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Die nackte Botschafterin

Oliver Samson13. Juni 2003

Die Büste der Königin Nofretete ist nicht nur ein Symbol der weiblichen Schönheit an sich, sie ist eine nationale Ikone Ägyptens. Ausgestellt ist sie aber in Berlin - ein dauerhafter Schmerz für die ägyptische Seele.

Bild: AP

Es mühen sich inzwischen Generationen von Ägyptologen, doch nach wie vor weiß man wenig über die legendäre Königin Nofretete. Sie war die Frau des "Ketzer-Pharaos" Echnathon und hatte mit ihm sechs Kinder. Mehr an gesicherten Erkenntnissen gibt es nicht. Auch die berühmte Büste der Königin läßt viele Fragen offen: Man weiß, dass der Bildhauer Thutmoses sie um 1372 vor Christus schuf - doch wozu diente sie? War sie ein Objekt des Pharaonenkults oder Modell für eine ganze Serie von Plastiken? Sicher ist nur, dass die Nofretete eines der berühmtesten Kunstwerke überhaupt ist - und dass sie in Ägypten wie eine Nationalheilige verehrt wird.

Ägyptischer Phantomschmerz

Dass die Nofretete im fernen Berlin steht, löst bei den Ägyptern eine Art Phantomschmerz aus. Dieser Schmerz kann sich auch in starken Emotionen ausdrücken - wie momentan gerade zu beobachten. Seit Anfang Juni 2003 bekannt wurde, dass die Nofretete in Berlin für ein ungarisches Kunstprojekt benutzt wurde, schäumen ägyptische Medien und Offizielle. Der Grund: Die Büste war für Videoaufnahmen kurzzeitig und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen auf einen nackten Frauen-Torso gesetzt worden. Die Videos der Aktion werden in Venedig auf der Biennale zu sehen sein.

"Beleidigung der ägyptischen Geschichte"

Von ägyptischer Seite wurden die Aufnahmen in die Nähe der Blasphemie gerückt: "Königin Nofretete nackt in einem Berliner Museum", titelte - stellvertretend für viele - die Zeitung "El Akhbar el Jom". Und Sahi Hawas, der umstrittene Chef der Antikenverwaltung, sprach von einer "verrückten Aktion", von "Beleidigung der ägyptischen Geschichte" und dass die Nofretete in Berlin nicht in sicheren Händen sei. Und Kulturminister Faruk Husni dachte laut über die Rückkehr der Nofretete nach Ägypten nach.

Husni konnte sich sicher sein, dass er damit Punkte in der ägyptischen Öffentlichkeit macht - und in Berlin Kopfschütteln auslöst. Denn der Forderung nach einer Rückgabe ist man von deutscher Seite inzwischen überdrüssig. Sie kommt zwar nicht "jedes Jahr", wie Dietrich Wildung, der Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, meint, aber doch regelmäßig, seitdem die Büste 1924 erstmals in Berlin ausgestellt wurde. Dies hatte in Ägypten einen Schrei der Empörung ausgelöst. Es wurde behauptet, die Nofretete sei unter unrechtmäßigen Bestimmungen nach Deutschland gelangt. Eine Behauptung, die seitdem immer wieder aufgewärmt, aber dadurch nicht richtiger wird.

Im Gegensatz zu vielen tatsächlich geraubten Kunstwerken gibt es am rechtlichen Status der Nofretete nicht viel zu deuteln: Die Nofretete-Büste aus der Echnaton-Residenz Tell el Amarna war 1912 von deutschen Archäologen unter der Leitung von Ludwig Borchart ausgegraben worden. Sie wurde 1913 bei der vereinbarten Teilung des Fundes von ägyptischen Fachleuten offiziell der deutschen Seite zugesprochen - juristisch bombensicher.

Hermann Göring und die Nofretete

Nur einmal schien die Rückkehr der Königin in ihr Reich tatsächlich greifbar nahe - 1933, zu Beginn des Nationalsozialismus in Deutschland. Zum Jahrestag des Regierungsantritts von König Fuad I. von Ägypten wollte ausgerechnet der neue preußische Ministerpräsident Hermann Göring, der in späteren Jahren in unvergleichlichem Ausmaß Kunst aus ganz Europa raubte, die Nofretete an Ägypten zurückgeben. Den darauf folgenden Machtkampf in der NS-Elite beendete schließlich Hitler, der von einer Rückgabe nichts wissen wollte und stattdessen ein eigenes Museum für die berühmte Königin in seiner zukünftigen Welthauptstadt Germania ins Gespräch brachte.

Beste Botschafterin

Im heutigen Berlin bemüht man sich unterdessen, die Wogen nicht weiter überschwappen zu lassen. Nachdem der ägyptische Botschafter, Mohamed El-Orabi, sich vom unversehrten Zustand der Nofretete überzeugt hatte, sicherte er zu, er wolle sich persönlich für eine nüchterne Betrachtung der Situation einsetzen. Man habe ein sehr gutes Verhältnis zum Ägyptischen Museum in Berlin und wolle sich nicht weiter zu der Affäre äußern, teilte die Botschaft Ägyptens auf Anfrage von DW-WORLD mit. Gern verweist man auch darauf, dass Staatspräsident Husni Mubarak 1989 die Büste besichtigte und meinte, Nofretete sei die "beste Botschafterin Ägyptens" in Berlin.

Grabkammer von Königin Nofretete in LuxorBild: AP

Unabhängig, aber doch passgenau zur laufenden Empörung gab die Archäologin Joann Fletcher von der britischen Universität York vor wenigen Tagen bekannt, dass sie in einem Grab im Tal der Könige bei Luxor die Mumie der legendären Königin Nofretete entdeckt haben will. Die auf Indizien gestützte Behauptung Fletchers wird allerdings von Fachkollegen massiv angezweifelt. Nichts zu zweifeln gibt es aber daran, dass der angebliche Fund unter Ägyptologen zu endlosen Diskussion und Spekulationen führen wird. Warum sollte es den Überresten der Königin auch anders gehen als ihrem berühmten Abbild?

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