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Politik

Die neue deutsch-französische Liebe

Barbara Wesel
23. Juni 2017

Angela Merkel spricht auf dem EU-Gipfel von Optimismus, Emmanuel Macron will Europa voranbringen. Selbst die gemeinsame Verteidigungspolitik kommt voran. Und der Brexit wird zur Nebensache.

EU Gipfel Emmanuel Macron Angela Merkel und Theresa May
Bild: Reuters/F. Lenoir

EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach von einem "historischen Schritt", auch Frankreichs junger Präsident bemühte gleich die Geschichte. Nur die Bundeskanzlerin in der ihr eigenen Nüchternheit beließ es bei einer "neuen Qualität der Zusammenarbeit". Der große europäische Sprung nach vorn fand bei der Verteidigungszusammenarbeit statt, die von den Briten jahrelang blockiert wurde, jetzt nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich aber freie Bahn hat. "Wir arbeiten mit Deutschland Hand in Hand", sagte Emmanuel Macron dazu, und Angela Merkel lobte, "die deutsch-französische Kooperation bringt gute Ergebnisse". 

Was ist ein "PESCO"?

Die EU-Formel steht für "ständige verstärkte Zusammenarbeit" und ermöglicht es Mitgliedsstaaten, auf bestimmten Gebieten enger zusammenzuarbeiten, ohne dass alle zustimmen oder mitmachen müssen. Kommissionschef Jean-Claude Juncker wurde gar poetisch und nannte diese Klausel die "schlafende Prinzessin des Lissabon-Vertrages (…), die jetzt erwacht" sei. Ungewöhnlich, dass aus Verteidigung so viel Inspiration entspringt. Aber die entspannte Stimmung auf diesem weitgehend konfliktfreien Gipfeltreffen schien auch die Beschlüsse zu beflügeln: Schon nach wenigen Stunden war das meiste vom Tisch geräumt, das hat man seit Jahren nicht erlebt.

Bereits in drei Monaten soll die Verteidigungszusammenarbeit beschlussfertig, finanziert und startklar sein. Dazu gehören auch gemeinsame EU-Kampfeinheiten und ein Verteidigungsfonds bei der EU Kommission, aus dem Rüstungsforschung wie etwa die Entwicklung von Drohnen bezahlt werden soll. Polen meldete sich bereits zu Wort und will - verunsichert wohl von US-Präsident Donald Trump - bei der gemeinsamen Verteidigung nun doch mitmachen: "Polen ist bereit, sich zu beteiligen", sagte Premierministerin Beata Szydlo. In der Vergangenheit hatte sich Warschau stets auf die NATO berufen und bei der Verteidigung vor allem nach Washington geschaut.

Frankreichs Präsident Emmanuel MacronBild: Reuters/G. Fuentes

Kritik kommt von den Grünen im Europaparlament: "Wieso müssen die europäischen Etats für Forschung und Mittelstand (…) zur Ader gelassen werden? Statt zum gemeinsamen Vorteil zu sparen, widmet man Mittel aus dem EU-Haushalt so um, dass es allen schadet", sagt Reinhard Bütikofer. Aber auch er lobt die Schritte zu mehr Gemeinsamkeit bei der Verteidigung, man könne dadurch pro Jahr 25 bis 100 Milliarden Euro einsparen.

Die geplante Verlängerung der Russland-Sanktionen wurde ebenfalls beschlossen: Die EU stellt weiter Mängel bei der Einhaltung des Minsker Abkommens fest. Auch dieses deutsch-französische Projekt der gemeinsamen Außenpolitik will Emmanuel Macron weiter mit Angela Merkel gemeinsam verfolgen, die auch hierbei die Zusammenarbeit mit Frankreich lobte. Ebenso unstrittig wurde eine Stellungnahme zur Bekräftigung des Pariser Klimaabkommens verabschiedet. Donald Trumps Wunsch nach Neuverhandlungen wird rundweg abgelehnt. Gleichzeitig stellte die Kanzlerin ihre Tagesordnung für den G-20 Gipfel im Juli in Hamburg vor, ihr liegt daran, die europäischen Partner besonders beim Thema Handel einzubinden.

