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Digitale Abstinenz

Silke Wünsch20. Juni 2013

Vielleicht gibt es bei uns doch noch eine eingebaute Online-Bremse: Wir sind noch in der Lage, das digitale Leben zu vergessen, wenn statt Internet ein ordentliches Stück Natur vorhanden ist.

Route des Crêtes mit Blick in die Verdonschlucht. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Route_des_Cr%C3%AAtes-Gorges_du_Verdon_Ost.jpg
Blick in die VerdonschluchtBild: cc-by-nc-sa3.0/Tobi 87

Die Sonne steht schon tief und taucht die 300 Meter hohe Felswand in ein rot-oranges Farbenmeer. Oben schwebt ein Lämmergeier am Grat entlang, auf der Suche nach Beute. Der Wind streicht durch die Blätter der Bäume und Büsche, hinten rauscht ein klarer Bach. Dieses Hochplateau ist ein mystischer Platz. Ich greife in meinen Rucksack, hole mein Smartphone heraus und mache ein Foto. Will es in Instagram bearbeiten und direkt bei Facebook posten. Das klappt nicht. Ach ja, hier oben gibt es ja gar kein Netz.

Eigentlich müste ich bloggen. Denn ich habe einer Gruppe Gleichgesinnter versprochen, das mindestens einmal pro Woche zu tun. Ich habe mir tatsächlich vorgenommen, das auch in meiner einen Woche Urlaub in den Kalkfelsen der Haute Provence zu tun. Das würde allerdings mit sich bringen, dass ich einen Ort wie diesen verlassen müsste, um mir irgendeinen WLAN-Hotspot in irgendeinem Café zu suchen, mich - vielleicht bei einem erfrischenden Getränk - mit meinem Tablet dort hinzusetzen und zu sinnieren, was ich der digitalen Welt zu Hause denn nun mitteilen möchte.

Ich muss dazu sagen: Ich betreibe kein Reiseblog. Es ist eher ein gemischtes Blog. Aber bitte, muss ich jetzt tatsächlich von diesem wunderbaren Platz, den ich nur sehr selten besuche, weggehen, um der vergleichsweise schnöden Alltagstätigkeit nachzugehen - also: Wörter in Tastaturen tippen und diese dann dem Rest der Welt zukommen lassen? Soll ich twittern?

Nein, ich klinke mich aus. Und mache das die ganze Woche lang. Zwischendurch, beim Einkauf, begegnet mir doch hin und wieder ein funktionierendes Internet. Dann poste ich einen Fotogruß auf Facebook und gucke mal schnell, ob es allen gut geht. Aber Vorsicht, nicht zuviel, sonst ist das Datenkontingent für den Tag erschöpft. Dann wird das Internet langsam oder auch teuer. Das Geld investiere ich lieber in die Kasse meines kleinen Bloggervereins, der fünf Euro von mir kassiert, wenn ich eine Woche lang nichts schreibe. Das mache ich gerne.

Bild: DW

Wieder zu Hause, ins Büro und in die digitale Welt zurückgekehrt, resümiere ich, dass ich das Tablet in der vergangenen Woche nur ein einziges Mal angemacht habe: Um zu lesen - ich nutze es als E-Book-Reader. Schön in der Hängematte zwischen schattigen Bäumen. Im Netz war ich ganze fünf Mal. Für ein paar Facebook-Grüße und die Wetterprognose.

Es ging also FAST ohne. Vielleicht versuche ich es im nächsten Urlaub auch mal ganz ohne. Oder machen sich die Leute zu Hause dann Sorgen? Was ist los, du postest ja gar nichts mehr auf Facebook!??? Was ist mit deinem Twitteraccount los?

Am Schreibtisch richte ich mir das Handyfoto vom Hochplateau als Desktop-Hintergrund ein. Und fange an zu arbeiten. 345 ungelesene Mails. Der digitale Alltag hat mich wieder.


Silke Wünsch ist Redakteurin der Seite "Digitales Leben". Eines Tages wurde sie gefragt, ob sie diese Seite gerne betreuen möchte. Sie sagte: "Nun, ich bin bei Facebook und liebe hübsche Computer aus Cupertino, warum eigentlich nicht?" Und schon hatte sie den Job. Nachdem DW-Netzkolumnist Marcus Bösch seine letzte Digitaliät an dieser Stelle abgelegt hat, ist sie nun in die Rolle des Internet(volk)studierers und Zeitgeistkommentators geschlüpft.

Bild: DW / Christel Becker-Rau
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