Die Mauer bleibt hier!
10. März 2013Im Sommer 1987 hielt der damalige US-Präsident Ronald Reagan eine Rede am Brandenburger Tor, die in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Er forderte den sowjetischen Machthaber Michail Gorbatschow auf, ein Zeichen für die Liberalisierungsbestrebungen im kommunistischen Osteuropa zu setzen: durch die Zerstörung des sichtbarsten Merkmals des Eisernen Vorhangs. Reagans Rede endete mit den vier berühmtesten Worten seiner Präsidentschaft: "Tear down this wall!" - "Reißen Sie diese Mauer ein!"
Niemand hätte sich damals vorstellen können, dass 26 Jahre später Tausende Berliner sich vor den Resten dem einst verhassten Bauwerk versammeln würden demonstrieren würden, mit der Forderung an die Hauptstadtpolitiker. "Lasst die Mauer stehen!" Bereits am vergangenen Montagmorgen (04.03.2013) verhinderten rund 100 Demonstranten, dass Bauarbeiter etwa 23 Meter der sogenannten "East Side Gallery" abreißen konnten. Es ist der längste noch erhaltene Abschnitt der Berliner Mauer, auf dem sich Künstler aus der ganzen Welt mit Bildern verewigt haben. Das 23 Meter lange Stück sollte einige Meter entfernt wieder aufgestellt werden. Der Protestaktion war eine weit größere Demonstration vorausgegangen, bei der rund 6000 Menschen gefordert hatten, die Finger von der East Side Gallery zu lassen.
Obwohl die 1,3 Kilometer lange East Side Gallery unter Denkmalschutz steht, hatten die städtischen Behörden dem Teilabriss zugestimmt oder möglicherweise sogar gefordert. Denn auf der grünen Wiese zwischen der Spree und der Mauer soll ein Hochhaus mit Luxuswohnungen entstehen. Hier verlief einst der Todesstreifen. Ein Grenzabschnitt, in dem auf jeden geschossen wurde, der versuchte, nach Westberlin zu flüchten. Die jetzt geplante Lücke in der East Side Gallery würde den künftigen Bewohnern der Luxusapartments einen besseren Zugang zu der Straße ermöglichen, an der die Mauer steht.
Ein unersetzliches Denkmal
Touristen und Berliner lieben die East Side Gallery. Rund 800.000 Besucher kommen im Jahr hierher. Mit ihrer schlichten Authentizität steht die Gallery in starkem Kontrast zu anderen Touristenattraktionen, die über die frühere Ost-West-Teilung der Stadt informieren. Am Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie, wo Schauspieler in Sowjet-Uniformen Grenzsoldaten mimen, fühlt man sich eher an Disneyland erinnert, als an dieses ernüchternde Kapitel deutscher Geschichte. Es gibt noch weitere Orte in Berlin, die an die Teilung der Stadt erinnern. Aber in vielen Vierteln fernab der touristischen Pfade kann man leicht vergessen, dass auch dort früher die Mauer stand. Die East Side Gallery ist nicht nur das längste noch erhaltene Stück der Berliner Mauer - es ist auch ihr fassbarstes Mahnmal.
"Die Mauer steht für mich für die besondere Geschichte dieser Stadt, eine Geschichte, die sehr brutal, aber mittlerweile fast komplett unsichtbar ist", sagt die 25-jährige Berlinerin Marieke Krämer. "Wenn die Mauer in Stücke zerlegt wird, dann ist auch die Wirkung nicht mehr so groß. Deswegen muss das Denkmal ganz bleiben."
Die stellvertretende Vorsitzende der Stiftung Berliner Mauer und ehemalige DDR-Bürgerin Maria Nooke sagt, dass die Mauer für Ostdeutsche ein unantastbares Symbol der kommunistischen Unterdrückung war. Nach dem Mauerfall war es unfassbar einfach, über die Grenze zu spazieren, und zu sehen, wie nahe man dem Westen die ganze Zeit war. Die East Side Gallery solle als Symbol für diese besondere Erinnerung erhalten bleiben.
