Die Medien im Krieg
21. Juli 2014Wer gegen die Offensive im Gazastreifen ist, der hat es in den israelischen Medien schwer. In der Regel kann er höchstens einen einzigen Satz sagen, bevor er unterbrochen wird. Nicht nur die anderen Diskussionsteilnehmer fallen ihm - oft ausgesprochen rüde - ins Wort. Auch die Moderatoren dulden in der Regel keine abweichenden Meinungen. Wenn einer der wenigen Dissidenten dann doch versucht, seine Meinung vorzutragen, endet das meist nach ähnlichem Muster.
Im Fernsehstudio sitzen ein Journalist und ein Radiomoderator, und zwischen ihnen Jehuda Shaul von "Breaking the silence", einer Organisation von ehemaligen Soldaten, die gegen die Besatzung sind. Er kündigt für den Abend eine Demonstration gegen die Militäroffensive an und fängt sich damit die Kritik des Radiomoderators ein. "Du bist eine Jude und solltest dich schämen. Du solltest deine Uniform anziehen und in den Gazastreifen gehen und nicht in Fernsehstudios sitzen und Demonstrationen organisieren", schreit ihn der Radiomoderator Sharon Gal an.
Die Nerven liegen blank - Ein Land in Krisenstimmung
Zugeschaltet ist der arabische Knessetabgeordnete Muhammad Barakeh. Auch er zieht den Zorn des Radiojournalisten auf sich. "Sie sind ein Lügner, sie sind ein Verbrecher, und sie sollten hier gar nicht reden dürfen. Treten Sie doch im Hamas-Fernsehen auf. Sie unterstützen die Hamas!", wirft ihm Gal eine wahre Hasstirade an den Kopf.
Israel in diesen Tagen. Das ganze Land ist in Krisenstimmung. Die drei Fernsehkanäle - ein staatlicher und zwei private - senden rund um die Uhr. "Ein Staat unter Feuer" heißt die reißerische Schlagzeile.
Für viel Wirbel hat in den vergangenen Tagen der Journalist Gideon Levy gesorgt. Er hat in der israelischen Tageszeitung "Haaretz" einen Artikel geschrieben, in dem er die Piloten der Luftwaffe für ihre Einsätze über dem Gazastreifen kritisiert. Levy schreibt: "Sie haben nie ein feindliches Flugzeug gesehen - der letzte Luftkampf der israelischen Luftwaffe fand statt, bevor sie geboren wurden. Sie haben niemals das Weiße in den Augen ihres Feindes gesehen und nie das rote Blut ihrer Opfer aus der Nähe. Sie sind Helden, die die schwächsten und hilflosesten Menschen bekämpfen. Menschen, die keine Luftwaffe haben, keine Luftabwehr, die kaum einen Drachen steigen lassen können."
Nestbeschmutzung der unantastbaren Helden
Der Artikel löste einen Sturm der Entrüstung aus. Kampfpiloten gelten in Israel als unantastbare Helden. Nur die Besten der Besten, so die Überzeugung, schaffen die mühsame und langwierige Ausbildung zum Kampfpiloten, sie sind die Elite in der militaristischen Gesellschaft des Landes. Levys Artikel, geschrieben nachdem in Gaza die 21 Mitglieder der Familie des Polizeichefs als Kollateralschaden ums Leben gekommen waren, gilt als Nestbeschmutzung und unverzeihliches Sakrileg.
In Talkshows und Interviews versucht der Journalist seither seine Position zu erklären. "Die meisten Israelis sind den Bildern aus Gaza leider nicht ausgesetzt und sehen gar nicht, was dort geschieht", sagt er während seiner Fernsehschalte. In den letzten Tagen seien Tod und Zerstörung in einem fürchterlichen Ausmaß passiert und jemand trage dafür die Verantwortung, fährt Levy fort. "Nicht nur die Piloten allein sind dafür verantwortlich, aber sie auch. Und man muss sich fragen, ob denn keiner dafür die moralische Verantwortung übernimmt."
Von Umstehenden zum Abbruch gezwungen
Als Levy diese Worte sagte, stand er in Ashkelon, einer der Städte, die in den letzten Wochen besonders häufig mit Raketen aus dem Gazastreifen angegriffen wurden. Vor einem Einkaufszentrum stehend wurde er in das Fernsehstudio zugeschaltet. Doch Levy konnte nicht lange reden. Dann wurde er von Umstehenden unterbrochen. "Du bist ein Verräter. Du nennst unsere Piloten Mörder. Schämst Du dich nicht? Du darfst hier nicht reden", werfen ihm die Umstehenden an den Kopf.
Der Moderator im Studio musste das Gespräch abbrechen, denn immer mehr Personen gesellten sich hinzu und stimmten in die Beschimpfung mit ein. Levy schrieb später - in einem weiteren Artikel in "Haaretz", er sei fast gelyncht worden. "Meine besten Freunde haben mich gedrängt, das Land zu verlassen bis die Lage sich beruhigt hat, vorsichtig zu sein oder wenigstens zu Hause zu bleiben", schreibt er.
Doch Levy bleibt nicht zuhause und verlässt auch nicht das Land. Stattdessen stellt er sich weiter den Fragen der Talkshowmoderatoren und kämpft für seine Überzeugung. "Ich frage euch: es gibt einen solchen starken und einheitlichen Chor in den Medien, warum stört euch eine einzige Stimme, ein bloßes Echo, das davon abweicht? Warum löst das einen solchen Sturm aus? Warum?"