostra" auf Sizilien - Verhaftung in Palermo im April 2018Bild: Getty Images/AFP/A. Fucarini

Inmitten einer weltweiten Krise, hervorgerufen durch die COVID-19-Pandemie, müssen wir uns einem weiteren parasitären und nicht minder gefährlichem Gegner entgegenstellen: der Mafia. Aufgrund ihrer DNA und Anpassungsfähigkeit gehört die Mafia zu den gefährlichsten Parasiten unserer Zeit.

Nach gängiger wissenschaftlicher Definition ist ein Parasit ein räuberisches Lebenwesen, das in oder auf einem anderen Organismus und auf dessen Kosten lebt. Es vernichtet allmählich die Vitalität seiner Beute, ohne sie jedoch zu töten - zumindest nicht sofort. Der Parasit ist in der Regel kleiner und weniger entwickelt als sein Opfer, das als "Wirt" bezeichnet wird.

Schwache Antikörper

Kriminelle Gruppen wie die Mafia entsprechen der Definition eines Parasiten. Die Art und Weise, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben, schufen ein günstiges Umfeld für die effiziente Vermehrung und Verbreitung der Mafia-Parasiten. Fast wie beim Coronavirus - nur über einen längeren Zeitraum hinweg.

Ihr parasitäres Wesen hat es der Mafia ermöglicht, Gegenmaßnahmen zu neutralisieren und sich neuen Umständen anzupassen: Unternehmen, Familien, Einzelpersonen und ganze gesellschaftliche Schichten sind "Wirte", von denen sie sich ernähren.

Der individuelle Schmerz, die Einsamkeit, die Verzweiflung, die Wirtschaftskrise, die Armut und die zunehmende Ungleichheit, die durch die Pandemie-Maßnahmen ausgelöst werden, sowie der Eifer der Regierungen und transnationalen Interessengruppen, eine rasche wirtschaftliche Erholung herbeizuführen, verbessern die Möglichkeiten dieser Parasiten sich einzunisten und zu expandieren.

Wichtiger Schlag gegen die Mafia

Betroffen sich dabei nicht nur Länder, die aufgrund des Coronavirus in einer offensichtlich kritischen Situation sind oder waren - wie die USA, Brasilien, Mexiko, Italien, Frankreich, Großbritannien oder Spanien. Nein, betroffen ist die ganze Welt. Aufgrund der allgemein instabilen Lage sind alle anfälliger für den Befall durch diesen ganz speziellen Virus.

DW-Kolumnistin Anabel Hernández. Die mexikanische Journalistin und Buchautorin ist Trägerin des "Freedom of Speech-Awards" der Deutschen Welle 2019

Auf dem Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie erließ Richter Piergiorgio Morosini in Palermo im Mai einen Haftbefehl gegen 91 Mitglieder der kriminellen Organisation "Clan Fontana dell'Acquasanta", einer der stärksten Cosa-Nostra-Gruppen in Italien. Seit vielen Jahren kontaminiert diese kriminelle Bande die Wirtschaft der Regionen Lombardei - die am stärksten von COVID-19 betroffen ist -, Piemont, Ligurien, Venetien, Emilia Romagna, Toskana, Kampanien, Marken und Sizilien.

Der Fontana-Clan hatte seine Finger in allen möglichen Geschäften, so dass die polizeiliche Operation den treffenden Namen "Mani in pasta" trug - Finger im Teig. Der Clan wusch das Geld aus Erpressung und Drogenverkäufen durch den Verkauf von Luxusuhren wie Rolex und Cartier sowie von Diamanten, die in Deutschland und Japan gehandelt wurden. Auch im Pferderennsport mischte der Clan mit. Er besaß eigene Rennpferde und manipulierte durch Einschüchterung und Korruption die Ergebnisse der Rennen in verschiedenen Teilen Italiens. In der Bauindustrie und im Schifffahrtswesen zwangen sie Unternehmer dazu, Mafia-Leute einzustellen und ihnen saftige Gehälter ohne Gegenleistung zu zahlen.

Die Pandemie als Katalysator

Solche kriminellen Aktivitäten könnten während und nach der COVID-19-Pandemie noch weit schlimmer werden, sagt Richter Morosini. Seiner Meinung nach begünstigen die aktuellen Umstände die Gefahr, die vom Fontana-Clan ausgehe. Man darf davon ausgehen, dass dies in gleicher Weise für andere kriminelle Organisationen in der Welt gilt, zum Beispiel die mächtigen Drogenkartellen in Mexiko.

Bis heute der profitabelste Wirtschaftszweig in Italien - die Organisierte KriminalitätBild: picture-alliance/ROPI

In Palermo im Besonderen und in ganz Italien im Allgemeinen, so Morosini, bestehe durch die sozioökonomischen Probleme ein "günstiges Umfeld" für kriminelle Gruppen. Auf der einen Seite gebe es viele Menschen, die ihre Arbeit verloren haben oder in der informellen Wirtschaft tätig sind, und sich kaum ernähren könnten. Dies führe den Clans neue Helfer zu - angelockt entweder durch Lebensmittel oder kleine Geldgeschenke.

Auf der anderen Seite gebe es viele kleine und mittlere Unternehmen, die durch die pandemiebedingte lange Einschränkung ihrer Geschäfte in wirtschaftliche Not geraten seien. Kriminelle Organisationen hielten nach solchen Unternehmen Ausschau und böten ihnen Gelder an, die ihnen eine vorübergehende Liquidität verschafften, sie aber kurz- und mittelfristig zu Opfern von Wucher, Diebstahl, Erpressung machten und zur Übertragung ihrer Güter zwinge.

Eine globale Herausforderung

Dieses Szenario ist brutal und entmutigend. Wenn dies die Risiken für ein Land wie Italien sind, das eigentlich über ernst zu nehmende Institutionen verfügt, um kriminellen Aktivitäten entgegenzuwirken, dann kann man sich ausmalen, was dies für viele Länder in Lateinamerika bedeutet: Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Venezuela - um nur einige zu nennen. Oder auch für Afrika und viele andere Regionen mit weniger stabilen und deutlich korrupteren Staaten.

Als Gesellschaft und als Individuen müssen wir bereit sein, uns diesen Herausforderungen zu stellen. Und wir müssen darauf achten, dass die Behörden sich dieser neuen Risiken bewusst sind und den parasitären Organisationen entgegenwirken. Jenseits der Arbeit von Regierungen und Behörden muss aber auch jeder Einzelne dazu beitragen, den Einfluss dieser kriminellen Gruppen auf unser Leben zu verringern. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir zu "Wirten" dieser Parasiten werden und sie sich von dem Leben und den Hoffnungen ernähren, die uns in der Krise geblieben sind.

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