Es geht um die Zukunft der EU-27, nicht den Brexit

Die Kanzlerin hatte schon beim Beginn des Gipfels klar gemacht, dass sie die Zukunft der EU-27 und weniger das Gezerre um die Brexit-Verhandlungen wichtig findet. Die britische Premierministerin bekam daher erst beim Abendessen Zeit, ihre Kollegen über ihre Absichten zu informieren und vor allem das von britischer Seite angekündigte "großzügige Angebot" zu den künftigen Rechten von EU-Bürgern vorzustellen. "Kein in Großbritannien ansässiger EU-Bürger wird nach dem Brexit ausgewiesen", wurde dazu hinterher aus britischen Regierungskreisen zitiert. Im Prinzip soll das nur für Menschen gelten, die schon seit fünf Jahren dort leben. Allerdings soll anderen noch erlaubt werden, in einer zweijährigen Übergangsperiode eine dauernde Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen und die nötigen fünf Jahre danach aufzubauen. Wie weit das Angebot für Familienmitglieder gilt und wer dazu zählt, ist noch unklar. Noch nicht geklärt ist, wie Streitfragen entschieden werden könnten: Das Königreich lehnt den Europäischen Gerichtshof als Entscheidungsinstanz kategorisch ab. Gibt es hier in absehbarer Zeit eine Einigung, gelten die Regelungen auch in umgekehrter Richtung, nämlich für britische Bürger in EU-Ländern.

Am kommenden Montag wollen die Briten Details zu diesem Punkt veröffentlichen, der bei den jetzt laufenden Brexit-Gesprächen ganz oben auf der Tagesordnung steht. Schnelle Bewegung könnte das Tempo der Verhandlungen beschleunigen, so dass man schneller zu der heiklen Frage der Brexit-Schlussrechnung käme.

"Ein guter Anfang, aber viele Fragen"

Ob das Angebot ausreicht, um den ersten Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen zu bringen, ist noch offen. Die Bundeskanzlerin sagte dazu: "Es war ein guter Anfang, aber es stellen sich viele weitere Fragen, zu den Finanzen, zu Irland und es gibt bis Oktober noch viel zu tun." Dieses Datum ist provisorisch vorgesehen, um die erste Runde der Brexit-Verhandlungen abzuschließen und zum zentralen Punkt zu kommen: Wie kann das künftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU aussehen?

Streit um die Verteilung des britischen Erbes, zwei EU-Agenturen die derzeit in London ansässig sind, wurde abgewendet. Man einigte sich auf ein mehrstufiges Ausschreibungsverfahren für die zahlreichen Bewerber, von Barcelona über Wien bis Mailand, die gern den Zuschlag für die Ansiedlung der Arzneimittelbehörde oder der Bankenaufsicht gewinnen wollen. Deutschland hat für die beiden Behörden Frankfurt und Bonn in Position gebracht. Im November soll die Entscheidung fallen, nachdem bis dahin in zwei bis drei Vorausscheidungsrunden Punkte verteilt und Mehrheiten gesucht wurden.

Beziehungen mit Osteuropa in der Krise

"Die EU ist kein Supermarkt, sondern eine Wertegemeinschaft", hatte Emmanuel Macron schon vor dem Treffen die Weigerung von Polen, Tschechien und Ungarn kritisiert, sich an der Umverteilung von Flüchtlingen zu beteiligen. Und Angela Merkel schloss sich dem an: "Dies ist nicht der Tag der Drohungen, aber wir sind eine Wertegemeinschaft. Wir müssen auch sagen, wenn wir mit Entwicklungen nicht einverstanden sind." Ungarns Regierungschef Viktor Orban nahm das persönlich und giftete in Richtung Macron: "Sein Einstand war wenig ermutigend. Wir werden ihn uns ansehen, wir werden ihn kennen lernen." Und ein polnischer Regierungssprecher fügte hinzu, nur weil man Geld aus Brüssel nehme, müsse man nicht mit der EU übereinstimmen. Eine Meinung, die von Frankreich und Deutschland erkennbar nicht geteilt wird.

Ungarns Premierminister Viktor OrbanBild: Reuters/O. Hoslet

Das Thema Migration steht erst an diesem Freitag, dem zweiten Gipfeltag, und dann auch mehr der Form halber auf der Tagesordnung. Fortschritt wird hier nicht erwartet. Der gereizte Meinungsaustausch aber zeigt, wie angespannt die Situation zwischen einigen Osteuropäern und der restlichen EU ist. Für Angela Merkel erleichtert sich hier die Lage durch den Schulterschluss mit Emmanuel Macron: Wenn beide Länder gemeinsam Position beziehen, verteilt sich die Kritik und erschöpft sich nicht mehr allein in Anti-Deutschland-Polemiken.

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