"Ich finde, dass das Grenzgebiet der Berliner Mauer nicht für Grundstücksspekulationen oder als Geldquelle für die Stadt da ist", sagt Nooke. "Das ist ein historischer Ort, an dem die Stadt mehr als 28 Jahre lang geteilt war. Das war nicht nur für Berlin von großer Bedeutung, sondern für die ganze Welt. Das kann man nicht einfach ignorieren, um ein hübsches Haus zu bauen."
Angst vor Gentrifizierung befeuert die Diskussion
Der Stolz auf das Denkmal East Side Gallery ist der Hauptgrund für den massiven Widerstand gegen die geplanten Veränderungen. Einige Aktivisten lehnen schon lange jegliche Baumaßnahmen an der Spree ab, aber ihr Anliegen hatte nur geringe Unterstützung in der Bevölkerung - bis es der East Side Gallery ans Fundament gehen sollte. In der Woche vor Abrissbeginn waren die Berliner Zeitungen voll mit Kommentaren, die sich dafür aussprachen, dass Stadtbehörden und Bauunternehmer einen anderen Ort für das Projekt finden.
Die Empörung ist auch deshalb so groß, weil viele Berliner fürchten, der momentane Bauboom könnte die Seele der Stadt zerstören. Im East-Side-Gallery-Viertel Friedrichshain hat die sogenannte Gentrifizierung, also die Verdrängung der dort ansässigen Bevölkerung durch Wohlhabende, bereits zu deutlichen Veränderungen in dem Stadtteil geführt: Das O2-World-Stadion ist entstanden, wo schon Beyoncé und Lady Gaga aufgetreten sind, und der Musikvideosender MTV Europe hat hier jetzt seine Zentrale.
Die Gentrifizierung hat zwar neues Leben ins Viertel gebracht, rief aber auch gewalttätige Proteste hervor. Als 2011 das bekannteste besetzte Haus Friedrichhains in der Liebigstraße 14 geräumt wurde, lieferten sich linke Unterstützer gewalttätige Kämpfe mit der Polizei. Vergangenen Sommer griffen radikale Gentrifizierungsgegner ein neues Hotel im Stadtteil an, warfen Fenster mit Feuerlöschern ein und beschmierten die Wände mit Farbe. Die Bewegung zum Schutz der East Side Gallery ist bisher friedlich, obwohl Demonstranten in den vergangenen Tagen ihre Körper einsetzten, um Baufahrzeuge zu stoppen.
Gegenseitige Schuldzuweisung
Maik Uwe Hinkel ist Geschäftsführer von "Living Bauhaus", dem Unternehmen, das hinter den Bauplänen für die Luxus Apartments steht. Der Makler sagt, dass er und seine Firma zu Unrecht als die Bösen hingestellt werden, da es schließlich die Stadt war, die die Lücke in der Mauer wollte. Laut Living Bauhaus sollen die Pläne bei einer öffentlichen Versammlung diesen Monat diskutiert werden. Immobilien Projekte an der Spree könnten der Stadt neue, dringend benötigte Steuereinnahmen bringen. Und die Planer behaupten, ihre Projekte würden dem Charakter des Viertels und der East Side Gallery nicht schaden.
Friedrichshains Bezirksbürgermeister, Franz Schulz von den Grünen, wird beschuldigt, nicht genug gegen die Bewilligung des Bauprojekts getan zu haben. Er war aber auf der Demonstration am Sonntag und betonte, er sei aufseiten der Demonstranten. Die ersten Pläne für Bauprojekte am Flussufer gab es bereits 1992. Schulz erklärt die aktuelle Lage damit, dass die Mauer direkt nach der Wiedervereinigung 1990 als Ärgernis angesehen wurde. Sie galt als Hindernis für Fortschritt und sollte so schnell wie möglich beseitigt werden. Unter dieser Mentalität wurde der ehemalige Todesstreifen zum Baugebiet erklärt.
Es sei zwar gut, sagt Bezirksbürgermeister Schulz, dass Leute für den Erhalt der East Side Gallery demonstrieren. Das allein reiche aber nicht. Nur wenn schnell gemeinsam mit der Berliner Landesregierung ein Ergebnis gefunden werde, könne man eine Lösung bekommen, die die Friedrichshainer wollen.