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Corona-App: Ist Europa nicht so wichtig?

16. Juni 2020

Die Corona-Warn-App soll Infektionsketten nachvollziehbar machen, funktioniert aber nur in Deutschland, nicht im Rest der EU. Zuvor war ein europäischer Ansatz gescheitert. Ein Gespräch mit dessen Initiator Chris Boos.

Corona Warn App
Bild: picture-alliance/Eibner-Pressefoto/S. Walther

Deutsche Welle: Herr Boos, seit heute gibt es die offizielle deutsche Corona-Warn-App zum Download. Haben Sie die schon heruntergeladen?

Chris Boos: Ja, noch vor der Pressekonferenz. Und ich habe auch schon getwittert, dass es bitte jeder andere auch tun sollte.

Was war Ihr erster Eindruck?

Die App macht, was sie sagt. Sie verleitet einen ja nicht dazu, ständig reinzuschauen, sie läuft ja einfach nur im Hintergrund.

Im April waren Sie Mitinitiator und Koordinator von PEPP-PT. Das war eine Initiative, die Forschungseinrichtungen und Firmen aus zahlreichen europäischen Ländern zusammenbrachte. Ziel war es, einen europäischen Standard zu schaffen, auf dem dann jedes Land seine eigene Corona-App aufsetzen könnte. So sollte es möglich werden, Infektionsquelle europaweit nachzuvollziehen. Woran ist dieses Projekt gescheitert?

Gescheitert würde ich jetzt nicht sagen. Der Kern des PEPP-PT-Projekts war ja, Interoperabilität herzustellen, also dafür zu sorgen, dass die verschiedenen nationalen Corona-Apps reibungslos miteinander funktionieren. Das wurde dann übertragen an eine Arbeitsgruppe beim Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI), die sich nun damit beschäftigt.

Es gab eine Zweiteilung in Systeme mit zentraler und mit dezentraler Datenspeicherung, die nicht unter einen Hut definiert wurden. Deshalb muss die Interoperabilität nun im nächsten Schritt hergestellt werden. Aber die Diskussion hat begonnen, das kommt alles.

Wollte einen europäischen Standards für Corona-Apps etablieren: IT-Unternehmer Chris BoosBild: Matt Greenslade/photo-nyc.com/ arago GmbH

Die Frage der Datensicherheit hat in Deutschland lange die Diskussion beherrscht, also ob die Daten zentral oder dezentral gespeichert werden sollen. Sie sagten damals, das müsse jedes Land für sich entscheiden. Wichtig sei aber, dass die verschiedenen Varianten miteinander funktionieren. Ist das jetzt überhaupt noch möglich?

Selbstverständlich. Das ist ein technisches Problem und die Ingenieure werden da sicher eine Lösung finden. Weil es jetzt ein standardisiertes Verfahren ist, wird die Lösung noch ein wenig dauern. Aber es wird bereits daran gearbeitet. Bis dahin wird man wohl noch mehrere Apps brauchen, wenn man in verschiedenen Ländern unterwegs ist.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, die Länder der EU haben sich heute auf technische Standards geeinigt, damit ihre nationalen Apps grenzüberschreitend laufen können. Im Moment ist das aber nicht der Fall. Wenn ich mit der deutschen App nach Frankreich fahre, funktioniert die dort nicht.

Ja, wer nach Frankreich fährt, braucht die französische App. Und wer nach Italien fährt, braucht auch die italienische App, selbst wenn dort die gleichen Standards genutzt werden. Das ist noch nach Regionen sortiert. Es war erst einmal wichtig, all die Apps online zu bringen. Das Thema Interoperabilität, das uns bei PEPP-PT so wichtig war, wird erst im nächsten Schritt bearbeitet.

Fast alle Smartphones auf der Welt laufen mit den Betriebssystemen der Firmen Apple und Google, also iOS und Android. Telekom-Chef Tim Höttges hat diesen Firmen heute ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Corona-Warn-App gedankt. Nun waren Apple und Google schon früh gegen eine zentrale Datenspeicherung, anders als die Bundesregierung, die auf eine zentrale Speicherung setzte. Dann machte die Bundesregierung eine 180-Grad-Wende und entschied sich für den dezentralen Ansatz. Welche Rolle haben Apple und Google dabei gespielt?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, bei dem Gespräch war ich nicht anwesend. Aber beide Ansätze haben Vor-und Nachteile. Die dezentralen Varianten sind beim Datenschutz ein bisschen besser, dafür liefern sie weniger Daten für die Auswertung, so dass man im Zweifelsfall mehr Leute in Quarantäne schickt. Die zentralen Ansätze könnten beim Datenschutz noch besser sein.

Eigentlich sollte es in einem demokratisch legitimierten Land kein Problem sein, wenn anonyme Kontaktdaten auf einem staatlichen Server gespeichert werden. Trotzdem hat das in Deutschland für einen großen Aufschrei gesorgt. Ich finde, die Regierung hat hier das Richtige getan und ihre Strategie geändert, denn es ist ja die Aufgabe von Regierungen, das Volk zu repräsentieren. In anderen Ländern gibt es dagegen zentrale Lösungen. Regierungen müssen die Wahl haben.

Frankreich ist bei seiner ursprünglich geplanten zentralen Datenspeicherung geblieben. Die französische App "Stop Covid" ist sogar schon seit Anfang Juni erhältlich. Kennen Sie die?

Selbstverständlich habe ich die auch ausprobiert. Letztlich sehen die Apps alle ganz ähnlich aus. Aber um noch einmal auf Apple und Google zurückzukommen. Ich war bei den Gesprächen ganz am Anfang dabei, und ich bin überzeugt, dass diese Firmen helfen wollten. Doch sie haben eine globale Sicht, und global gesehen gibt es sicherlich Staaten, denen man zentral gespeicherte Daten lieber nicht anvertrauen sollte. Ich kann also die Position der Unternehmen gut nachvollziehen.

Der Sinn und Zweck einer Corona-Tracing-App ist es, Infektionsketten besser nachvollziehbar zu machen. Die EU-Staaten haben begonnen, ihre Grenzen langsam wieder zu öffnen. Was sagt das Fehlen einer europaweit funktionierenden Corona-App über den Umgang der EU mit der Pandemie aus?

Für die Benutzer heißt das zunächst einmal, dass sie mehrere Apps brauchen, je nachdem, in wie viele Länder sie reisen. Und die EU ist nicht gerade für ihre Geschwindigkeit bekannt - dafür aber für Lösungen, die halten. In der öffentlichen Debatte hat man sich sehr klar dafür entschieden, dass man volle Transparenz und maximalen Datenschutz wünscht. Das sieht man auch an den Diskussionen, die jetzt in der EU und im EU-Parlament stattfinden. Demokratisch macht das Sinn. Aber wenn man das so will, darf man sich nicht darüber beklagen, dass es etwas länger dauert.

 

Chris Boos ist IT-Unternehmer, Investor und Mitglied im "Digitalrat", der die Bundesregierung berät. Das von ihm mitinitiierte Projekt PEPP-PT ("Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing") sah vor, einen EU-weiten Standard für eine Corona-Tracing-App zu entwickeln. Ursprünglich setzte Boos wie die Bundesregierung auf eine zentrale Datenspeicherung. Nach einer intensiven Debatte über Datenschutz änderte die Bundesregierung ihre Position und beauftragte die Konzerne Deutsche Telekom und SAP mit der Entwicklung der Corona-Warn-App.

Das Gespräch führte Andreas Becker.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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